Video erhält Stammplatz in der elektronischen Zusammenarbeit

Conferencing auf dem Weg in die Cloud

17. Januar 2013, 7:00 Uhr | Stefan Mutschler (pf)

Nach über zwei Jahrzehnten scheint sich nun tatsächlich eine große Wende bei elektronischen Conferencing- und Collaboration-Lösungen abzuzeichnen. Zwei Punkte wirken dabei aktuell als Katalysator: Zum einen bahnt sich mit H.265 die Ablösung des bisher in den meisten Video-Streams dominierenden H.264-Codecs an - und damit die Erwartung, die Bandbreitenanforderungen fast zu halbieren. Zum anderen ergänzen neue Cloud-Video-Conferencing-Angebote das Spektrum videointegrierter Konferenzangebote.Elektronisch unterstützte Kommunikation und Zusammenarbeit, die als integrierte Lösung ohne Medienbrüche auskommt, stellt derzeit sicher eines der Schlüsselthemen der IT dar. Moderne (IP-)Netzwerke sind heute so leistungsfähig, dass sich damit ein umfassendes Kommunikationserlebnis im Sinne von "Unified Communications und Collaboration" (UCC) realisieren lässt. Im Rahmen seiner kürzlich durchgeführten "Myth Buster"-Tour hat beispielsweise Alcatel-Lucent mit Unterstützung von Prof. Dr. Bernhard Stütz, beim Steinbeis-Transferzentrum Stralsund verantwortlich für die Projektierung und Evaluierung von Netzwerken, seine Sicht bezüglich der großen UCC-Trends für die nächsten fünf Jahre dargestellt. Demnach geht es aktuell darum, die IP-Migration zu vollenden und Aspekte wie Mobilität, soziale Medien, Präsenz und Desktop-Video sowie Instant Messaging in das Geschehen einzubinden. In den nächsten zwei bis drei Jahren soll die Gestaltung einer ganzheitlichen UCC-Lösung inklusive Prozessintegration und Entwicklung hybrider UCC-Cloud-Modelle im Mittelpunkt stehen. In vier bis fünf Jahren dürfte schließlich das (vorläufige) Endziel zu erreichen sein, mit UCC als integralem Bestandteil sowohl der Geschäftsprozesse als auch der Arbeitsplatzkonzepte der Zukunft. Die Cloud bilde zu diesem Zeitpunkt die breite Basis für UCC-Anwendungen, so Stütz. Wenn es um Communications und Collaboration geht, hat sehr oft Microsoft seine Finger im Spiel. Mit Exchange, Lync und Sharepoint bietet der Softwareriese eine integrierte Plattform für ein breites Spektrum an Groupware-Szenarien. Exchange ist nach einer Erhebung von Techconsult mit 65 Prozent der installierten Basis klarer Marktführer bei den Groupware-Plattformen in Deutschland. Für die Anbieter von Videokommunikationslösungen gehört es inzwischen zur Pflicht, etwa Lync mit ihren Produkten zu unterstützen. Durch die enge Verzahnung mit dem Windows-Betriebssystem sollen die Softwareprodukte von Microsoft eine nahtlose Kommunikation und Zusammenarbeit unter Berücksichtigung von aktuellen Datenschutz- und Compliance-Richtlinien ermöglichen. Gerade in puncto Compliance jedoch hat Microsoft vor allem den deutschen Mittelstand vor Kurzem empfindlich verprellt: Die von dieser Anwendergruppe vor allem aufgrund des günstigen Preises geschätzte Kombination aus Windows Server und Exchange in Form des Small Business Servers hat das Unternehmen vor einigen Monaten ersatzlos aus dem Programm gestrichen. Die Strategie dahinter ist klar: Der Windows Server 2012 soll so den Mittelstand in die Microsoft-Cloud - sprich zu Office 365 - locken. Doch genau damit haben viele Anwender ein großes Problem. Denn ihre E-Mails, Kalender- und Kontaktdaten würden ab diesem Zeitpunkt nicht mehr auf heimischen Servern, sondern in US-amerikanischen Rechenzentren lagern. Wer dies etwa aus datenschutzrechtlichen Bedenken nicht will, der kann alternativ auf die Kombination aus dem Windows Server 2012 Essentials und der Groupware-Lösung eines Fremdanbieters wie beispielsweise Kerio Connect setzen. Dies hätte auch den Vorteil, dass alternative Messaging-Produkte bei einem vergleichbaren Funktionsumfang oft erheblich einfacher zu administrieren sind als eine Exchange-Installation.   Effizienterer Video-Codec im Anmarsch Video gerät immer mehr zum selbstverständlichen Bestandteil einer UCC-Lösung - dies zeichnet sich bereits in der Praxis ab. Als bandbreitenhungrigste IT-Applikation überhaupt stellt Video gewissermaßen die Königsdisziplin jedes Netzwerks dar. Die Herausforderung liegt darin, die wachsenden Anforderungen an Bildschärfe und -fluss mit wirtschaftlich vertretbarem Aufwand umzusetzen. Zudem ist die Einrichtung beziehungsweise Buchung einer entsprechend hohen Service-Güte nicht immer realisierbar. Aus diesen Gründen wird die Reduzierung des Bandbreitenbedarfs von Videoapplikationen wohl auf unbestimmte Zeit zu den Schlüsselaufgaben in diesem Umfeld gehören. Derzeit nehmen diese Aufgabe vor allem die beiden Standardisierungsorganisationen Moving Picture Experts Group (MPEG) der ISO/IEC und Video Coding Experts Group (VCEG) der ITU-T wahr. Gemeinsam haben sie ein neues Kompressionsverfahren für Video-Streams entwickelt. Als High Efficiency Video Coding (HEVC) beziehungsweise H.265 soll es bereits Anfang 2013 in endgültiger Form verabschiedet werden und sich anschließend zügig aufmachen, das aktuell am weitesten verbreitete Verfahren H.264/MPEG-4 AVC (Advanced Video Compression) abzulösen. Im Vergleich zu dieser Kompressionstechnik, die derzeit auf weltweit mehr als einer Milliarde Endgeräten läuft, soll H.265 die für eine HD-Videoübertragung nötige Bitrate halbieren - bei gleich hoher Bildqualität. Aus diesem Grund interessieren sich neben den Anbietern von Videokonferenzsystemen unter anderem auch die Sender digitaler TV-Programme für den neuen Standard - Letztere können damit ihre Übertragungs-Pipelines mit der doppelten Zahl an Programmangeboten füllen. Besonders interessant erscheint die Entwicklung auch für Mobilfunk-Provider, die künftig vermehrt TV-Streams und Video-Content aller Art über ihre Infrastruktur anbieten wollen. Insgesamt wird der Anteil videobasierender Inhalte in den IP-Netzen der Welt vor diesem Hintergrund erneut dramatisch zunehmen. Experten wie der stark in der MPEG-Organisation engagierte Per Fröjdh von Ericsson Research etwa gehen davon aus, dass dieser Anteil bis 2015 auf rund 90 Prozent wachsen wird. Die hohe Effizienz erreicht H.265 Angaben zufolge nur ab HD-Auflösung (1.920 × 1.080 Bildpunkte) - kleinere und größere Formate sind damit zwar möglich (die Größenskalierung soll von 320 × 240 bis zu 7.680 × 4.320 Pixel reichen), bei kleineren Formaten soll der Kompressionsvorteil aber auf etwa 20 Prozent schrumpfen und bei größeren nicht über 50 Prozent hinauswachsen. Trotz der massiven Effizienzverbesserung beschreiben Insider die technische Raffinesse hinter dem neuen Kompressionsstandard als eher moderat. Demnach wurde ausschließlich an den bekannten "Stellschrauben" gedreht - eine bahnbrechende Neuentwicklung habe es nicht gegeben. Beide Verfahren - sowohl H.264 als auch H.265 - beruhen übrigens maßgeblich auf Entwicklungstätigkeit beim "Fraunhofer Heinrich-Hertz-Institut (HHI)" in Berlin. Und auch Kritiker haben sich bereits zu Wort gemeldet: Sie monieren umfangreiche Detailverluste des Videobilds durch Effekte, wie sie bereits aus der Akustik etwa bei der so genannten Spektralbandreplikation bekannt sind - dort mit Folgen, die Hi-Fi-Fans gerne als katastrophal beschreiben. Als wirklich anspruchsvolle technische Neuerung gilt eher das "Scalable Video Coding" (SVC), das bei H.264 inzwischen mehr und mehr das AVC ersetzt. Als Ergänzung zu H.264 führt das ebenfalls vom HHI in führender Rolle mitentwickelte SVC erstmals eine softwarebasierende, skalierbare Layer-Technik ein, wodurch stabile Videokonferenzen auch auf Leitungen ohne besondere Garantien für die Service-Güte realisierbar sind. Ohne SVC kommt es dort als Folge schwankender Bandbreiten oft zum Ruckeln, zu Aussetzern und Verbindungsabbrüchen, mit SVC allenfalls zu kurzfristigen Verschlechterungen der Bildqualität. Inzwischen haben die meisten großen Anbieter von Video-Conferencing-Lösungen Produkte mit SVC-Unterstützung mit an Bord, wenn auch nicht immer als favorisiertes Angebot. Nachdem Ende 2007 SVC als Anhang zum H.264-Standard verabschiedet war, blieb diese Technik bei den etablierten Anbietern merkwürdigerweise lange Zeit weitgehend unbeachtet. Vidyo ergriff als Newcomer die Chance und entwickelte für seine Produktpalette auf der Basis von SVC eine Reihe recht überzeugender Implementierungen. Als die "Großen" schließlich aufwachten, lagen viele Patente zur praktikablen Umsetzung von SVC in der Hand eines Branchensprösslings. So beispielsweise die "Adaptive Video Layering"-Architektur, mit der sich die bisher üblichen, teuren Multipoint Control Units (MCUs) erübrigen. Vielleicht war diese Fähigkeit sogar einer der Gründe, warum viele der großen Player SVC zunächst links liegen ließen - einige von ihnen verdienen sich bis heute eine goldene Nase an den MCUs. Es ist jedenfalls gut nachvollziehbar, dass die etablierten Videoausrüster wenig Neigung verspürten, einem Newcomer Lizenzgebühren für die Nutzung seiner Patente zu zahlen. Dies umso mehr, als - wie im Fall von Adaptive Video Layering - damit auch noch das bestehende MCU-Geschäft torpediert würde. Polycom allerdings hat inzwischen nachgezogen und mit der "Realpresence Collaboration Server 800s Virtual Edition" eine SVC-fähige Multi-Protocol-Software-MCU vorgestellt, die auf Standard-Servern läuft. Seine Realpresence-Plattform selbst hat Polycom in diesem Zug um die "Cloudaxis-Suite" erweitert, über die Unternehmen Video-Conferencing mit Enterprise-Niveau laut Hersteller auch auf die Anwender von Skype, Facebook, Google Talk und anderen Business-Videoapplikationen erweitern können - einfach via Browser. Resümee zu SVC, Stand heute: Für diese Technik existieren durchaus unterschiedliche Implementierungswege, aber leider ist offenbar nicht jede Implementierung zu jeder anderen kompatibel - so jedenfalls zahlreiche Kommentare in den einschlägigen Nutzerforen. Während einige der großen Player mit H.265 schon den SVC-Abgesang anstimmen ("hat sich erübrigt"), setzt Vidyo erneut den Stachel an: Im Oktober 2012 reichte das Unternehmen einen Vorschlag zur skalierbaren Kodierung für den HEVC-Standard ein - diesmal mit prominenter Unterstützung von Samsung und Canon. "Der richtige Weg für die Videokommunikation per Internet und mobilen Endgeräten liegt in einer skalierbaren Technologie", so Alex Eleftheriadis, Mitbegründer und Chief Scientist von Vidyo. "Deshalb muss ein neu designter Codec für Echtzeitkommunikation entsprechend ausgelegt sein." Das Portfolio des Herstellers soll "HEVC-ready" und über Software erweiterbar sein, sobald der neue Codec freigegeben ist.   Video und UCC als Cloud-Service Nach vielen Jahren schwerer Ressentiments gewinnt das Outsourcing von (IP-)TK-Anlagen nun doch langsam an Boden. Gerade mittelständische Unternehmen tendieren vermehrt dazu, Anschaffung und Pflege samt Verwaltungslast moderner Telefonnebenstellenanlagen einem externen Dienstleister anzuvertrauen. Die neue Gesinnung scheint sich dabei gleich von Anfang auf die teureren und komplexeren UCC- beziehungsweise videointegrierten Kommunikationslösungen zu konzentrieren. Gartner beispielsweise erwartet für den Markt der Video-as-a-Service-Infrastrukturen ein Umsatzwachstum von 168,6 auf 469,8 Millionen Dollar. Zu den Treibern für die Video-Cloud rechnen Experten den Wunsch vieler Unternehmen, auch mobiles Equipment wie etwa Laptops, Tablet-PCs und Smartphones vermehrt gemeinsam mit allen anderen Gerätetypen ins virtuelle Meeting einzubinden. Videoangebote als Cloud-Service befinden sich jedoch meist noch in der Findungsphase, Lösungen von der Stange sind noch rar. Allerdings kommen nach und nach immer mehr Dienstleister mit ihren Angeboten auf den Markt, in erster Linie TK-Provider - als Novum aber auch Systemintegratoren. Ein Beispiel für Letzteres ist etwa KNT Telecom. Im vergangenen Juni ist das Unternehmen in das Geschäft mit der Video-Cloud eingestiegen und bietet über eine Partnerschaft mit Vidyo deutschlandweit die Videokonferenzlösung seines Lieferanten als Managed-Service an. Über ein Interoperationsmodul soll mit der KNT-/Vidyo-Lösung auch eine Kommunikation mit standardbasierenden Videoendpunkten anderer Hersteller möglich sein. "KNT Record and Stream" ermöglicht es zudem, Konferenzen aufzuzeichnen und im Nachhinein an einen beliebigen Verteiler zu streamen. Cisco indes holte sich mit Interoute, Orange und der Deutschen Telekom klassische TK-Provider als Video-Cloud-Partner an Bord - ebenso wie Polycom mit BT. Interoute betreibt wie Orange eine gemanagte Cisco-Videokonferenzlösung im Video-as-a-Service-(VaaS-)Modell. Orange agiert dabei im Rahmen von "Telepresence Pass" sehr stark auch auf internationaler Ebene - das Unternehmen betreibt engagiert die videofähige Zusammenschaltung unterschiedlicher Netzwerke in den verschiedenen Ländern. Auch bei diesem Aspekt steht die Video-Cloud noch am Anfang. Bei der Deutschen Telekom bildet die Cisco-Lösung lediglich einen Teil des Cloud-Videoangebots, ihr "Videomeet" soll die Raumsysteme aller führenden Player unterstützen, darunter neben Cisco/Tandberg auch die von Logitech/Lifesize, Polycom, Sony und Radvision (letzteren Hersteller hatte Mitte 2012 Avaya übernommen). "BT Conferencing" wiederum basiert auf der "Realpresence"-Plattform (RMX) von Polycom. Alcatel-Lucent hingegen nimmt das Zepter in Sachen Cloud-Video derzeit selbst in die Hand. Mit der Collaboration-Anwendung "Opentouch Video Store" (OTVS) will das Unternehmen Anwender unterstützen, den Einsatzbereich von Videos zu erweitern und einen unternehmenstauglichen Kommunikationskanal im Stil von Youtube für die Konversation bereitzustellen. Die Lösung kommt als eine bei Alcatel-Lucent selbst gehostete Software. Der Autor auf LANline.de: ElCorrespondente

Ein tragfähiges UCC-Konzept muss heute ganz besonders auch mobile Mitarbeiter mit einbeziehen - Video inklusive. Im Bild der Opentouch Conversation Client von Alcatel-Lucent auf einem Apple Ipad. Bild: Alcatel-Lucent
LANline.

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