HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth beschreibt eine dramatische Lage seiner Mitglieder. Ohne weitere staatliche Hilfen im laufenden Jahr würden sich mehr als 60 Prozent der Innenstadthändler in Insolvenzgefahr sehen. »Hilfen kommen nicht an, Regelungen sind völlig unsinnig, Ausgrenzungen waren und sind an der Tagesordnung«, sagt Timm Homann, Chef des Modehändlers Ernstings Family. Er kritisiert neben der schleppenden staatlichen Hilfe, dass sich die Unterstützung »nicht an dem jeweiligen individuellen Schaden unserer Milliarden-Verluste« orientiere.
Kein Wirtschaftswunder im Lockdown
Der Frust sei auch deshalb so groß, weil die »hervorragend funktionierenden Hygienekonzepte der Branche« von der Politik nicht anerkannt würden, so der HDE. Doppelt bitter: Dass die finanziellen Reserven vieler kleinen Einzelhändler ausgeschöpft sind, liegt auch daran, dass sie nach dem ersten Lockdown vergangenes Frühjahr Geld für Hygienekonzepte ausgegeben hatten, in der Hoffnung, ihre Geschäfte offen lassen zu können. Ausbleibende Hilfsgelder, keine Einnahmen, trotzdem laufende Fixkosten: Der Einzelhandel bangt um seine Existenz, aber immerhin kämpft er noch ums Überleben, wie Kaufleute in Speyer berichten.
An die Politik gerichtet sagt Michael Busch, Geschäftsführender Gesellschafter des Buchhändlers Thalia: »Wer davon spricht, dass die Krise so groß ist wie nach dem Zweiten Weltkrieg, muss auch so handeln – das Wirtschaftswunder wurde nicht im Lockdown erarbeitet«. Busch verweist auf Studien der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) und der Berufsgenossenschaft für Handel und Warenlogistik (BGHW). Sie kommen zum Schluss, dass unter den Beschäftigten des Einzelhandels kein erhöhtes Infektionsgeschehen festgestellt wurde. »Wir wollen an einer Öffnung teilhaben. Einkaufen ist auch in Pandemiezeiten eine sichere Sache«, so Busch.
Der Einzelhandel rückt zusammen und protestiert, die Verbände melden sich angesichts der kommenden Bund-/Länderschalte am 3. März lautstark zu Wort. Sie fordern mindestens eine Öffnungsperspektive für den geschlossenen Einzelhandel. Ein konkreter Stufenplan muss her, wie ihn die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer forderte, während Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann die Hoffnungen des Einzelhandels auf eine schnelle Lockerung der Maßnahmen und Geschäftsöffnungen dämpfte.
Eine Wiedereröffnung der Geschäfte sei nur möglich, wenn die Sieben-Tage-Inzidenz stabil unter 35 liege, zitiert dpa den Grünenpolitiker. Wirtschaftsminister Peter Altmaier will vorab an diesem Freitag mit seinen Länderkollegen über Öffnungen beraten. Eine gemeinsame Linie wird es nicht geben, denn viele Bundesländer sind mit Lockerungen bereits vorgeprescht.