Auf der Hannover Messe präsentierten VDE und VDI aktuelle Daten zum Arbeitsmarkt für Ingenieure. Fazit: Beide Verbände sehen keine Entspannung. Vor allem die Fachkräftesituation in Elektrotechnik bleibe "zugespitzt".
Die Auswirkungen der demographischen Entwicklung sind in Sichtweite. Ab etwa 2020 wird der Ersatzbedarf am Arbeitsmarkt spürbar ansteigen. Bis 2029 müssen rund 700.000 Ingenieure altersbedingt ersetzt werden, so neue Zahlen des Instituts der Deutschen Wirtschaft im Auftrag des VDI.
Zum Auftakt der Hannover Messe forderte VDI-Präsident Prof. Udo Ungeheuer drei Maßnahmen zur nachhaltigen Sicherung des technischen Nachwuchses: Mehr Studienanfänger (vor allem Frauen), weniger Abbrecher, und mehr technische Bildung in den Schulen.
Diese - ja durchaus nicht neuen - Forderungen formulierte Ungeheuer auf Basis eines neuen Prognoseinstruments, das der VDI gemeinsam mit dem Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) entwickelt hat. Damit soll es erstmals gelingen, einen Blick auf die Zukunft des Ingenieurarbeitsmarkts bis 2029 zu werfen, abhängig von der konjunkturellen Entwicklung.
Mit dem Szenario-Tool könne berechnet werden, welche Faktoren kumuliert bis 2029 die stärkste quantitative Wirkung auf das Arbeitskräfteangebot haben.
Die demographische Entwicklung ist dabei als Konstante aufgrund der Geburtenzahlen am genauesten zu berechnen. Demnach wird die Zahl der (deutschen) Studienanfänger und Absolventen in den Ingenieurwissenschaften künftig sinken, gleichzeitig scheiden immer mehr ältere Ingenieure aus dem Arbeitsleben aus. "Die starke Generation der Babyboomer tritt sukzessive ab und die demografische Entwicklung wird sich damit verschärfen", so Ungeheuer. Bis ins Jahr 2029 müssen 710.000 Ingenieure altersbedingt ersetzt werden – 42 Prozent des aktuellen Bestands.
Um sich mittel- bis langfristig auf die Entwicklungen des Ingenieurarbeitsmarkts einstellen zu können und die wichtigsten Stellschrauben zu erkennen, zeigt das neue IW-Tool drei Szenarien für den Zeitraum von 2015 bis 2029 auf: Ein Basismodell, das einen Absolventenboom auf eine lahmende Volkswirtschaft treffen lässt und ein Modell, das einen Absolventenschwund einer boomenden Volkswirtschaft gegenüberstellt.
"Das für uns wichtigste und gleichzeitig alarmierendste Ergebnis lautet: Egal welches Szenario wir zugrunde legen, es gibt immer eine Unterdeckung an Ingenieuren und die liegt zwischen 84.000 und 390.000 Ingenieuren", so Ungeheuer. Würden nur fünf Prozent mehr Absolventen aus den ingenieurwissenschaftlicher Studiengängen hervorgehen, dann stünden dem deutschen Arbeitsmarkt rund 42.400 Ingenieure zusätzlich zur Verfügung. Würde es in Zukunft gelingen, den Anteil der Ingenieurwissenschaften an allen Studienanfängern um fünf Prozent zu erhöhen, wären rund 29.400 zusätzliche Ingenieure gewonnen.
Den demographisch bedingten Absolventenrückgang muss vor allem die Zuwanderung künftig kompensieren, denn die beiden anderen Stellschrauben – Frauen und Ältere – sind als Einflussfaktoren zu schwach, zumindest bisher. IW-Geschäftsführer Dr. Hans-Peter Klös kam auf Grundlage der sich abzeichnenden Entwicklungen zum Schluss: "Sinken die Absolventenzahlen wie erwartet, benötigt Deutschland eine jährliche Nettozuwanderung in Höhe von mindestens 15.000 Ingenieuren, um seine Arbeitskräftebasis im Ingenieurbereich langfristig zu sichern."
Großes Potenzial sieht Klös bei den ausländischen Studierenden, die an deutschen Hochschulen ausgebildet werden und bei Ingenieuren, die mit einem ausländischen Abschluss nach Deutschland kommen. Die Stärkung der Zuwanderung sollte sowohl über die Hochschulen, als auch direkt aus dem Ausland erfolgen.
Zudem fordern VDI wie IW eine konzertierte Bildungsoffensive: "Die Bildungspolitik darf auf den Rückgang des heimischen Potenzials an Ingenieurstudierenden nicht mit einer Kürzung der Studienkapazitäten reagieren. Vielmehr sollte sie die aktuellen Studienkapazitäten der Hochschulen weiterfinanzieren und diese um ausländische Studierende werben lassen", so Klös.