Der Ausbau des deutschen Telekommunikationsnetzwerkes gleicht einer Operation am offenen Herzen. Die Operator müssen im laufenden Betrieb Maßnahmen rund um 5G und Kapazitätserweiterung vorantreiben. Was bislang fehlte: eine Karte, die den Ist-Zustand der Netztopologie realitätsnah abbildet.
Der Artikel beantwortet unter anderem folgende Fragen:
Das typische Netz eines Mobilfunkbetreibers in Deutschland setzt sich aus circa 30.000 Routern, 50.000 Microwave-Links und 80.000 Endpunkten zusammen – und das ist lediglich die unterste „Hardware“-Schicht. Hinzu kommen Services, die zusammen mehrere Millionen Verbindungen bilden und die eigentliche Netzfunktionalität sicherstellen. Sind innerhalb dieser Netztopologie Änderungen nötig (Stichwort: 5G), gilt es kapazitäts- und laufzeitorientiert sowie kosten- und zeitoptimiert zu planen. Zumal komplexe Bauvorhaben mehrere Jahre Vorlaufszeit in Anspruch nehmen und große Investitionen voraussetzen. So kann allein der Aufbau eines Microwave-Links oder einer optischen Faser schnell sehr teuer werden und sich im besten Falle über mehrere Monate hinziehen.
Doch genau hier liegt der Knackpunkt: Netzbetreiber stehen vor der Herausforderung, die passiven Komponenten (zum Beispiel Fiber), die logischen Komponenten (wie IP-Verbindungen) und die zugehörigen Netzfunktion (zum Beispiel IP-Routing) mit dem realen Betreibernetz synchron zu halten. Mit den bestehenden Planungs- und Inventar-Datenbanken lassen sich topologische Abhängigkeiten im dynamischen routenden Netzwerk kaum oder nur unzureichend erkennen. So bleiben hohe Risiken für den Betreiber. Nicht optimale Planung oder Kapazitätserweiterungen können zu Verzögerungen im Netzausbau oder zu schweren Fehlinvestitionen führen. Im schlimmsten Fall treten unerwartete schwerwiegende Störungen auf.
In der Regel sind es dabei nicht bei Bauarbeiten durchtrennte Versorgungskabel, die wie am Frankfurter Flughafen zu weitreichenden Störungen von Telekommunikationsdiensten führen. Weitaus regelmäßiger entstehen kleinere lokale Ausfälle, zum Beispiel von DSL oder Mobilfunk, durch Fehlkonfiguration beim Netzausbau. Pro Tag verzeichnet ein Operator mehr als 1.000 Änderungen, die das Netz in großem Maßstab beeinflussen können. Die Validierung geplanter Änderungen lassen sich vielfach nur eingeschränkt untersuchen. Dafür wäre eine intelligente Simulation über die verschieden Netzebenen (OSI-Schichten) notwendig, die jede geplante Änderung im Zusammenwirken mit dem realen Netz im Vorfeld betrachtet (Trockenlauf). Dem überlagert sind Parallelveränderungen an der Netztopologie, die im klassischen Planungssystem keine direkte Korrelation haben, tatsächlich jedoch über die Topologie und das Routing in Verbindung stehen.
Gilt es, ein komplexes Netzwerk in ein Datenmodell zu überführen und dieses in Echtzeit abzufragen, sind spezielle Datenbanksysteme gefragt. Graphtechnologie hat sich hier in den letzten Jahren zum Standard entwickelt, um stark miteinander vernetzte Daten zu speichern und zu analysieren. Der Unterschied zu herkömmlichen Datenbanksystemen: In Graphen stehen die Beziehungen zwischen den Daten – und damit die Netzwerkstruktur – im Vordergrund. Wie das funktioniert, versteht jeder, der einmal einen Blick auf einen Straßenatlas geworfen hat: Städte werden als Kreise (Knoten) dargestellt, die über Straßen (Kanten) miteinander verbunden sind. Jeder Kreis und jede Verbindung ist mit einem Namen oder einer Nummer versehen. Zusätzlich finden sich über eine festdefinierte Legende Informationen über Größe, Straßentyp oder Topographie in der Karte hinterlegt.Dieses sehr intuitive Modell lässt sich auf unterschiedlichste Datensätze übertragen: Statt „Autobahn A9 verbindet die Städte München und Berlin“ könnte das Knoten-Kanten-Konstrukt also auch lauten „Radio Station A ist über Glasfaserkabel 001 mit Router 45 verbunden“. In der Graphdatenbank lassen sich Abfragen von einem beliebigen Knoten aus starten. Anwender folgen den Verbindungen von Knoten zu Knoten (Traversieren) und legen dabei mehrere Millionen Sprünge (Hops) pro Sekunde zurück. Für die Abfragen werden nur diejenigen Daten berücksichtigt, die auch tatsächlich relevant sind. Damit liefert Graphtechnologie die nötige Performance, um Echtzeit-Analysen durchzuführen.
Die Technologie kommt in der Praxis bereits zum Einsatz: Die Management- und Technologieberatung Sopra Steria entwickelte für einen großen europäischen Telekommunikationsanbieter ein Intelligentes Netzwerk-Analysetool (INA), um Vorprüfungen und Simulationen bei Netzwerk-Änderungen schneller und genauer durchzuführen. Kernstück von INA ist neben dem Python-Framework Network X die Graphdatenbank Neo4j, in der circa drei Millionen Knoten (wie Router, Switches, Clogs) mehr als 18 Millionen Kanten miteinander verknüpft sind. Hinzu kommen Metadaten über Standort, Datenübertragungsraten, Abdeckung, Zuverlässigkeit und Latenz. Im Graphen sind alle losen Enden verknüpft und die Daten zusammengesetzt.
Der Datenkontext erlaubt die Visualisierung einer detailgetreuen Landkarte, in der das komplexe Netzwerk des Telekommunikationsanbieters live sichtbar wird. Der End User kann dabei im Front End der Lösung – ähnlich wie bei Google Maps – zwischen verschiedenen Ansichten (wie Daten, Satellit) wechseln und sich so einen Überblick über reale Abhängigkeiten, topographische Gegebenheiten und optimale Kapazitätsverteilung verschaffen. So lässt sich zum Beispiel mit einem Klick ersehen, welche Basisstation mit welchen Routern verbunden ist, wo der Datenverkehr am höchsten ist und an welchem Standort es zu einem Peak kommt.
Eine wichtige Rolle bei der Analyse von Netzwerken spielt Graph Data Science (GDS). Die Daten-Analytik, einschließlich des Trainings von Machine-Learning-Modellen, findet dabei direkt im Graphen statt. Damit entfällt das zeitaufwändige Extrahieren und Modellieren von Daten. Skalierbare, in der Graphdatenbank integrierte Graph-Algorithmen finden automatisch auffällige Cluster, decken bis dahin unbekannte Zusammenhänge auf und berechnen Scores für die Gewichtung von Ergebnissen. Zu den bekanntesten Algorithmen zählt hier beispielsweise „Shortest Path“, der in Verkehrs- und Navigationssystemen die kürzeste Verbindung zwischen zwei Knoten oder die kürzeste Route zwischen zwei Standorten ermittelt. In IT- oder Telekommunikationsnetzwerken weist er dem Datenverkehr den schnellsten Weg. Der INA nutzt Graph Analytics für zwei Arten der Risikoanalyse: Die Root Cause-Analyse erlaubt es dem Network Operator, den zentralen Knotenpunkt einer Störung zu identifizieren. Fällt beispielsweise eine Verbindung aus, so kommt es über das Routing zu einer geänderten Verkehrsführung, die häufig zu einer Überlast führt. Die Auswirkung (Impact) und die Ursache (Cause) lassen sich mit dem Intelligent Network Analyzer sehr viel schneller erkennen und beheben.
Mit dem Simulationsmodul wiederum lassen sich unterschiedlichste Use Cases hinsichtlich ihrer Kosten, Dauer und Effektivität hin simulieren. Network Engineers können prüfen, wie und wo sich Änderungen auf den Rest des Netzwerks auswirken. What-If-Szenarien zeigen zum Beispiel, wie sich der Verkehr im Netz verändert, falls die Kapazität an einem Knoten-Punkt überdurchschnittlich steigt oder welche neuralgischen Infrastrukturelemente bei Beschädigung einer Glasfaser-Verbindung auftreten. Anwender können in INA neue Verbindungen mithilfe von Weighted-Shortest-Path hinzufügen und mit einer Bandbreite belegen, um die Verkehrsführung zu ermitteln. Muss eine Stelle des Netzes wegen Wartungsarbeiten stromlos geschalten werden, sehen die Techniker sofort, welcher Knoten und welche Kante im Graph betroffen sind.
Mit dem neuen System kann der Telco-Kunde zukünftig komplexe Abfragen deutlich schneller durchführen. Was früher bis zu einer Woche Zeit und viel Personal in Anspruch nahm, funktioniert jetzt innerhalb von Sekunden. Darüber hinaus schafft das Tool eine neue Dimension der Planungssicherheit: Entscheidungen zum Ausbau und der Optimierung des Netzwerks werden auf Basis von Echtzeit-Daten getroffen, im Vorfeld auf ihre Realisierbarkeit überprüft und Alternativen (Kosten, Zeit, Nutzen) sorgfältig abgewogen.
Intelligente Analysetools helfen somit nicht nur, den 5G- und Glasfaser-Ausbau weiter voranzutreiben, sondern auch die Netzabdeckung insgesamt kontinuierlich zu verbessern und neues Potenzial zukunftsorientiert auszuloten.