Interview mit Prof. Gunther Olesch

»Wer heute über Fachkräftemangel spricht, verkennt die Lage«

5. Juli 2019, 10:31 Uhr | Corinne Schindlbeck

Fortsetzung des Artikels von Teil 3

Mitarbeiter verlassen ihren Chef, nicht ihr Unternehmen

Es heißt, Mitarbeiter verlassen ihren Chef, nicht ihr Unternehmen. Wie wird man Top-Führungskraft bei Phoenix Contact? Nach welchen Kriterien haben Sie z.B. Michael Heinemann zum neuen CEO Ihrer E-Mobility-Sparte ausgewählt?

Drei Kriterien spielen eine Rolle. Einmal die Passung zu Phoenix Contact, das ist wie bei Blutgruppen. Es geht um die Mentalität, die Philosophie, dass wir eine gemeinsame Sprache sprechen. So etwa spürt man mehr im Bauch als im Gehirn. Dann: Die Führungspersönlichkeit. Hat der- oder diejenige eine natürliche Führungspersönlichkeit, sodass die Leute ihn oder sie akzeptieren?

Vor 20 Jahren gab es ja mal die Diskussion um formelle Führung oder informelle Führung. Ich bin der Meinung, der formelle Führer muss auch gleichzeitig der informelle Führer sein. Bei dem die Leute sagen: Dem oder der folgen wir. Und so eine Persönlichkeit ist Michael Heinemann. Drittes Kriterium: Wird er von den Mitarbeitenden akzeptiert? Viertens: War er als Führungskraft bisher erfolgreich? Michael Heinemann ist ein hervorragender Mann! Das wird im Übrigen auch regelmäßig überprüft, anhand von ca. 50 Fragen bei Great Place to Work: Gibt er mir Feedback? Informiert er mich? Lobt er? Kritisiert er mich sachlich? Das alles wird sehr detailliert abgefragt.

Sie haben 2016 ein Bildungszentrum eröffnet, um Ihre Mitarbeiter zu schulen und die digitale Transformation zu stemmen. Wo stehen Sie damit?

Ja, der absolute Schwerpunkt unserer Bildungsarbeit ist, unsere Mitarbeitenden in der digitalen Transformation mitzunehmen. 14.000 Teilnehmer hat unser Bildungszentrum pro Jahr. Ein großer Schwerpunkt dabei ist immer die Digitalisierung, sie macht einen Großteil aus. Damit sie, um ein Beispiel zu nennen, mit ihrem Pad später eine Produktionsstraße steuern können. Das Schwierige dabei ist, dass Digitalisierung kein messbares Ziel ist, sondern ein Weg, für den es noch keine Erfahrungs-werte gibt. Das verunsichert die Menschen, gerade angesichts von Schlagzeilen über potenziellen, massiven Arbeitsplatzverlust. Umso wichtiger ist es, sie über jeden Schritt, den wir machen, immer gut zu informieren. Das tun wir auf jeder Belegschaftsversammlung und im Mitarbeitermagazin. Dann haben wir Geschäftsführungs-Podcasts: fünf bis acht Minuten, in denen wir, die Geschäftsführung, auch auf die drängendsten Mitarbeiterfragen eingehen. Denn nicht jeder traut sich das vor versammelter Mannschaft. Also hohe Informationsquote, immer gemeinsam mit dem Betriebsrat. Dann Partizipation: Alle Fach- und Führungskräfte, die dafür geschult worden sind, arbeiten daran, unsere digitale Vision zu vermitteln, Entwicklungsschritte zu definieren und den einzelnen Mitarbeitenden gezielt zu entwickeln.

Welche Kompetenzen muss ein Ingenieur heute haben, um für Sie als Arbeitgeber attraktiv zu sein?

Meine Ansicht nach vor allem drei. Erstens: die ernsthafte Bereitschaft zur Veränderung. Zweitens den Mut, neue, unsichere Wege zu gehen. Denn das ist die Digitalisierung. Und drittens sollte er positiv denken können. Das fällt uns Deutschen manchmal etwas schwer, obwohl wir Exportweltmeister sind. Wir jammern etwas zu viel. Ich nenne Probleme lieber Herausforderungen. Und empfehle, fünf Minuten über die Herausforderung zu sprechen und im Anschluss 95 Prozent der Zeit über die Lösung. Das gehört auch zum positiven Denken.

Sie haben keine Fachkompetenz erwähnt?

Soft Skills machen einen Großteil aus, die Fachkompetenz den geringeren. Denn Fachkompetenz kann man schulen. Das müssen wir ohnehin dauernd tun, etwa bei E-Mobility, da gibt es ja für Schnellladetechnik noch überhaupt keinen Lehrstuhl. Und Ingenieure lernen so etwas ja auch schnell hinzu. Aber Mut und positives Denken lässt sich viel schwerer schulen. Denn das liegt in der Persönlichkeit.

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