Fraglich scheint ferner, ob der Spagat zwischen Offenheit einerseits und Optimierung für die eigene Hardware andererseits gelingen kann. Oracle will natürlich seine Software auch künftig auf Rechnern anderer Anbieter, etwa Dell oder HP, anbieten und muss sich dort im Wettbewerb behaupten. Der Applikationsserver etwa gegen das Pendant von IBM, die ERP-Suite gegen das entsprechende Paket von SAP. Gartner erwartet, dass Oracle im Wettbewerb zurückfallen wird, wenn das Unternehmen mit der proprietären Optimierung ernst macht. Bei Highend-Servern liegt ohnehin traditionell IBM vorn, bei Unternehmensapplikationen SAP, und in der Speicherwelt gibt es Platzhirsche wie EMC und Netapp. Aber bekanntlich wird selten so heiß gegessen wie gekocht: Möglicherweise fällt die tiefe Integration aus und die Sun-Hardware-Produktlinien bilden bei Oracle künftig einfach einen weiteren Geschäftszweig nachgeordneter Priorität.
Völlig problemlos scheint die Sun-Integration jedenfalls nicht über die Bühne zu gehen. Entgegen anfänglicher Versicherungen stehen nun offenbar doch massive Entlassungen an. Statt der zunächst vorgesehenen 325 Millionen Dollar spricht der Konzern inzwischen von 825 Millionen Dollar für Abfindungen.
Die Rechte an Java hat Oracle durch die Sun-Übernahme mit dazu bekommen. Um eine Aufsplitterung zu verhindern, übt der Java Community Process (JCP) eine Oberhoheit aus. Die umfangreiche Java-Middleware-Palette von Sun dürfte für Oracle nicht sonderlich relevant sein, weil der von BEA übernommene Stapel überlegen ist. Wartung wird jedoch garantiert, um die Kunden nicht zu verprellen und keinen Umsatz auf der Straße liegen zu lassen.
Für Sun hatte Open Source einen visionären Stellenwert bekommen, Oracle denkt hier nüchterner und kaufmännischer. Suns Open-Source-Vordenker, Simon Phipps, hat denn auch schon das Weite gesucht. Die Glassfish-Middleware wird überleben, weil sie die Referenzimplementierung der aktuellsten Java-Spezifikationen darstellt. Ebenso MySQL, weil diese Datenbank eine stattliche Zahl von Benutzern hat und das gemischte Geschäftsmodell nach wie vor funktioniert. Netbeans, im Wettlauf mit IBMs Entwicklerinitiative Eclipse hoffnungslos im Rückstand, soll künftig auf mobile und eingebettete Java-Anwendungen ausgerichtet werden. Die strategische Java-Entwicklungsumgebung für die Middleware-Produktlinie Fusion bleibt das System JDeveloper, das Oracle einst von Borland erworben hatte.
In der absehbaren Zukunft zumindest will Oracle alle Geschäftsaktivitäten von Sun weiterführen. Analyst Chin sieht einige Herausforderungen, die das Unternehmen meistern muss: »Sie müssen die Teile bald zusammenbringen, um wettbewerbsfähig zu bleiben.« Andernfalls drohen Umsatzeinbußen. Die Geschäfte von Sun schleppten sich dahin, bei einer längeren Phase der Orientierungslosigkeit würden mehr und mehr Kunden abspringen und zu Wettbewerbern wie HP, IBM, Dell oder EMC wechseln. Server und in noch größerem Maße Speicher seien Massenware mit relativ geringen Margen. Mögliche Synergien zwischen den Sun-Speichern und den Oracle-Datenbanken sieht der Marktbeobachter nicht.
»Für die Chip-Entwicklung braucht man tiefe Taschen«, weiß Chin. Die hätte Oracle zwar – der Konzern verfügt über geschätzte acht Milliarden Dollar Bargeld –, aber der Analyst zweifelt, ob der neue Eigentümer mit den Sparc-Prozessoren gegen den Marktführer Intel wird bestehen können.