Um von 5G zu profitieren, ist es wichtig, dass Unternehmen Digitalisierung neu denken. Die Einführung einzelner Tools macht noch kein digitales Unternehmen und erst recht keinen digitalen Champion. Dafür braucht es vielmehr eine übergreifende Vernetzung, die sich über die gesamte Wertschöpfungskette erstreckt. Eine solche Vernetzung umfasst nicht nur die eigene Produktion, sondern auch die Vernetzung zwischen der digitalen IT-Welt, der physischen OT-Welt (Information Technology und Operational Technology) und der Welt der Geschäftspartner und Zulieferer. Genau das ist es, was 5G leisten kann – indem es die dafür notwendige leistungsfähige Infrastruktur bereitstellt. Ist dieser Vernetzungsschritt erfolgreich, erlaubt es 5G, Informationen zu den eigenen Produktionsabläufen und -kapazitäten in Echtzeit zu erfassen, zu analysieren und für die Entwicklung innovativer Unternehmenssteuerungen zu nutzen, die datengetrieben und automatisiert sind. Viel stärker als bislang könnten solche Systeme durch Einsatz des schnellen Mobilfunkstandards in die Zukunft schauen, also Predictive Analytic-Ansätze mithilfe einer Vielzahl von Daten umsetzen. 5G unterstützt dafür das Auslesen von Sensoren mit besonders hohen Datenraten. Unregelmäßigkeiten in der Produktion – wie etwa nicht mehr exakt arbeitende Maschinen oder Lieferengpässe – ließen sich frühzeitig erkennen, Lagerbestände und Prozesse sich viel genauer als bislang in Echtzeit darstellen. Eine solche umfassende Digitalisierung bedeutet jedoch auch, mit hochsensiblen und marktrelevanten Daten umzugehen – und das so verlässlich, stabil und sicher wie möglich. Eine 4G-Verbindung, über die ein autonom fahrendes Fahrzeug versucht, seine Daten mit den Informationen eines Cloud-Servers abzugleichen, erfüllt dieses Kriterium nicht: Die Latenz ist hoch, die Bandbreite zu gering – und vor allem besteht die Gefahr, dass die Übertragung gestört oder manipuliert wird. Beim Einsatz von 5G ist das nicht der Fall – und genau das zeichnet diesen Standard aus.
Eine zentrale Rolle spielt das Edge Computing, das mit der Verbreitung des 5G-Standards vorangetrieben wird. Dabei werden Daten nicht wie bislang üblich über die Zentralsysteme der Netzbetreiber geleitet, sondern können direkt an der Funkzelle ausgeleitet und an das jeweilige Unternehmen übertragen werden. Seine volle Wirkung entfaltet Edge Computing in Kombination mit dem Network Slicing. Der Mobilfunkanbieter konfiguriert das Netz dafür so, dass ein eigenes virtuell abgeschottetes Netz entsteht, auf das nur eine bestimmte Kundengruppe beziehungsweise ein bestimmtes Unternehmen Zugriff erhält.
Einen ähnlichen Ansatz – allerdings nicht allein virtuell – bieten die sogenannten Campus-Netze, deren Errichtung 5G ermöglicht. Das sind Netze, die eine dedizierte Funkversorgung für einen Campus zur Verfügung stellen, also ein bestimmtes und klar umrissenes zu versorgendes Gebiet. In Deutschland müssen die Unternehmen dabei noch nicht einmal auf Mobilfunkanbieter als Partner zurückgreifen, sondern können sich selbst eine eigene Frequenz günstig zuteilen lassen. Gemeinsam mit einem Netzwerkausrüster können sie dann ein komplett eigenes 5G-Netz implementieren. All diese Ansätze sorgen dafür, dass Unternehmen die volle Kontrolle über ihre Daten behalten und die Digitale Transformation offensiv vorantreiben können.
Eine Frage lässt der 5G-Standard naturgemäß offen: Wie es sich nämlich mit den jeweiligen Endgeräten verhält. Zwar bietet 5G als Standard selbst durch die beschriebenen Möglichkeiten ein erhebliches Maß an Sicherheit. Doch die Infrastruktur selbst bleibt weiterhin ein kritischer Punkt – gerade dann, wenn es um die Abhängigkeit von einzelnen Herstellern geht. Daher erhält mit dem Aufkommen von 5G auch die Debatte um das sogenannte Open-RAN (Radio Access Network) zunehmend Schwung. Das Ziel dieses Ansatzes ist es, nicht nur Netzwerkfunktionen zu virtualisieren, sondern auch den Radiobereich maximal zu standardisieren. Im Ergebnis würde es keinerlei Rolle mehr spielen, welcher Mobilfunk-Supplier die Hardware bereitstellt. Einzig die Antenne selbst mit den darauf implementierten Funktionen wäre noch vom Hardwarelieferanten abhängig, alle nachgelagerten Systeme hingegen weitgehend standardisiert. Ein Vendor Lock-in lässt sich so vermeiden, die Kosten lassen sich durch die Verwendung von Standard-Hardware reduzieren und Unternehmen behalten auch hier die volle Kontrolle bei der Frage, wie mit ihren Daten umgegangen wird. Erste Netze nutzen diese Technik bereits, allerdings ist hier noch einige Entwicklungsarbeit notwendig, bevor diese Lösungen off-the-shelf, also ab Lager, eingesetzt werden können. Spätestens dann sollten sich Unternehmen jedoch mit der neuen Mobilfunkwelt vertraut machen und das eigene Geschäftsmodell durch den Einsatz nicht nur erweitern und Innovationen vorantreiben, sondern auch sicherer und unabhängiger gestalten – zugunsten der eigenen digitalen Souveränität.
Christoph Henkels ist Senior Manager Telecommunications, Media & Technology bei Sopra Steria