funkschau Kommentar

Der Imperativ des Wandels

18. Dezember 2018, 16:15 Uhr |
„Entwicklungsbereitschaft und Pioniergeist avancieren zum höchsten Gut.“ - Stefan Adelmann, Chefredakteur funkschau
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Von einer Auf- und Umbruchsstimmung kann in Deutschland kaum die Rede sein. Oftmals fehlt es in Unternehmen aufgrund des heutigen Erfolgs an der nötigen Experimentier- und Entwicklungsfreude, um die Digitale Transformation erfolgreich anzustoßen. Dabei drängt die Zeit.

Oft hilft ein Blick in die Vergangenheit, um die Zukunft besser verstehen zu können. Als die industrielle Revolution vor allem im 19. Jahrhundert die Wirtschaft Westeuropas wandelte, blieb es nicht bei punktuellen Effekten, nicht bei einigen Optimierungen durch Dampfmaschinen oder Effizienzsteigerungen in der Landwirtschaft. Rückwirkend sprechen wir von einer fundamentalen Transformation von der Agrar- zur Industriegesellschaft sowie der damit einhergehenden Umwälzung nicht nur der Wirtschaft, sondern auch der restlichen Gesellschaft. Sie bildet nicht nur eine entscheidende Basis des modernen technologischen Fortschritts, sondern auch des heutigen Wohlstands – wenn auch zu Beginn der Revolution zugegebenermaßen nur einige Wenige von diesem profitierten.

Schweift der Blick heute aber über weite Teile der deutschen Wirtschaft, lässt sich eine entsprechend allumfassende Transformation allenfalls erahnen, von einer Auf- und Umbruchsstimmung kann jedoch kaum die Rede sein. Freilich, von Digitalisierung wird mittlerweile viel gesprochen. In Anbetracht der vierten industriellen Revolution – oder dem zweiten Urknall, wie es Samsung-Manager Sascha Lekic bezeichnet – herrscht in der Bundesrepublik vielerorts jedoch eine gewisse Bequemlichkeit. Dabei sind die Prognosen dieser technisch getriebenen Entwicklung recht eindeutig, die Marktanalysten von McKinsey attestieren beispielweise Künstlicher Intelligenz, in Zukunft einen größeren Einfluss auf die globale Wirtschaft zu erreichen, als ihn ehemals die Dampfmaschine hatte. Und dennoch: ein Weiter-so! Die deutsche Wirtschaft scheint in vielen Bereichen wie paralysiert durch den eigenen Erfolg und die seit Jahren gute Konjunktur. Interessiert ja, handlungs- und entwicklungsbereit nur bedingt.

Es droht das von Harvard-Professor Clayton Christensen definierte „Innovator’s Dilemma“, das beschreibt, warum erfolgreiche Unternehmen oft auf Basis neuer Technologien überrundet werden, da sich Markteinsteiger viel stärker auf Innovationen konzentrieren können und sich nicht auf die Aufrechterhaltung der bestehenden Erfolge fokussieren müssen. So weit, so gut, immerhin hat die Geschichte zahlreiche Beispiele parat, die von steigenden und fallenden Sternen berichten. Die jüngere Vergangenheit zeigt jedoch eindringlich, dass die Innovatoren und Disruptoren unserer Zeit nur selten aus Deutschland kommen, da sich die hiesige Wirtschaft zwar mit ihrer Planungsstärke und Nachhaltigkeit rühmen kann, in vielen Fällen aber nicht mit Entwicklungsfreude. Die Passivität der Autoindustrie in Sachen Diesel und auch Elektromobilität ist hier nur ein Beispiel.

Dabei haben sich die Vorzeichen des Marktes radikal geändert. Laut Dirk Werth, Geschäftsführer des AWS-Instituts für digitale Produkte und Prozesse, denkt der Mensch meist linear, der Verlauf der Digitalen Transformation sei hingegen exponentiell. Eine  Eigenschaft, die leicht übersehen wird, für Unternehmen aber umso entscheidender sein kann. Denn ein Reagieren ist nahezu unmöglich. Wer darauf pocht, die eigene Strategie fortzuführen, bis sich digitaler Wettbewerb langsam am Horizont abzeichnet, steht im Zweifelsfall unvorbereitet und untransformiert vor vollendeten Tatsachen.

Diese Prämisse gilt allerdings nicht nur für unternehmensstrategische Fragen, sondern auch für politische und infrastrukturelle. Was heute noch zeitgemäß ist, kann morgen bereits hoffnungslos veraltet sein. Beispielsweise darf sich eine deutsche Breitbandversorgung nicht nur für das Datenwachstum der Vergangenheit, sondern muss sich für die Anforderungsexplosion der Zukunft rüsten. Immerhin soll sich der globale Datenverbrauch laut IDC bis 2025 im Vergleich zu 2016 verzehnfachen und nur ein entsprechend vorbereitetes Netz kann das Fundament der Digitalisierung sein.  

Sicherlich, in den vergangenen Jahren hat sich in Deutschland in Hinblick auf die Digitale Transformation viel bewegt, bei zahlreichen Unternehmen ist das Thema bereits seit einiger Zeit auf der Tagesordnung. Um jedoch nicht gänzlich von Digital-Vorreitern wie den USA oder China abgehängt zu werden, braucht es ein weitreichendes Umdenken, ein Bewusstsein dafür, dass Digitalisierung Revolution statt Evolution ist und langfristig nahezu alle Bereiche verändern wird. Am Ende dieser Umwälzung steht ebenso wie nach der industriellen Revolution nicht nur eine entwickelte, sonst eine in vielen Teilen gänzlich neue Wirtschaft und auch Gesellschaft, die sich heute nur partiell prognostizieren lässt. In Anbetracht dieses gewaltigen Umbruchs darf heutiger Erfolg nicht zum Klotz am Bein der Innovation werden, um das „Dilemma“ rechtzeitig zu umgehen. „Digitalisierung lebt von und nach handelnden Personen“, sagt Werth. Entwicklungsbereitschaft und Pioniergeist avancieren zum höchsten Gut des zukünftigen Erfolges.

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