Die Autoren des Whitepapers „X-Road für Deutschland“ der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit1 stellten der digitalen Verwaltung in Deutschland 2021 kein gutes Zeugnis aus. Zwar sei die Finanzverwaltung – mit Angeboten wie dem Elster-Formular zur elektronischen Bearbeitung und Abgabe von Steuererklärungen – ein „Lichtblick in der deutschen E-Government-Düsternis“. Doch würden sich daran auch symptomatisch die grundlegenden Fehler zeigen, die in der Vergangenheit gemacht wurden: Die Entwicklung dauerte erstens lange. Sie war zweitens nicht nutzergetrieben, sondern eher an den Anforderungen der Verwaltung ausgerichtet. Und drittens wurde zu viel auf Insellösungen gesetzt. Stattdessen müssten laut den Autoren die folgenden Grundvoraussetzungen geschaffen werden, die dann für die Digitalisierung bestehender Prozesse und auch für die Entwicklung neuer Dienstleistungen genutzt werden können:
In allen drei Bereichen gab es in Deutschland trotz Bemühungen keine flächendeckend genutzten Lösungen. So gibt es zwar bereits seit 2010 die Möglichkeit, mit dem neuen Personalausweis auch eine Online-Ausweisfunktion freischalten zu lassen und zu nutzen. Seit die Freischaltung bei der Beantragung eines neuen Personalausweises nicht mehr ausdrücklich beantragt werden muss, wird die eID-Funktion auch zunehmend eingeschaltet. Schätzungen gehen aktuell von rund 33,8 Millionen aktivierten eID-Funktionen in Deutschland aus, knapp über 50 Prozent aller Personalausweise. Aber trotz dieser weiten Verbreitung wird die eID in der Praxis kaum genutzt – Schätzungen gehen von 2,5 bis drei Millionen Transaktionen in 2020 aus. Zum Vergleich: Im viel kleineren Estland wurde allein die eID-Karte im gleichen Jahr rund 344 Millionen Mal eingesetzt. In Schweden wurde die eID-Lösung in 2020 rund 4,8 Milliarden Mal genutzt. Die Bundesregierung versucht dieses Problem in 2021 mit einem Projekt zur besseren Nutzung des elektronischen Personalausweises zu lösen, an dem sich auch private Unternehmen beteiligen. Das Projekt befindet sich aktuell in der Umsetzung, die Erfolgsaussichten sind aus Sicht der Autoren noch nicht absehbar.
Auch an der Anforderung eines Bürgerkontos wird in Deutschland gearbeitet. Einsatzbereit oder gar breit genutzt ist eine mit Estland vergleichbare Lösung allerdings auch bis dato nicht. Das Verwaltungsportal Bund soll einen einfachen Zugang schaffen. Erklärtes Ziel ist es, die Dienstleistungen von Bund, Ländern und Kommunen so zu verknüpfen, dass sich BürgerInnen nur bei einem Nutzerkonto auf einer der drei Ebenen registrieren müssen, um von dort auf alle Dienstleistungen zugreifen zu können. Die Interoperabilität der Konten wurde bis Ende 2021 umgesetzt. Problematisch: Die Länder können sich für diesen Vorschlag zum Teil nicht erwärmen und setzen oftmals auf eigene Lösungen. In Bayern beispielsweise sollen Behörden den Bürgern nur die „BayernID“ als Login-Lösung bieten. Wer zusätzlich die BundID einbauen will, soll laut Medienberichten dafür eine Genehmigung einholen.
Die Verknüpfung der verschiedenen staatlichen Ebenen ist auch deshalb äußerst anspruchsvoll, da es an einem mit der estnischen X-Road vergleichbaren umfassenden Datennetzwerk für die Verbindung verschiedener Behörden fehlt. Dabei wäre ein solches System gerade in einem föderalen Land eine Grundvoraussetzung für alle weiteren Digitalisierungsschritte. Insgesamt fehlt es allerdings an der Interoperabilität der Systeme. Im Laufe der Jahre sind durch den Einsatz unterschiedlicher IT-Systeme unzählige Datensilos auf allen Verwaltungsebenen und in zahlreichen Behörden entstanden, bei denen Schnittstellen für die Verknüpfung fehlen. Die fehlende Dateninfrastruktur hatte und hat in der Corona-Pandemie gravierende Auswirkungen. Das Chaos bei der Weitergabe von Testergebnissen an das Robert Koch-Institut entsteht wohl auch, da es an Schnittstellen für die elektronische Übermittlung mangelt. Der Deutsche Landkreistag forderte beispielsweise nach Berichten des Tagesspiegel den Bund auf, „Schnittstellen und Standards (zu) definieren und entwickeln, um den Austausch der Daten unter den relevanten Akteuren zu gewährleisten“. Ohne diese sei man gezwungen gewesen, Daten per Fax zu übermitteln. (DK)
1 https://shop.freiheit.org/#!/Publikation/1047