Wie schnell und wie umfassend ist digitale Souveränität für Deutschland machbar? BSI-Präsidentin Claudia Plattner mahnte unlängst zu mittelfristiger Geduld, was zu einigen Diskussionen führte. Die Open Source Business Alliance legt nun in einem offenen Brief ihre Sichtweise dar.
Claudia Plattner, Präsidentin des Bundesamtes für Sicherheit und Informationstechnik, hatte am 12. August gegenüber der Deutschen Presse-Agentur (dpa) die Einschätzung abgegeben, dass es zwar Fortschritte gebe bei den Bemühungen um digitale Souveränität. Plattner halte es jedoch für unrealistisch, dass Deutschland im Hinblick auf technologische Abhängigkeiten kurzfristig alles selbst machen könne. (connect professional berichtete). Die Berichterstattung mehrerer Medien nahm dabei die dpa-Überschrift auf, in der es hieß, dass die digitale Souveränität für Deutschland vorerst „unerreichbar“ sei.
Wie Plattner gegenüber dpa am 24. August klarstellte, habe sie nie gesagt, „die digitale Souveränität Europas für unerreichbar“ zu halten. In der dpa-Meldung vom 24. August spricht sie zudem von einem doppelten Ansatz des BSI, um digitale Souveränität zu ermöglichen. So heißt es dort, dass dafür einerseits der europäische Markt und die hiesige Digitalindustrie gestärkt werden müssen und zum anderen „außereuropäische Produkte bei Bedarf technisch angepasst oder eingebettet werden“ müssen, um eine sichere und selbstbestimmte Nutzung zu ermöglichen.
Nun schlägt das Wort „unerreichbar“ doch weiter Wellen, es wurde zum Aufhänger eines offenen Briefes der Open Source Business Alliance. Dieser ist auf den 25. August datiert. Unter den rund 59 Mitunterzeichnern sind unter anderem Dirk Schrödter, Minister für Digitalisierung und Medienpolitik in Schleswig-Holstein, Verbände aus Digitalwirtschaft und Zivilgesellschaft sowie Open-Source-Unternehmen, Hochschulen, Professoren und Einzelpersonen.
In dem Schreiben wird im ersten Absatz auf die gemeinsame Einschätzung des Ist-Zustandes von Plattner und der OSBA verwiesen: Dass Deutschland „in zentralen Feldern von US-Anbietern abhängig“ sei.
Plattners Aussage allerdings, dass US-amerikanische Unternehmen im Hinblick auf Investitionen „zehn Jahre voraus“ sei, wird in dem offenen Brief als Marketing-Narrativ bezeichnet, mit dem „Wirtschaft und Verwaltung vom Einkauf europäischer Lösungen“ abgehalten werden sollen. Weiter heißt es im Brief an Plattner: „Dieses Argument wird politisch häufig als Begründung herangezogen, um dringend notwendige Beschaffungs- und Investitionsentscheidungen zu vertagen. In Wirklichkeit könnten viele Abhängigkeiten kurzfristig abgebaut werden, wenn die Politik vorhandene Lösungen auch aus Europa gezielt in Ausschreibungen berücksichtigen und fördern würde.“
Im Brief wird verwiesen auf offene, funktionierende Alternativen und europäische Anbieter, die es in vielen Bereichen wie Cloud, Low-Code, Collaboration oder KI bereits gebe. Es heißt weiter, dass Bundesminister Wildberger im Mai auf der re:publica öffentlich angekündigt habe, „Open Source und offene Standards zum Leitprinzip in der IT-Architektur des Bundes machen zu wollen.“ Voraussetzung sei, dass die öffentliche Hand konsequent auf Open Source setzt. Die Unterzeichner des Briefes seien zudem überzeugt, dass digitale Souveränität möglich sei. „Wir müssen sie nur wollen und beherzt vorantreiben“, steht zum Schluss des Schreibens.
Einer der Unterzeichner des offenen Briefes ist Gernot Hofstetter, Co-CEO von Yorizon und Mitglied der OSBA: „Bereits heute ist Digitale Souveränität für Europa auf Basis der bestehenden Open Source Angebote sehr wohl möglich. Yorizon gehört mit zu den Vorreitern und baut seine Plattform auf eine dieser Open Source Plattformen auf. Wir bieten in Kürze schnell skalierbare digital souveräne IT-Infrastruktur aus Deutschland für Deutschland.“
Der doppelte Ansatz des BSI und die Klarstellung Plattners vom 24. August deuten darauf hin, dass BSI und OSBA nicht so weit auseinander liegen. Ob der zeitliche Rahmen zur Erlangung digitaler Souveränität kurz-, mittel- oder langfristig sein wird, wird vom Maß der Beherztheit abhängen.
Die bereits erfolgte oder zeitnahe Bereitstellung von IT-Infrastruktur aus Deutschland, von der exemplarisch Hofstetter berichtet, lässt hoffen. Und im Idealfall kann das Wort „unerreichbar“ sogar zu einer weiteren Dynamik in Richtung digitaler Souveränität beitragen. Über diese zu diskutieren, ist in jedem Fall ein wichtiger Schritt.