Warum sich virtuelle Mauern, die den Zugang zum Internet eingrenzen, zu einem internationalen Trend entwickeln könnten.
Die Erfahrungen, die Menschen in verschiedenen Teilen der Welt mit dem Internet teilen, können sich enorm voneinander unterscheiden. In Westeuropa hat jede Person mit einem Smartphone die Möglichkeit, sich über die Nachrichten des Tages zu informieren und über verschiedene Social-Media-Kanäle wie zum Beispiel Facebook mit Familie und Freunden zu kommunizieren. In China beispielsweise sind die Möglichkeiten deutlich eingeschränkter. Die „Great Firewall“, wie die staatliche Eingrenzung des Internets dort in Anlehnung an die große chinesische Mauer genannt wird, schränkt die Verfügbarkeit für Social Media ein. Freien Zugang zu Webseiten und Inhalten erreicht man nur über die Nutzung von VPN, also die virtuelle Verschleierung des eigenen Standorts.
Ziel dieser digitalen Abgrenzung ist es, Kanäle und Inhalte, die der Bevölkerung zugänglich sind, maximal steuern zu können. China schafft dadurch eine Art „Intranet“, welches sich von dem Internet des Rests der Welt unterscheidet. Man errichtet virtuelle Mauern, um den Bereich dahinter besser kontrollieren zu können. Eine solche Abspaltung könnte nun mehr und mehr Ländern als Vorbild dienen.
Das Internet wird zum Splinternet
Die Idee, eigene Internet-Landschaften zu schaffen, wird auch als „Balkanisierung des Internets“ bezeichnet. Gemeint ist damit, dass je nach Standort des Nutzers unterschiedliche Möglichkeiten zur Verfügung stehen und unterschiedliche Regeln gelten. Das Internet, ursprünglich gedacht als großes, zusammenhängendes Netzwerk, wird somit in verschiedene kleinere und größere Bereiche mit klaren Begrenzungen aufgesplittert (englisch: splinter). Diese Grenzen und Regeln werden dann von den jeweiligen Regierungen festgelegt. Russland folgte mit der Erlassung eines entsprechenden neuen Gesetzes dem Beispiel von China. Ziel ist es, so sind sich Experten einig, die breite Kontrolle der Regierung über die Inhalte, die für Nutzer im Internet abrufbar sind, zu ermöglichen. Länder wie die Türkei oder die Philippinen könnten diesem Trend als nächste folgen.
Die Vereinigten Staaten diskutieren derweil ebenfalls über ihre eigenen Regelungen. Die Netz-Neutralität, also die Verantwortung von Unternehmen zur neutralen Behandlung von Inhalten im Internet, wurde abgeschafft. Das gibt Internetanbietern theoretisch die Möglichkeit, bestimmte Seiten schneller laden zu lassen als andere. Wenn also Firma A dem Internetanbieter Geld dafür geben würde, dass ihr Internetauftritt bei Aufruf schneller geladen wird als der von Konkurrent Firma B, wäre das legal. Dadurch könnte indirekt das Konsumverhalten der Nutzer beeinflusst werden.
Aktuell wird diese Entscheidung zur Netzneutralität gerichtlich angefochten. Auch Staatenverbunde beschäftigen sich mit Regeln rund um die Nutzung des Internets. Durch beispielsweise die Richtlinie zur Datenschutzverordnung der Europäischen Union (in Deutschland die DSGVO) wurden ebenfalls eigene Regeln für den europäischen Binnenmarkt geschaffen. Laut offi-ziellen Sprechern bietet das sogar Vorteile für Internetnutzer und Unternehmen, deren Daten und Datensicherung nun strenger reguliert sind.
Neue Spielregeln wirken auf digitale Entwicklung
International operierende Unternehmen sind gezwungen, auf die neuen und mitunter stark unterschiedlichen Regelungen zu reagieren. Die Datenschutzverordnung forcierte unter anderem international operierende Unternehmen zur Umstrukturierung. Um den neuen Richtlinien gerecht zu werden, eröffneten Datenriesen wie Google und Facebook neuen Rechenzentren in EU-Mitgliedsländern.
An anderer Stelle hat die Abspaltung drastischere Auswirkungen. So zum Beispiel bei der Weiterentwicklung des Internet of Things (IoT), also der Vernetzung verschiedener Einheiten eines Systems miteinander. Diese Vernetzung ist langfristig ausschlaggebend für neue Strömungen in der Industrie und für den Endkunden. Ein Thema, das dadurch in seiner Entwicklung gehindert wird, sind autonom fahrende Automobile. Für eine optimale Funktion eines solchen Autos ist es notwendig, dass viele verschiedene Systeme miteinander kommunizieren. Dabei werden große Mengen an unterschiedlichen Daten von den einzelnen Systemen, wie zum Beispiel den verschiedenen Kameras, untereinander ausgetauscht. Wie diese Kommunikation technisch abgebildet wird, könnte stark von den Regelungen hinsichtlich der Internetnutzung abhängen. Dadurch würden autonom fahrende Autos nur in bestimmten Gegenden funktionieren, für die sie gebaut wurden.