funkschau Kommentar

Sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen

30. September 2020, 13:06 Uhr |
© Bruce Rolff - 123RF

Über das Zusammenspiel von Digitalisierung und Klimaschutz – oder wie sich die Lösung für von uns selbst verursachte Probleme gestalten könnte.

Wenn die Corona-Pandemie mir – neben vermehrten Homeoffice-Eindrücken, gesteigerter (Tele-)Kommunikation mit Freunden und Familie und einer neuen Kollektion an Alltagsmasken – etwas gebracht hat, dann die Einsicht, dass alles was wir Menschen tun, Konsequenzen hat. Konsequenzen, die wir manchmal auf den ersten Blick vielleicht nicht absehen können, wie bei der die Nutzbarmachung der Kernspaltung oder den Folgen der Industrialisierung.

Der (alles bestimmende) Faktor Mensch

Ein Beispiel, das diese Binsenweisheit im Besonderen untermauert, ist der Klimawandel. Sicherlich ist die globale Erwärmung nicht ein rein von Menschen gemachtes Phänomen. In der Erdgeschichte hat sich unser Planet schon des Öfteren aufgeheizt. Allerdings nicht in dem dermaßen rasanten Tempo, wie es die vergangenen 200 Jahre der Fall war und vermutlich noch rascher voranschreiten wird. Der Einfluss des Menschen auf seine Umwelt, und die damit einhergehenden biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde, ist mittlerweile –wenn auch oft geleugnet – so doch unbestreitbar dermaßen groß geworden, dass Forscher und Wissenschaftlicher sogar schon dafür plädierten, eine ganze Epoche danach zu benennen: Anthropozän, das Zeitalter der Menschen.  Als Startpunkt des Anthropozäns wird die Mitte des 20. Jahrhunderts gehandelt. Ein markantes Datum wäre der erste Atombombentest am 16. Juli 1945, denn die Folgen lassen sich weltweit auf der Erdoberfläche nachweisen. Wissenschaftler versuchen seither zu klären, welche in den Erdschichten abgelagerten Stoffe als Referenz für das neue Erdzeitalter dienen sollen: etwa eine Kombination von Kunststoff, Rückständen aus Atomwaffen-Tests oder Flugasche aus der industriellen Produktion.

Welch‘ erschreckende Erkenntnis: Der Mensch hat in der kurzen Zeit, die er auf diesem Planeten wandelt, bereits global nachweisbare und teils unumkehrbare Spuren hinterlassen. Das hat er (traurigerweise) den anderen Lebewesen voraus.

In der Not erfinderisch

Wenn man der Menschheit jedoch etwas zugutehalten kann, dann ihren Einfallsreichtum und Erfindergeist – insbesondere in Zeiten der Not. So bergen aus Sicht des Digitalverbands Bitkom digitale Technologien ein enormes Potenzial für den Klimaschutz. Bitkom-Hauptgeschäftsführer Dr. Bernhard Rohleder: „Richtig eingesetzt können wir mit digitalen Lösungen allein in Deutschland den für 2030 prognostizierten Ausstoß an CO₂-Äquivalent um bis zu 37 Prozent senken – etwa durch Smart Grids, automatisiertes Heizen und Kühlen von Gebäuden, smarte Mobilitätsdienstleistungen oder Künstliche Intelligenz in der Industrie, die den Energiebedarf von Anlagen und Maschinen auf ein Minimum reduziert.“ Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie, die das Borderstep Institut, die Universität Zürich und der Bitkom in einer Forschungskooperation durchgeführt haben. Trotz dieser verheißungsvollen Aussichten sollten dabei zwei Dinge nicht außer Acht gelassen werden:

1. Die Ursachen für den CO₂-Ausstoß sind dadurch nicht beseitigt. Die meisten CO₂-Emissionen kommen nach wie vor aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe, also aus der Energieerzeugung. Zu kleineren Teilen sind auch Industrieprozesse, wie die Herstellung von Zement und anderer Baustoffe, dafür verantwortlich. Auch die Landwirtschaft hat großen Anteil an der Freisetzung klimaschädlicher Gase. Auf Platz drei der größten CO₂-Verursacher übrigens hierzulande nach wie vor: der Verkehr, dessen Emissionen im Grunde noch genauso hoch sind wie 1990.

2. Auch wenn die Digitalisierung zum Klimaschutz beitragen kann – zum Beispiel, indem man damit leichter Energiefresser identifizieren kann – so ist sie auf der anderen Seite  auch Mitverursacher der schädlichen Ausstöße. Denn Streamingdienste, E-Autos und Videokonferenzen sind ja schön und gut. Doch die grundlegende Frage in diesem Zusammenhang lautet: Woher kommt der ganze Strom eigentlich? Im Jahr 2014 verbrauchten Rechenzentren weltweit insgesamt 194 Terawattstunden Elektrizität, das entspricht ungefähr einem Hundertstel der weltweiten Energiemenge. Bis 2030 sollen Datenzentren das Fünfzehnfache des heutigen Strombedarfs haben und dann acht Prozent des weltweiten Energieverbrauchs ausmachen. Erschwert werden solche Schätzungen dadurch, dass sich der CO₂-Fußabdruck der Digitalisierung nicht so einfach bestimmen lässt. Die Berechnungsgrundlage für den Klimaeffekt der ganzen Branche ist allein schon deshalb schwierig, weil unter dem gängigen Label „IKT“ sowohl persönliche Geräte wie Smartphones, PCs und sogar Fernseher, als auch besagte Rechenzentren und Verteilertechnik wie Mobilfunknetze fallen. Diese Sparte als Ganzes ist nach Ericsson-Erkenntnissen schon jetzt für 1,4 Prozent der CO₂-Emissionen weltweit verantwortlich, liegt damit in der Klimabilanz etwa gleichauf mit Flugbenzin. Die Branche verantwortet dabei 3,6 Prozent des weltweiten Stromverbrauchs.

Zu den positiven Entwicklungen der vergangenen Jahre gehört allerdings, dass die Geräte kleiner werden  Smartphones sind unter dem Strich in Herstellung und Verbrauch weniger klimaschädlich sind als PCs. Auf der anderen Seite muss man dem entgegensetzen, dass der ganzen Geräte-Industrie ein adäquates Entsorgungs-Bewusstsein abgesprochen werden kann. Das führt wiederum dazu, dass sich immer mehr Menschen dafür interessieren, wie man die Langlebigkeit von Geräten erhöhen, und diese reparieren und klimaschonend austauschen kann…

Wie man es also dreht und wendet: Die Digitalisierung hat – je nachdem, von welcher Seite aus man es betrachtet – stets ihr Gutes und auch Schlechtes. Oder wie es Rohleder vom Bitkom so treffend auf den Punkt bringt: „Klimaschutz und Digitalisierung sind die größten Herausforderungen unserer Zeit. Sie müssen zusammen gedacht und zusammen entwickelt werden.“

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