Dies führt natürlich zu einer gewichtigen Frage: Wie wirkt sich das auf die Arbeitsprozesse in den Buchhaltungsabteilungen aus? In diesem Zusammenhang ist ganz klar zu erkennen: Chatbots ergänzen die Abläufe um einen sehr natürlichen Weg des Dialogs und vereinfachen diese – ähnlich wie Buchhaltungssoftware die Buchhaltung selbst vereinfacht. Chatbots automatisieren sich häufig wiederholende Prozesse und überwinden Medienbrüche, indem sie das Abtippen von Papierbelegen durch das Einscannen mit der Smartphone-Kamera und eine Texterkennungssoftware ersetzen. Der Mensch mit seiner Expertise und Kreativität kommt insbesondere in kniffligen Fällen ins Spiel, etwa wenn das System Unstimmigkeiten feststellt oder bei einer komplizierten Abrechnung nicht mehr weiter weiß.
Für den Beruf des Buchhalters hat das selbstverständlich Auswirkungen – aber vor allem positive. Sie können sich dank automatisierter Prozesse verstärkt den interessanten und anspruchsvollen Facetten ihrer Arbeit widmen und diese um ein Vielfaches effizienter erledigen als dies bisher möglich war.
Nicht weniger Arbeit, sondern bessere
Auch andere Tätigkeiten könnten von Chatbots profitieren, etwa in der Personalabteilung. Unternehmen bekommen mitunter auf Stellen hunderte Bewerbungen. Alle ausführlich anzuschauen, ist unmöglich – und auch gar nicht nötig. Denn ein erheblicher Teil der Bewerber scheitert an einfachen Formalien: zum Beispiel an fehlenden Angaben oder am nicht passenden Studienfach. Ein Chatbot, der sich mit dem Bewerber unterhält und ein paar einfache Basis-Fragen zu Beginn des Auswahlprozesses stellt, trennt schnell die Spreu vom Weizen. Ein Mitarbeiter der Personalabteilung müsste diese Routineaufgaben auch erledigen – verbunden mit dem entsprechenden Zeitaufwand. Unterstützt durch automatisierte Prozesse können Personalverantwortliche ihre Kapazitäten nun besser nutzen und die wirklich vielversprechenden Bewerber stärker fokussieren.
Multitalent Multibot
So nützlich sich Chatbots im täglichen Geschäft auch erweisen können, die sprichwörtliche „eierlegende Wollmilchsau“ sind sie nicht. Bei allen Chancen hat die Technologie auch Grenzen. Wer den Einsatz von Chatbots zur Automatisierung betrieblicher Prozesse in Erwägung zieht, sollte deshalb im Vorfeld genau deren Aktionsradius definieren und sich der Limitierungen, die damit verbunden sind, bewusst sein. Alle Antworten, die ein Chatbot gibt, sind in der Regel vordefiniert. Selbst wenn der Algorithmus lernfähig ist, wird ihn ein menschlicher Gesprächspartner leicht an seine Grenzen bringen. Das kann beim Anwender für Frust sorgen und zum Abbruch des Dialogs führen. Der Anbieter der Dienstleistung sollte also klar vorbestimmen, was der Anwender in dem Dialog erledigen kann und was nicht, und ab wann Beratung durch ein menschliches Gegenüber unabdingbar ist. Die Customer Experience sollte insofern immer Gradmesser und Kriterium für den Einsatz von Chatbots sein. Umfragen zeigen, dass eine Mehrheit der Kunden und Anwender Chatbots in der Tat positiv gegenübersteht, sofern sie für Routineaufgaben eingesetzt werden, etwa für die Änderung der Adresse. Komplexere Aufgaben traut man ihnen nicht zu. Auch sollten Unternehmen darauf achten, dass sich nicht das wiederholt, was wir von Smartphone-Apps kennen. Dort gibt es mittlerweile ein unüberschaubares Angebot an Apps, die jeweils für sich genommen ein sehr eingegrenztes Aufgabenspektrum haben und untereinander nur schwer vernetzbar sind. Die Zukunft gehört von daher Multibots. Experten bezeichnen damit Netzwerke mehrerer Bots zu bestimmten Themen. Einem Chatbot, der an die Reisekostenabrechnung angebunden ist, würde dann beispielsweise ein Bank-Bot oder ein Cashflow-Bot zur Seite stehen. Sie tauschen das Wissen aus verschiedenen Quellen automatisiert im Hintergrund aus, ohne dass Anwender hierfür erst bestimmte Prozesse initialisieren müssen. Die Chat-Anfrage „Wurde die Reisekostenerstattung für Hans Mustermann bereits überwiesen?“ würde dann beantwortet mit „Ja, die 234,50 Euro für die Reise nach Berlin, abgerechnet am 12. August, wurden vorgestern überwiesen“.
Oliver Henrich ist Vice President Product Engineering Central Europe bei Sage