Auf dem Weg in die digitale Zukunft stellen sich 5G, Energiewende und Co. viele unterirdische Hindernisse in die Quere. Was die Gründe dafür sind und warum die Digitalisierung unter der Erde entschieden wird.
Der Artikel liefert unter anderem Antworten auf folgende Fragen:
Jeder kennt es: Der Strom oder das Internet fällt aus. Einer der häufigsten Gründe hierfür ist, dass bei Bauarbeiten eine Leitung beschädigt wurde. Laut den Studienergebnissen vom Institut für Bauforschung treten pro Jahr in Deutschland insgesamt 806.450 Schadensfälle an unterirdischen Versorgungsleitungen – also Strom, Telekommunikation, Gas, Wasser und so weiter – auf. So gab es im Jahr 2019 in Berlin-Köpenick beispielsweise einen großflächigen Stromausfall, bei dem mehr als 30.000 Haushalte und 3.000 Gewerbebetriebe 30 Stunden ohne Strom waren. Wenn sogar Gasleitungen bei Tiefbauarbeiten beschädigt werden, können die daraus entstehenden Gasexplosionen, wie damals in Itzehoe im Jahr 2014, Menschenleben kosten. Im Januar dieses Jahres wurde beispielsweise in Hamburg bei der Feuerwehr die höchste Alarmstufe ausgelöst, eine Evakuierungszone von rund 1.000 Metern eingerichtet und eine Autobahn gesperrt, weil ein Bagger bei Tiefbauarbeiten eine Gasleitung beschädigt hatte. Zum Glück blieb es diesmal bei einer Beinahe-Katastrophe.
Warum diese Tragödien und Versorgungsunterbrechungen passieren, ist einfach zu erklären und zugleich erschreckend: Wir wissen heutzutage mehr über den Untergrund der Antarktis als darüber, welche Versorgungsleitungen unter unseren Straßen in welcher Tiefe konkret verbaut wurden.
Wenn Deutschland die Aufholjagd im Glasfaserausbau gewinnen will, muss in den nächsten Jahren sehr viel gebuddelt und geschaufelt werden: Nur in vier OECD-Staaten ist der Anteil der Glasfaseranschlüsse noch geringer als in Deutschland. Mit einem Anteil von rund 6,4 Prozent belegen die Deutschen gerade einmal Platz 34 des Länder-Rankings.
Für den flächendeckenden Glasausbau sind in jedem Fall alle Akteure im Bauwesen gefordert: Da es in Deutschland keine zentrale Behörde mit Informationen über die Lage und Tiefe sämtlicher unterirdisch verlegter Versorgungsleitungen gibt, sind die Bauunternehmen dazu verpflichtet, sämtliche Netzbetreiber in dem jeweiligen Baugebiet vor Beginn ihrer Tiefbauarbeiten anzuschreiben und nach einer sogenannten Leitungsauskunft zu fragen. Und weil weiterhin kein zentrales öffentlichen Register vorliegt, in dem alle Netzbetreiber mit ihren Versorgungsgebieten aufgelistet sind, müssen diese im Vorfeld oftmals mühselig recherchiert werden. Dass die Ergebnisse der Recherche nicht immer zu 100 Prozent korrekt sind, lässt auch den Gemeinden, in denen gebaut wird, keine Ruhe. Die Stadt Lindau zum Beispiel warnt auf der Website der Baubehörde ausdrücklich: „Jahr für Jahr entstehen bei Erdarbeiten im Bereich von unterirdisch verlegten Versorgungsleitungen zahlreiche Schäden. Neben den erheblichen Sachschäden ist im Schadensfalle eine Gefährdung von Personen nicht auszuschließen.“
Nach den Netzstrukturdaten der Bundesnetzagentur aus dem Jahr 2020 umfasst allein das unterirdische Stromleitungsnetz in Deutschland circa 1,9 Millionen Kilometer und ist damit über 140-mal länger als das Autobahnnetz. Nur sind beim Autobahnnetz alle Abfahrten, Verzweigungen und Verengungen akribisch erfasst. Eine solche vergleichbare Mammutarbeit für Versorgungsleitungen war Netzbetreibern, Kommunen, Bauträgern und Baufirmen bislang zu teuer. Oft werden Baugräben direkt nach der Leitungsverlegung verfüllt, um Gehwege oder Fahrbahnen möglichst schnell wieder nutzbar zu machen. Die Dokumentation wird hingegen aufgrund von Kosten- und Zeitdruck vernachlässigt und erst im Nachhinein durchgeführt, wenn keine Leitung mehr sichtbar ist. Ungenauigkeiten sind damit vorprogrammiert.
Dass solche Vernachlässigungen bei Tiefbauarbeiten nicht nur zu Versorgungsunterbrechungen führen, sondern auch große volkswirtschaftliche Schäden bewirken, ist bekannt: Nach einer Untersuchung der University of Birmingham School of Civil Engineering College of Engineering and Physical Sciences liegen die indirekten Kosten für entgangene Umsätze, Umweltkosten, Verkehrskosten und erhöhte Versicherungsbeiträge bis zu 29-mal höher als die direkten Reparaturkosten. Somit entsteht pro Jahr in Deutschland ein volkswirtschaftlicher Schaden von 58 Milliarden Euro.
Um der Anarchie unter der Erde ein Ende zu bereiten, bedarf es moderner Technologien. Diese helfen dabei, ein genaues Abbild des deutschen Untergrundes zu erzeugen. |
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Die Ursache dieses Problems liegt darin, dass neue Versorgungsleitungen meist noch genauso wie vor 50 Jahren erfasst und dokumentiert werden. Aus diesem Grund muss also vor allem der Prozess zur erstmaligen Erfassung und Kartographierung neuer Leitungssysteme grundlegend verbessert werden. Unterstützen können hierbei Technologien wie entsprechende 3D-Scanner, die Art und Typ von Kabeln, Rohren und/oder Verbindungselemente dokumentieren.
Beispielsweise im Nachbarland Niederlande wird immerhin für jede Adresse registriert, welche Anbieter dort Leitungen für welchen Zweck verlegt haben. Davon ist Deutschland hingegen weit entfernt. Ulrich Huber vom baden-württembergischen Netzbetreiber Netze BW hat die Herausforderung in der „Wirtschaftswoche“ wie folgt zusammengefasst: „Die einzelnen Datensätze vor einer Baumaßnahme einfach zu einer gemeinsamen Karte zusammenzuführen, das ist sehr aufwändig.“
Mit Verbesserungen in der satellitengestützten Empfängertechnik und Entwicklungen im Bereich Künstlicher Intelligenz und 3D-Rekonstruktion können allerdings Kosten und Zeitaufwände für eine Kartografierung unterirdisch verlegter Leitungen reduziert werden. Mit entsprechenden Technologien lässt sich ein immer genauer werdendes und dreidimensionales Abbild des deutschen Untergrundes erzeugen, um der Anarchie unter der Erde zudehends ein Ende zu bereiten.