funkschau: Industrielle Produktionsprozesse sind oft komplex und starken Veränderungen unterworfen – es gilt verschiedene Produktlinien im Blick zu behalten, Maschinen werden ausgetauscht, unterschiedliche Daten werden erhoben. Wie kann hier „Predictive Intelligence“ von IS Predict seine Vorteile ausspielen?
Hilt: In der Tat ist die Variantenkomplexität in der Produktion sehr hoch. Jeder weiß dies bei der Automobilindustrie, denn Sie können sich Ihr Auto sehr individuell zusammen konfigurieren. Aber oft sind auch die einzelnen Komponenten einer starken Varianz unterworfen. Ein internationaler Getriebehersteller stellt 700 Varianten her. Spaß macht das nicht, denn jede Variante erhöht die Komplexität in der Produktion. Doch der Markt benötigt diese Flexibilität. Folglich muss auch eine KI-Lösung flexibel sein. Dies bedeutet, dass sich die KI-Lösung an veränderte Situationen anpassen muss. Entweder passiert dieses Anpassen durch Data Scientists, die bewerten, wie sich die Prozessveränderungen auf den digitalen Zwilling auswirken. Ganz nebenbei: Auch das Schlagwort „Digitaler Zwilling“ mag ich nicht. Es ist eher ein digitaler Schatten, was man in den Daten sieht. Vielleicht wird sich der Schatten über die Jahre wirklich zum Zwilling mausern. Sobald der Data Scientist die Veränderungen und deren Auswirkungen verstanden hat, kann er das digitale Abbild anpassen.
Wenn Sie aber aufgrund von ständigen Änderungen eine sehr hohe Dynamik in Ihren Produktionsprozessen haben, also beispielsweise hohe Anzahl von Varianten, viele unterschiedliche Fertigungsmaschinen, die unterschiedlich gewartet oder ausgetauscht werden, etc., dann bräuchten Sie eine Heerschar von Data Scientists, um die Veränderungen immer wieder im digitalen Abbild zu verankern. Das würde einerseits viel Zeit in Anspruch nehmen und andererseits wäre es schlicht und ergreifend für die meisten Branchen und Prozesse zu teuer. Genau hier kommt die Selbstlernalgorithmik ins Spiel. Unsere KI-Lösung Predictive Intelligence wurde genau dafür schon vielfach mit Innovationspreisen ausgezeichnet, denn die Lösung ist adaptiv. Soll heißen: Wir haben KI-Algorithmen entwickelt, die das digitale Abbild immer wieder gegen die sich ändernde Wirklichkeit prüfen und dann – eigenständig – einschreiten. Also das digitale Abbild wird ständig angepasst durch sogenanntes kontinuierliches Lernen. Dies ist in komplexen Prozessen mit dynamischen Einflussfaktoren ein Muss. Sonst haben Sie nicht lange Spaß an Ihrer KI-Lösung.
„Ja, wir machen uns abhängig von Daten. Aber das ist nicht weiter schlimm. In weiten Teilen der Produktion haben wir uns vor ein paar Jahrzehnten abhängig gemacht von der Automatisierung. Ohne Robotereinsatz würde nicht alle drei Minuten ein Auto vom Fließband rollen.“ |
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funkschau: Der Einsatz von KI in der Wartung oder zur Qualitätsoptimierung in der Produktion liegt nahe. Welche Anwendungsszenarien, die vielleicht nicht so offen auf der Hand liegen, gibt es darüber hinaus noch?
Hilt: KI berührt so nach und nach all unsere Lebensbereiche; beispielsweise im Onlinehandel. Jeder kennt die Auflistung, die Amazon und Co. anzeigen, was andere auch noch interessiert hat, die das gleiche gesucht haben wie Sie. Es geht jedoch darüber hinaus: Retouren sind im Onlinehandel ein Riesenthema. Der Wettbewerbsdruck ist hoch und der Onlinehändler muss Kulanz zeigen. In einigen Branchen versucht man, den Kunden besser einzuschätzen, so beispielsweise beim Kleiderkauf. Hier berät die KI, welche Größe am besten passt zum Beispiel aufgrund von bisherigen Bestellungen. Man kann also vermeiden, dass die Bekleidung in zu vielen Größen bestellt wird. Jede Retoure, die eingespart wird, spart dem Onlinehänder direkt bare Münze.
Oder bleiben wir beim Geld: Finanzbereich. Kreditprüfungen sind ja schon lange IT-unterstützt. Scoring-Verfahren helfen dem Kreditsachbearbeiter, ob ein Kredit gewährt werden soll oder nicht. Jedoch sind diese Scoring-Systeme meist regelbasiert. Dies bedeutet, dass diese immer wieder angepasst werden müssen, wenn weitere Einflüsse eine Rolle spielen oder sich existierende Einflüsse verändern. Hier hat man auch schon mit KI versucht, diese Dynamik und Komplexität besser in den Griff zu bekommen. So können Deep Learning-Verfahren gut Komplexität beherrschen. Jedoch haben diese einen Riesennachteil: Deep Learning verwendet normalerweise neuronale Netze. Diese Netze sind jedoch eine Black Box. Sie erfahren nicht, welche Gründe beziehungsweise welche Einflüsse zu der Entscheidung geführt haben. Das ist ein K.o.-Kriterium in der Finanzwelt. Bei der Kreditvergabe muss nachweislich dokumentiert werden, warum ein Kredit nicht gewährt wurde; also welche Risiken zu hoch waren.
Auch hier kommt unsere erklärende KI zur Anwendung. Denn im Gegensatz zu neuronalen Netzen verwenden wir semantische Netze. Diese sind auch dem menschlichen Gehirn abgekupfert. Sie beherrschen hohe Komplexität, aber zeigen auch, warum die KI so entschieden hat. Ein ganz wichtiger Aspekt für die Finanzbranche.
funkschau: Welcher Effekt beziehungsweise welche Effekte lassen sich mit selbstlernender und erklärender KI-Standardsoftware konkret erzielen?
Hilt: Die Liste ist lang; aber um es kurz zu fassen: Prognosen und Aufdeckung der Gründe, warum sich was wie entwickelt, gepaart mit einem Empfehlungssystem für Mensch oder Maschine, wie man steuern soll, damit es besser wird. In der Produktion heißt das, die Qualität hochfrequenter Produktionsschritte in Echtzeit bewerten, die Qualität prognostizieren, gegebenenfalls in die Maschinensteuerung eingreifen, um doch noch gegensteuern zu können und gute Qualität zu erreichen. Natürlich auch das Thema vorausschauende Wartung und Aufdeckung der Gründe, warum manche Maschinen schlechter performen als andere. Automatisiertes Optimierungssystem für die Stromnutzung regenerativer Energien, um beispielsweise mit weniger Energie und weniger CO2 das gleiche zu erreichen. Alles immer mit der Transparenz, warum sich etwas wie entwickelt.
funkschau: Zum Schluss noch eine kleine Prognose mit Blick auf unsere – zunehmend digitalisierte – Gesellschaft: Machen wir uns abhängig von Daten und deren Aufarbeitung? Wird es bald nicht mehr ohne KI gehen?
Hilt: Ja, wir machen uns abhängig von Daten. Aber das ist nicht weiter schlimm. In weiten Teilen der Produktion haben wir uns vor ein paar Jahrzehnten abhängig gemacht von der Automatisierung. Ohne Robotereinsatz würde nicht alle drei Minuten ein Auto vom Fließband rollen. Und ich bin mir sicher: Kein seriöser Mensch würde verlangen, alle Automatisierungen aus der Produktion zu entfernen. Das würde Arbeitsplätze kosten und somit auch das Wohlstandsniveau unserer Gesellschaft deutlich reduzieren. Von daher gilt es, die Daten dem Menschen Nutze zu machen. Und alles mit Maß und Ziel. Hierfür sorgt der Datenschutz und entsprechende Regelungen.
Dass es gar nicht mehr gehen wird ohne KI – nein, das glaube ich nicht. Aber es wird umständlicher ohne KI. Ein banales Beispiel: Natürlich kann man seine Messenger-Nachrichten an Freunde noch mit dem Finger ins Handy tippen. Aber viele von uns nutzen die Sprach-erkennung. Das ist ja auch nichts weiter als KI. Die KI hat also schon im Consumer-Bereich Einzug gehalten, ohne dass das vielleicht jedem bewusst ist. In einigen Business-Bereichen hat die KI auch schon Fuß gefasst, andere Branchen stehen noch ganz am Anfang. Aber ja: Die KI wird weiter ausgebaut – dort, wo es eben Sinn macht.