„All diese Probleme konnten wir mit der Verwendung eines ‚VCSEL‘-Lasersystems lösen“, berichtete Stephan Reitzenstein. Die Abkürzung VCSEL steht dabei für „Vertical Cavity Surface Emitting Laser“. Diese Miniatur-Laser sind nur etwa zehn Mikrometer im Durchmesser groß (ein Hundertstel Millimeter) und schichtartig aufgebaut. „Ein Laser erzeugt seine energiereichen und parallelen Lichtstrahlen dadurch, dass er sie mit Spiegeln mehrfach durch einen Resonatorraum mit einem optisch aktiven Medium schickt. Ein VCSEL besitzt mehrere Schichten von teilreflektierenden Materialien, die zusammen fast alle Lichtstrahlen wieder in den Resonator zurückspiegeln – dadurch ist er sehr energieeffizient“, erklärt Reitzenstein. Zudem kann ein VCSEL in einem „nichtlinearen“ Zustand betrieben werden, in dem er sehr empfindlich selbst auf kleinste Eingangsimpulse reagiert und damit für alle mathematischen Herausforderungen gerüstet ist.
VCSEL kommen heute bereits als Lichtquelle in Telekommunikationsnetzen und für die Gesichtserkennung in Smartphones zum Einsatz. Sie wurden an der TU Berlin mitentwickelt und haben bereits zu erfolgreichen Ausgründungen geführt. „Aufbauend auf diesem Know-how haben wir die VCSEL für den Einsatz in einem ONN-Chip angepasst und optimiert“, so Reitzenstein. Dabei kam es darauf an, eine möglichst hohe Lichtausbeute zu erreichen und die Anordnungen von jeweils 25 VCSELs auf einem Chipsegment auf eine exakt gleiche Lichtwellenlänge zu bringen. Das zugrundeliegende Wafer-Material hat James A. Lott, ehemaliger Gastprofessor an der TU Berlin, entworfen. Tobias Heuser hat die VCSEL-Bauelemente als Doktorand in der Gruppe von Stephan Reitzenstein entwickelt und hergestellt.
In Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe von Dirk Englund am MIT in Boston, deren Forschende bereits 2019 das Konzept für die Anwendung der neuen Chips im neuromorphen Computing theoretisch beschrieben hatten, wurden erste Experimente mit den neuen ONN durchgeführt. Als Testaufgabe für die KI wählte das Team die Erkennung von handgeschriebenen Zahlen. Das Ergebnis: Die neuen Chips sind 100-mal energieeffizienter und können 20-mal mehr Rechen-Power pro Fläche bereitstellen als die besten elektronischen Digitalprozessoren.
„Durch eine relativ leicht zu realisierende Erhöhung der Taktfrequenz der Laser könnten diese Werte vermutlich noch einmal um den Faktor 100 gesteigert werden“, so Reitzenstein optimistisch. Bis KI auf Basis dieser Erfindung tatsächlich in Smartphones eingebaut werden kann oder Anwendungen wie ChatGPT einen Sprung in der Leistungsfähigkeit ermöglicht, müssten jetzt allerdings diese im Bereich der Grundlagenforschung gewonnenen Ergebnisse industriell umgesetzt werden. Da von den Forschenden aber nur etablierte Herstellungsverfahren für ihre Prototypen benutzt wurden, sollte dies in wenigen Jahren möglich sein.