HF- und Mikrowellen-Testgeräte

Grundvoraussetzung für das Quantencomputing

6. September 2023, 10:30 Uhr | Autor: Enrico Brinciotti / Redaktion: Diana Künstler
© Anritsu

Seit Jahren fließen Millionen von Dollar Kapital in Firmen, die sich mit Quantencomputing beschäftigen. Schließlich sollen die Wunderrechner dabei helfen, komplexe Berechnungen in kürzerer Zeit zu ermöglichen. Welche Testlösungen es dafür braucht, verrät Enrico Brinciotti von Anritsu im Interview.

Enrico Brinciotti, Anritsu
Enrico Brinciotti ist EMEA Business Development Manager bei Anritsu mit Fokus auf Produktmarketing, Sales Management und Go-to-Market-Strategie: „Qubits können sich gleichzeitig in einem 0- und einem 1-Zustand befinden, was die Beschränkungen klassischer Berechnungen durchbricht und völlig neue Anwendungsszenarien ermöglicht, die zuvor nicht einmal denkbar waren.“
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connect professional: Was ist der Hauptunterschied zwischen einem klassischen Computer und einem Quantencomputer?

Enrico Brinciotti: Klassische Computer und Supercomputer verwenden beide digitale Bits, um Informationen zu verarbeiten und Berechnungen durchzuführen. Digitale Bits können sich im Zustand 0 oder 1 befinden. Der Hauptunterschied beim Quantencomputer ist der Baustein: Quantenbits, die auch als Qubits bezeichnet werden. Im Gegensatz zu digitalen Bits können Qubits in einer Überlagerung von Zuständen existieren. Anders gesagt: Qubits können sich gleichzeitig in einem 0- und einem 1-Zustand befinden, was die Beschränkungen klassischer Berechnungen durchbricht und völlig neue Anwendungsszenarien ermöglicht, die zuvor nicht einmal denkbar waren.

connect professional: Welche Herausforderungen bringt das Quantencomputing aus Sicht der HF- und Mikrowellen-Hardware mit sich?

Brinciotti: Eine der größten Herausforderungen bei der Entwicklung von Qubits ist die Erforschung und Entwicklung von Gerätemodellen und Materialien, die eingesetzt werden sollen. Sobald das Modell und die Materialien optimiert sind, besteht die nächste Herausforderung darin, die entworfenen Qubits zu entwickeln und zu steuern. Die Manipulation und Kontrolle der Energiezustände von Qubits wird mit komplexen elektromagnetischen Impulsen im Nanosekundenbereich zwischen 2 und 40 GHz erreicht. Die Verwendung supraleitender Qubits ist einer der am weitesten verbreiteten Ansätze zum Bau eines Quantencomputers. Der Quantenprozessor befindet sich am Boden eines Kryostaten bei einer Temperatur von nur 10 mK. Eine große Herausforderung besteht darin, eine gute Verbindung zum Chip sicherzustellen und gleichzeitig Übersprechen und andere Fehler zu minimieren. An der Spitze des Kryostaten, bei Raumtemperatur, liegt der Schwerpunkt auf der Systemleistung, Stabilität, Synchronisation und – mit zunehmender Anzahl der Qubits – der Skalierbarkeit.

Das Qubit-Steuerungssystem ist mit dem Prozessor über eine große Anzahl von HF-Kabeln verbunden, die von der Oberseite des Kryostaten nach oben und unten verlaufen. In den verschiedenen Temperaturstufen des Kryostaten werden Dämpfungsglieder und Filter eingesetzt, um die Wärme in den Kabeln zu minimieren und das Rauschen zu reduzieren. Die HF-Pfade des Kryostaten enthalten häufig auch Verstärker und Zirkulatoren, um das Signal-Rausch-Verhältnis (SNR) zu verbessern und die Messzeiten zu verkürzen. Für jedes Qubit gibt es mehrere Kabel zur Steuerung und zum Auslesen. Ein System mit 50 Qubits erfordert mehr als 120 Kabel. All diese HF-Komponenten und -Pfade müssen so kalibriert werden, dass auf der Ebene des Gesamtsystems der Schwerpunkt auf dem bestmöglichen SNR, einem ausgezeichneten Phasenrauschen und einer geringen Latenz liegt.

connect professional: Mit welchen Testlösungen werden die systematischen Fehler in einem Quantencomputer kalibriert?

Brinciotti: Die Testlösungen werden oben im Kryostat platziert, da sie hauptsächlich bei Raumtemperatur arbeiten. Quantencomputer enthalten viele HF-Pfade mit jeweils mehreren aktiven und passiven Komponenten. Eine große Fehlerquelle sind systematische Fehler, die in der HF-Welt wohlbekannt sind und durch bewährte VNA-Fehlerkorrekturkalibrierungen (Vektornetzwerkanalyse) entfernt werden können. Stimulus und Reaktion werden in der Quantenwelt als Steuerung (Control) und Auslesung (Readout) bezeichnet. Angesichts der großen Anzahl von HF-Kanälen/Pfaden in einem typischen Quantenaufbau sind ein Multiport- oder ein modularer VNA ideal, um die Kalibrierung zu optimieren.

connect professional: Welche anderen HF- und Mikrowellen-Testgeräte werden in einem typischen Quantencomputer verwendet?

Brinciotti: Da Qubits durch Mikrowellenpulse im Bereich von 2 bis 40 GHz angeregt werden, sind häufig Aufwärts- und Abwärtswandler für die Steuerung der Qubits erforderlich. Hier fungieren analoge und digitale Signalgeneratoren als lokale Oszillatoren (LO) für die Auf- und Abwärtswandlungsstufen oder werden verwendet, um die Verstärker in der Kette anzusteuern. Das Stimulus-Signal wird mit einem Vektorsignalgenerator (VSG) entweder intern I/Q-moduliert oder extern über einen Arbitrary Waveform Generator (AWG) erzeugt. AWGs werden manchmal auch verwendet, um eine Einseitenbandmodulation zu erzeugen und ein Qubit mit einer anderen Frequenz als der vom VSG gelieferten Trägerfrequenz zu betreiben. Die für das Auslesen des Qubits erforderlichen Töne werden auf die gleiche Weise erzeugt, und alle resultierenden Träger werden kombiniert, bevor sie in die kryogene Kühlung gelangen. Da Qubits sehr empfindlich auf Phasenrauschen reagieren, müssen die Analog- und Vektorsignalgeneratoren, die die Manipulationssignale liefern, sich durch eine hohe Reinheit des Ausgangssignals auszeichnen. Breitband- und Echtzeit-Spektrumanalysatoren sowie Phasenrauschen-Analysatoren werden verwendet, um die Qualität der erzeugten Signale zu charakterisieren.

connect professional: Welche Zustände oder Parameter werden gemessen?

Brinciotti: Einzel-Qubit-Manipulation mit Mikrowellenimpulsen. Es werden drei Signale benötigt:

  1. (Geformte) Puls-/Basisbandsignale, die auf HF-/Mikrowellenfrequenzen moduliert werden. Der erforderliche Modulationsimpuls kann <10 ns sein, was strenge Anforderungen an die Abtastrate für die Impulserzeugung stellt (>1 GS/s). Die LO-HF- oder Mikrowellenfrequenz liegt zwischen 2 und 40 GHz. Aus rein quantenphysikalischer Sicht ist eine höhere Frequenz besser, da die Energiezustandsdifferenz der Qubits größer wird. Leider bedeutet dies auch einen teureren Versuchsaufbau. Geringes Phasenrauschen und hohe spektrale Reinheit sind für eine Zustandserkennung mit niedriger Fehlerrate erforderlich. Die Feineinstellung der Phase und die Kohärenz zwischen den Oszillationssignalen sind beides äußerst wertvolle Fähigkeiten, da sie erheblich zur Verringerung der Schleifenlatenz beitragen.
  2. Zwischenfrequenzsignale (ZF) (typ. <100 MHz), die auf (dieselbe) HF-/Mikrowellenfrequenz moduliert werden.
  3. DC-Pulssignale für die Tor-/Schaltfunktion

Auslesen des Qubit-Zustands: Die Signale aus dem Kryostaten werden in das Basisband und dann in den digitalen Bereich heruntergewandelt. Bevor die Statusinformationen der Qubits an die Steuerplatine und die Quantenalgorithmus-Software gesendet werden, werden die digitalen Signale häufig so weit wie möglich vorverarbeitet. Dies verringert die Datenverarbeitungslast der Steuerplatine.

Steuerung und Rückkopplungsschleife: Die Steuerplatine empfängt und analysiert die erkannten Qubit-Statussignale und gibt den Qubit-Manipulationsschaltkreisen/-instrumenten Anweisungen für die nächsten Modulationsverfahren.

connect professional: Wie sieht der Signalfluss in einem typischen Quantencomputer aus?

Brinciotti: Ein Quantencomputer arbeitet in einem geschlossenen Kreislauf: Erzeugung von Steuer- und Modulationssignalen, Anwendung dieser Signale auf die Qubits, kontinuierliches Auslesen des Qubit-Status, Analyse der ausgelesenen Signale und Entscheidung darüber, welche Modulations-/Steuersignale als nächstes angewendet werden sollen, usw. Die typische Lebensdauer eines Qubits beträgt etwa 100 s, so dass die Rückkopplungsschleife mit sehr niedrigen Latenzanforderungen arbeiten muss, typ. <1 Mikrosekunde vom Auslesen bis zur Qubit-Steuerung. Jedes Instrument/jeder Funktionsblock in der Schleife muss daher so schnell wie möglich arbeiten.

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  1. Grundvoraussetzung für das Quantencomputing
  2. Das Streben nach einer geringeren Fehlerrate

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