Gaia-X

Das europäische Gegenkonzept

29. November 2021, 13:15 Uhr | Autor: Stefan Adelmann
© Norbert Preiß/funkschau

Zwei Jahre sind seit der Vorstellung von Gaia-X vergangen, lange Zeit blieb es aber still um das europäische Cloud-Vorzeigeprojekt. Doch erste Use Cases zeigen jetzt, dass das Konzept mehr als eine politische Luftnummer sein kann. Nach wie vor gibt es aber offene Fragen und kritische Stimmen.

Auf dem Digital Gipfel 2019 ist Ende Oktober vor zwei Jahren der offizielle Startschuss für Gaia-X gefallen. Ein ambitioniertes, paneuropäisches Projekt. Ziel sollte es sein, gemeinsam eine leistungs- und wettbewerbsfähige, sichere und vertrauenswürdige Dateninfrastruktur für Europa zu errichten, wie die Initiatoren aus Politik und Wirtschaft bekräftigten. Eine grenzübergreifende Vision, vor allem aber auch eine Kampfansage an den dominanten Hyperscaler-Wettbewerb aus den USA und aus China. Während die Politik aber grundsätzliche Offenheit signalisierte, bringt es der deutsche Cloud-Anbieter Ionos ganz konkret auf den Punkt: Es ist das Ziel von Gaia-X, die Abhängigkeit von amerikanischen und chinesischen IT-Anbietern und datengetriebenen, marktbeherrschenden Plattformen zu reduzieren. Allem voran „europäische Werte“ sollen stattdessen maßgeblich sein für das gemeinsame Projekt, wie Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier zum Start bekräftigte. Sein Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) ist wichtiger Treiber des Projektes.

Strategisch stand die Stoßrichtung von Beginn an fest, technisch betrachtet soll Gaia-X wiederum einen dezentralen Ansatz aus Angeboten unterschiedlichster Betreiber verfolgen, die ein übergreifendes, flexibles, auf Open-Source-Technologien basierendes System bilden, in dem eine „leichte Datenmigration“ von Dienst zu Dienst möglich ist. „Das originäre Ziel von Gaia-X ist die Konzeption einer föderierten Dateninfrastruktur mit Fokussierung auf Datensouveränität und Datenverfügbarkeit, basierend auf europäischen Standards und Werten, um so Innovation in Europa zu fördern“, erklärte Andreas Weiss, Geschäftsbereichsleiter Digitale Geschäftsmodelle des in die Planung des Projektes involvierten Verbandes Eco. Gaia-X fokussiere sich demnach auf den Aufbau eines Daten- und Infrastruktur-Ökosystems und erschließe das Potenzial, sich sowohl im europäischen Markt als auch im globalen Wettbewerb zu etablieren und zukünftig bestehen zu können, so Weiss. „Dies ist die Erwartungshaltung aller an dem Projekt Gaia-X Interessierten und Beteiligten, so auch unsere.“

Kaum europäische Alternativen

Es sind vor allem in Hinblick auf die vielerorts bestehenden datenschutzrechtlichen Unsicherheiten chancenreiche Vorsätze, die Gaia-X künftig erfüllen will. Denn selbst wenn sich Unternehmen den beispielsweise durch den US-Cloud Act geschaffenen Grauzonen bewusst sind, gibt es nach wie vor kaum europäische Dienste, die als wettbewerbsfähige Angebote zu den großen Cloud-Providern in den Ring steigen könnten. „Bislang dominieren amerikanische und chinesische Hyperscaler den Markt, weil aus Kundensicht kein passendes Äquivalent aus Europa vorhanden war“, sagte Falk Weinreich, Geschäftsführer OVH Cloud Deutschland, Ende des vergangenen Jahres im Interview. Man müsse, um eine europäische Innovationsführerschaft aufzubauen, auch die technischen Grundlagen selbst aus Europa entwickeln und kontrollieren. „Außerdem wird die technische und finanzielle Umsetzbarkeit schwierig, wenn Kunden in der Zukunft auf eine europäische Cloud umsteigen wollen. Beim Lock-In-Effekt wird meist erst im Nachhinein festgestellt, dass ein Datenexport in eine andere Cloud sehr teuer wird.“ Hinzu komme, dass aufgrund der unterschiedlichen Software-Stacks eine Datenmigration oftmals technisch schlichtweg nicht möglich sei.

Zumindest aus Sicht der europäischen Anbieter mangelt es also kaum an guten Gründen für einen Cloud-Gegenentwurf aus hiesigen Gefilden. Vor allem zu Beginn des Projektes blieben jedoch zahlreiche Fragen offen, wie System und Produkte denn konkret in der Umsetzung aussehen könnten. Und so ließ auch Kritik nicht lange auf sich warten. Die wohl höchsten Wellen schlug dabei vor zwei Jahren wohl die wenig euphorische Einschätzung der ehemaligen Microsoft-Deutschland-Chefin Sabine Bendiek. Sie sprach einem vom Rest der Cloud-Welt isolierten Konzept nur geringe Erfolgsaussichten zu.

Fernab der Frage um das bestehende oder nicht bestehende Potenzial ist kaum von der Hand zu weisen, dass Gaia-X anno 2019 wohl noch nicht mehr als eine interessante Idee, jedoch ohne belastbares Fundament war. Es fehlte vor allem an Praxisbezug, an konkreten Use Cases und letztlich an Produkten. Und auch in den Monaten nach der Ankündigung ging der Prozess allenfalls schleppend voran. Ein selbst gesetzter Termin für die Vorstellung erster Use Cases Ende 2020 wurde nicht eingehalten, bielerorts kamen Zweifel an der grundsätzlichen Umsetzbarkeit von Gaia-X auf. Dass zwischenzeitlich wichtige deutsche Konzerne wie die Deutsche Bahn stattdessen auf US-Hyperscaler setzten, Microsoft am Aufbau drs sogenannten Bundes-Cloud beteiligt ist, bestärkte die Skepsis weiter, dass europäische Cloud-Angebote überhaupt mit den etablierten Riesen mithalten und konkurrieren könnten. „Für die Basisdienste, also die grundlegenden Services der ‚Cloud–Plattform‘, wurde bis zuletzt noch kaum eine Zeile Code verfasst“, kritisierte Maximilian Hille, Head of Consulting des Analysten- und Beratungsunternehmens Cloudflight. Von einem echten Beta-Produkt sei man ebenfalls entfernt. „Während die Cloud-Hyperscaler sich fröhlich mit den anderen Technologie-Riesen der Private Cloud- und Rechenzentrumswelt sowie der Cloud Native Community verbünden, um näher an die Use Cases der Unternehmen zu rücken, beschäftigt sich Gaia-X förmlich mit sich selbst und hat selbst in den eigenen Reihen Kritiker.“ Zwar sagt Hille auch, dass es generell kein Argument gegen eine Public Cloud aus der EU gibt. Aber: „Während in Europa über alles diskutiert wird und neue Papiere entstehen, wird andernorts einfach mal gemacht – mit Erfolg.“

 

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