Digitale Souveränität von Behörden

Gutachten zur vorrangigen Beschaffung von Open-Source-Software

3. Mai 2023, 8:00 Uhr | Autor: Tillmann Braun / Redaktion: Diana Künstler
© rawpixel/123rf

Um die digitale Souveränität der Verwaltung zu stärken, will die Bundesregierung verstärkt auf Open-Source-Software und offene Standards setzen. Bislang gibt es bundesweit jedoch noch keine konkreten Umsetzungsmaßnahmen. Ein juristisches OSBA-Gutachten soll nun Wege zur raschen Umsetzung aufzeigen.

Laut Koalitionsvertrag will die Bundesregierung die digitale Souveränität deutscher Behörden stärken und dafür bei Softwarebeschaffung und Eigenentwicklungen in erster Linie auf Open-Source-Software setzen. Konkret heißt es dort: „Für öffentliche IT-Projekte schreiben wir offene Standards fest. Entwicklungsaufträge werden in der Regel als Open Source beauftragt, die entsprechende Software wird grundsätzlich öffentlich gemacht.“ Bislang wurden jedoch noch keine Maßnahmen ergriffen, mit denen diese Ziele innerhalb der laufenden Legislaturperiode umgesetzt werden könnten. Dabei gibt es längst bewährte Open-Source-Komponenten sowie Gesamtlösungen, die sich perfekt für den Einsatz im öffentlichen Sektor eignen – und in einigen fortschrittlichen Behörden auch schon erfolgreich genutzt werden.

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Frank Hoberg, Open-Xchange
Frank Hoberg, Vorstand der Open-Xchange: „Nur wer über die verwendete Software die volle Kontrolle hat, kann am Ende auch kontrollieren, wie sicher diese ist.“
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Zahlreiche Experten sind der Meinung, dass quelloffene Open-Source-Lösungen der beste Weg sind, sich als Behörde von einzelnen Anbietern wie US-Konzernen unabhängig zu machen. „Nur wer über die verwendete Software die volle Kontrolle hat, kann am Ende auch kontrollieren, wie sicher diese ist“, erklärt Frank Hoberg vom deutschen Lösungsanbieter Open-Xchange. „Nur das schafft Transparenz, gibt Sicherheit und Vertrauen.“ Hinzu kommt, dass man sich bei Open Source als Anwender flexibel aussuchen kann, mit welchen Anbietern man zusammenarbeiten möchte – und mit welchen nicht. „Unser Schwerpunkt liegt etwa auf den Bereichen E-Mail, Kalender und Kontakte, während andere Komponenten wie Video-Calls oder die Speicherung von sensiblen Daten von anderen Open-Source-Anbietern abgedeckt werden – je nach individuellem Bedarf“, erklärt Frank Hoberg. Bei diesem Best-of-Breed-Ansatz können Behörden oder auch Unternehmen also jederzeit selbst entscheiden, mit welchem Anbieter sie für welchen Zeitraum zusammenarbeiten wollen. Von einzelnen Anbietern und deren Angebot und Preispolitik abhängig werden kann man als Behörde bei Open-Source-Lösungen also nicht.

Einige Bundesländer machen es vor

Peter Ganten, Univention
Peter Ganten, Vorstandsvorsitzender der Open Source Business Alliance (OSBA): „Wir möchten damit (Anm. d Red.: mit dem Gutachten) einen Impuls für die politische Debatte geben, wie Open-Source-Software im Sinne des Koalitionsvertrages tatsächlich gestärkt werden kann.“
© Univention

In einigen Bundesländern ist man diesbezüglich schon weiter als auf Bundesebene. So ist etwas in Schleswig-Holstein und Thüringen der Vorrang für Open-Source-Software und offene Standards bei der Beschaffung bereits verbindlich im E-Government-Gesetz geregelt. Auch andere Bundesländer wie Baden-Württemberg haben diesen Vorrang für Open-Source-Software in Verwaltungsvorschriften verankert. Auf Bundesebene ist es bislang dagegen bei guten Absichten geblieben. „Bisher gibt es noch keine Initiative der Bundesregierung, den Vorrang für Open-Source-Software in der Fläche umzusetzen, obwohl in zahlreichen Beschlüssen der Bundesregierung und des IT-Planungsrats immer wieder bekräftigt wird, dass Open Source der Schlüssel für digitale Souveränität und eine schnellere und nachhaltigere Verwaltungsdigitalisierung ist“, bemängelt Peter Ganten, Vorstandsvorsitzender der Open Source Business Alliance (OSBA). Aus diesem Grund hat die OSBA bei Professor Andreas Wiebe von der Georg-August-Universität Göttingen ein juristisches Gutachten beauftragt1, das der Frage nachgeht, wie das im Koalitionsvertrag formulierte Ziel der Bundesregierung, zur Stärkung der digitalen Souveränität auf Open-Source-Software und offene Standards zu setzen, mit Blick auf Vergabe-, Wettbewerbs-, Kartell- und Verfassungsrecht rechtssicher umgesetzt und in Gesetzesform gegossen werden kann.

Untersuchung führt zu eindeutigen Ergebnissen – und konkreten Lösungsvorschlägen

Die Ergebnisse der Untersuchungen liegen nun vor – und sind eindeutig. Eine generelle Bevorzugung von Open-Source-Software sei nicht nur sinnvoll, sondern erforderlich, um insbesondere Lock-In-Effekten bei Einsatz proprietärer Software entgegenzuwirken und eine langfristige Umstellung der Verwaltung zu bewirken, die für die Erreichung des Ziels der Herstellung digitaler Souveränität der Verwaltung am effektivsten erscheint, heißt es in dem Gutachten.

Im Gutachten werden zudem verschiedene Optionen untersucht, wie eine vorrangige Beschaffung von Open Source vor proprietärer Software gesetzlich verankert werden könnte. Dabei werden jeweils auch die die juristischen Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Varianten beleuchtet. Am Ende kommt das Gutachten dann zu dem Schluss, dass eine Regelung in der Vergabeverordnung oder im E-Government-Gesetz am zielführendsten sei. Sogar konkrete Formulierungsvorschläge für eine mögliche gesetzliche Regelung werden hier bereits formuliert. Dazu gehören:

  • Zur Gewährleistung einer weitreichenden Interoperabilität sind neue Anwendungen und Technologien mit offenen Schnittstellen sowie Standards auszustatten und hierüber nutzbar zu machen. Neue Anwendungen und Technologien sollen möglichst abwärtskompatibel sein.
  • Der Einsatz von Open-Source-Software soll vorrangig vor solcher Software erfolgen, deren Quellcode nicht öffentlich zugänglich ist und deren Lizenz die Verwendung, Weitergabe und Veränderung einschränkt sowie Anwendungen und Technologien eingesetzt werden, die über ihren gesamten Lebenszyklus nachhaltig sind.
  • Bei neuer Software, die von der öffentlichen Verwaltung oder speziell für diese entwickelt wird, ist der Quellcode unter eine geeignete Freie-Software- und Open-Source-Lizenz zu stellen und zu veröffentlichen, soweit keine sicherheitsrelevanten Aufgaben damit erfüllt werden und dies lizenzrechtlich zulässig ist.

Zeit zu handeln

„Mit dem Gutachten liegt jetzt eine juristisch fundierte Grundlage vor, über die man sich austauschen kann“, freut sich Peter Ganten. „Wir möchten damit einen Impuls für die politische Debatte geben, wie Open-Source-Software im Sinne des Koalitionsvertrages tatsächlich gestärkt werden kann.“ Für die digitale Souveränität der Verwaltung sei es zentral, dass eine gesetzliche Regelung noch in dieser Legislaturperiode angegangen werde und es nicht wie in der Vergangenheit nur bei frommen Absichtserklärungen bleibe. Nun ist also die Bundesregierung gefragt, ihre Absichtserklärungen im Sinne aller Behörden und Bürger auch umzusetzen. Dass die digitale Souveränität mittels Open Source durchaus zeitnah und sicher umgesetzt werden kann, beweist schließlich das aktuelle Gutachten.

Tillmann Braun, freier Journalist

1 https://osb-alliance.de/wp-content/uploads/2023/04/2023_Gutachten_Vorrang_OSS_OSBA.pdf


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