Beginnen wir sogleich mit dem Thema Flexibilität, der Paradedisziplin eines SD-WAN. Ohne Zweifel, die Vorteile einer zentralen, automatisierten Steuerung liegen auf der Hand: Fast auf Knopfdruck lassen sich Multi-VPNs aufbauen, Netzdienste hinzuschalten und Cloudservices einbinden. Die automatisierte, zentrale (Um-)Programmierung von Hardwarekomponenten wie Router und Switche, die meist verteilt in Unternehmensniederlassungen oder Filialen stehen, ermöglicht ein problemloses Abkündigen oder Hinzufügen von Standorten – theoretisch jedenfalls, wenn wir eine gegebenenfalls vorhandene Anschlussleitung vor Ort aus der Betrachtung hier ausklammern.
Für Unternehmen, deren WAN eine hohe Dynamik aufweist oder die viele Clouddienste in ihr Netz einbinden möchten, bietet diese Technologie viele Vorteile gegenüber herkömmlichen MPLS-Netzen, die sehr viel starrer daherkommen und aufwendig konfiguriert werden müssen.
Der Betrieb eines SD-WAN kann einige Herausforderungen bieten
Ein Vergleich der Betriebsmodelle liefert dagegen ein eher differenziertes Bild. Zwar haben die Anbieter in der Regel gute Managementtools im Angebot, jedoch sollte die technische Komplexität eines größeren SD-WANs keinesfalls unterschätzt werden! Wer das Netz in der „Do-it-yourself-Betriebsvariante“ betreiben möchte – was von Herstellern oftmals so angepriesen wird – sieht sich etlichen Herausforderungen ausgesetzt: Zum einen ist die Implementierung eines SD-WAN in existierenden Netzwerken anspruchsvoll, schon deshalb, weil man einen vollständig transparenten Überblick über seine Anwendungen haben muss. Dann wäre da noch die Logistik der Infrastruktur, die Anschaffung und Installation sowie die kontinuierliche Analyse und Überwachung des Netzwerkes – alles kein Zuckerschlecken.
Zum anderen gilt es, gute Nerven und gegebenenfalls eine gute Versicherung zu haben, wenn es zu Komplikationen mit der Performance einzelner Anbieter kommt. Ein Multi VPN zeichnet sich ja gerade dadurch aus, dass möglichst viele Wege zur Erhöhung der Verfügbarkeit genutzt werden.
Hierzu ein Beispiel: Kundenlokation A wird von Anbieter 1 mit MPLS versorgt, ein Backup läuft über Anbieter 2 per Mobilfunk (LTE). An Kundenlokation B konnte nur Anbieter 3 ein VDSL zur Verfügung stellen, ein Backup läuft wieder mobil über Anbieter 2. Nun kommt es zu ernsthaften Performanceschwankungen an Lokation A.
Frage: Wie grenzen Sie nun die Leistungen der Anbieter voneinander ab?
Antwort: Das wird selbst in diesem Miniszenario schwierig und die Realität hält meist sehr viel komplexere Architekturen bereit. In der Regel wird jeder das Problem auf den anderen schieben – de facto sind Sie betriebstechnisch in der Steinzeit angekommen. Bei einem klassischen MPLS-Anbieter haben Sie dagegen einen Verantwortlichen für die gesamte End-zu-End-Verfügbarkeit.
Nun könnte man eventuell einwenden, dass man das Netz eben deshalb nicht selbst betreibe, sondern alle Leistungen über ein Systemhaus eingekauft habe. Sicher eine gute Idee, damit hat man zumindest die Verantwortung und den Aufwand delegiert. Jedoch die Physik kann auch das Systemhaus nicht ändern und ein langer Entstörprozess – über verschiedene Anbieter hinweg – nagt an der Verfügbarkeit, egal wer das Netz verwaltet, womit wir beim nächsten Thema angelangt sind.
Auch ein SD-WAN kann aus schlechter Infrastruktur keine hohe Verfügbarkeit zaubern
Die Verfügbarkeit eines Overlay-Netzwerkes wird unmittelbar von dem darunter liegenden Underlay-Netz bestimmt, oder auch im Klartext: Das SD-WAN wird niemals zuverlässiger und breitbandiger sein, als es die physikalischen Anbindungen zulassen. Doch genau von dieser Lebenswirklichkeit koppeln sich viele marketinggetränkte Beiträge ab, suggerieren dem Leser eine Art Wundertüte, die aus drei billigen Zugängen eine Hochverfügbarkeitslösung zaubert.
Pauschale Aussagen, SD-WAN-Netze seien gegenüber MPLS-Netzen zuverlässiger und verfügbarer, sind somit schlicht falsch; denn bei beiden Konzepten ist die Anbindungstechnologie ein entscheidender Faktor, nicht vorrangig die Übertragungstechnik – und diese kann bei beiden gut oder schlecht sein.