Das klingt fantastisch, für die Hersteller ebenso wie für die Kunden, die kurzfristig eine Flut von SDN-fähigen Produkten erleben dürften – und es hat ja tatsächlich schon begonnen. Aber bei aller Euphorie muss man sich die Frage stellen, ob diese Vorhersage (zumindest halbwegs) akkurat ist. Stimmen die Zahlen? Ist da so etwas wie der so genannte „Perfect-Storm“, der die existierende Netzwerkindustrie erschüttern wird? Oder ist alles nur ein großer Hype mit nicht viel dahinter?
Mike Marcellin, Senior Vice President, Juniper, nimmt dazu Stellung: „Zur Frage, ob dies ein Perfect-Storm ist oder ein Hype, denke ich, dass das, was mit der Virtualisierung anderer Elemente des Datacenters passierte, eine Menge Vorteile für die Erzeugung von Clouds und agilerer Infrastruktur brachte. Das Netzwerk war bislang irgendwie im Weg und hat ganz bestimmt nicht dazu beigetragen, diese Vorteile vollständig zu nutzen. Aus dieser Perspektive betrachtet sind die Vorteile der Virtualisierung des Netzwerks sicherlich real. Einige der Use-Cases, über die unsere Kunden am meisten erfreut sind, liegen in der Cloud. Das sind Unternehmen, die ihre eigene private Cloud erzeugen, und Service-Provider, die versuchen, ihr Netzwerkangebot in die Cloud auszudehnen.
Wir werden sehen, wie wir tatsächlich wachsen werden, aber ich denke, die Zahlen sind real. Falls unsere Konversationen mit Kunden tatsächlich als Indikator dienen können, gibt es jedenfalls viel Interesse.“
Sunil Khandekar, President und CEO von Nuage Networks, räumt indes ein, dass es rund um SDN eine Menge Hype gibt. Und sein Senior Marketing Director, Houman Modarres, pflichtet bei: „SDN ist ein Parfüm, das heute jeder auf seine Produkte sprüht.“ Beide sehen eher keinen Perfect-Storm. Aber auch Khandekar sagt, dass zumindest SDN absolut real ist: „Für uns geht es bei SDN um die Überbrückung der Lücke zwischen Applikationen und dem Netzwerk, um den Applikationen einen schnellen Konsum des Netzwerks zu ermöglichen und ihnen Sichtbarkeit und Kontrolle zu geben. Wenn man in diesem Kontext darüber nachdenkt, dann ist dieser schnelle Konsum für Applikationen die Cloud. SDN ist absolut real. Und der perfekte Use-Case für SDN ist die Cloud.“
Zwischen den Zeilen räumt auch Dell ein, dass es einen gewissen Hype gibt beziehungsweise gab. Arpit Joshipura, Vice President of Product Marketing: „Ich denke, wir alle haben diese Kreisläufe schon erlebt: Irgendjemand erfindet ein Akronym mit drei oder vier Buchstaben, andere Hersteller greifen es auf, dann ist es weltweit in der Presse, Analysten greifen es auf, Hersteller fragmentieren und positionieren sich und schließlich werden die realen Use-Cases gewinnen.“
Die Open Networking Foundation, kurz ONF, ist eine Organisation, die sich zur Aufgabe gemacht hat, SDN durch die Entwicklung offener Standards zu promoten, voranzutreiben und aufzunehmen. Zu ihren Mitgliedern zählen neben so gut wie allen wichtigen Netzwerkherstellern auch viele Nutzer der Technik, beispielsweise die Deutsche Telekom, Colt, Rackspace, Google, Facebook oder Yahoo. Man kann der ONF also nicht unbedingt nachsagen, die Stimme der Hersteller zu sein, was Aussagen und Kommentaren der ONF einen anderen Twist gibt. Zum gleichen Thema befragt, antwortete Dan Pitt, Executive Director der ONF: „Der perfekte Sturm war dieser Sturm in Boston, tatsächlich eine Kombination aus drei Stürmen: ein Hurricane, ein Sturm aus Nordost und ein typischer Wintersturm aus Nordwest. Was wir gesehen haben in Bezug auf SDN ist, dass SDN aus einem perfekten Sturm verfügbarer Techniken in Kombination mit fortschreitenden Benutzeranforderungen hervorgegangen ist. Die verfügbare Technik ist einerseits die massive Skalierung der Datacenter unter Verwendung kommerzieller Technik für Massenspeicher. Dann haben wir verteilte Systemsoftware, die uns erlaubt, Dinge in einer unglaublichen Größenordnung und mit hoher Zuverlässigkeit zu tun. Wir haben Silizium als Handelsware und mit schnellen x86-Prozessoren eine rapide Paketverarbeitung. Dann haben wir den Mut einiger Universitätsforscher, eine offene Schnittstelle für Netzwerkequipment zu definieren, die es zuvor nicht gab. Eine Schnittstelle, die uns erlaubt, die Control-Funktion aus jeder Box an eine zentrale Stelle zu verschieben. Es ist diese Separation, welche die Sache von dem unterscheidet, was zuvor gekommen ist.
Wir debattieren über die Zentralisierung der Control und denken, die Datacom-Welt hätte soeben das Penizillin erfunden. Tatsache ist aber, dass dieses logisch zentralisierte Control in der Circuit-Switching-Welt und in der Telefonwelt schon seit fast hundert Jahren existiert. Es ist also machbar, wir haben es bisher nur noch nicht angewandt. Zudem glaube ich nicht, dass es jemals nur eine einzige Definition von SDN geben wird. Die essenzielle Komponente ist die Trennung von Forwarding und Control. Aber jedes Unternehmen, das eine Form von SDN einführt, wird seine eigene Definition haben. Mit SDN werden wir jede beliebige Anzahl von Control-Planes erhalten, abhängig von den tatsächlichen Applikationsanforderungen.“
Dave Larson, CTO und Vice President, Hewlett-Packard: „Ich würde sagen, da ist schon eine Menge Hype dabei, aber der Grund für diesen Hype sind ganz reale Anforderungen, und deshalb versucht jeder, auf den SDN-Zug aufzuspringen. Der Grund lässt sich vielleicht am besten mit einem Zitat zusammenfassen: ´Statisch zu bleiben, heißt Grund zu verlieren.‘ Das sagte einer unserer Gründer – David Packard. Netzwerke konfigurieren wir heute so, wie wir sie vor 30 Jahren konfiguriert haben: Mit einer Befehlszeile, mit Scripts und dann mit der Provisionierung durch Menschen. Das skaliert nicht in einer Cloud-Welt. Es skaliert nicht mit den Anforderungen aktueller Datacenter. Deshalb entwickeln wir automatisierte Netzwerkvirtualisierungsfähigkeiten.“