connect professional: Auf welchen Wissensstand treffen Sie denn in den IT-Abteilungen?
Nietner: Das ist ganz unterschiedlich. In den IT-Abteilungen finden sich oftmals Menschen, die sich privat für Quantentechnologie interessieren und begeistern. Somit sehen wir in den IT-Abteilungen – sicherlich auch aufgrund der technologischen Nähe – durchaus einen zumindest oberflächlichen Kenntnisstand.
Wenn ich unsere Kundenlandschaft grundsätzlich anschaue, beobachten wir zwei vorherrschende Maturitätsstufen: Es gibt zum einen Unternehmen, die davon gehört haben, aber die Technologie noch nicht richtig einordnen können. Diese Unternehmen kommen auf uns zu und wollen dann mit Hilfe unserer Expertise für sich erst einmal ein Verständnis aufbauen.
connect professional: Da geht es dann eher um die Basics?
Nietner: Genau. Da erklären wir viel und helfen erst einmal, diese Technologie zu durchdringen. Also: Wie funktioniert das? Welche Geschäftsfelder, welche potenziellen Anwendungsfälle in meinem Unternehmen könnten davon eventuell betroffen sein? An dem Punkt wird durchaus auch schon mit IT-Abteilungen gesprochen, um zu erfahren, was sie dort brauchen, wo es bei ihnen gerade hakt, welche Anwendungsfälle sie gerne verbessern würden. Da beraten wir und sagen, ob das in die richtige Richtung geht oder eher nicht.
connect professional: Wie sieht die zweite Maturitätsstufe aus?
Nietner: Das sind Unternehmen, die das für sich schon sehr gut verstanden haben. Teilweise haben sie auch schon eine Strategie dahinter entwickelt und angefangen inhouse Teams und Kapazitäten aufzubauen. Da gibt es dann mitunter eigene Quantum-Teams, die sukzessive diese Technologien testen und probieren, was der Mehrwert für bestimmte Anwendungsfälle ist. In diesen Unternehmen wird also Know-how aufgebaut und man versucht, die Mehrwerte greifbar zu machen und zu verstehen.
connect professional: Können Sie anhand eines Anwendungsbeispiels einen Einblick geben in diese zweite Maturitätsstufe?
Nietner: Ein Beispiel wäre BMW. Dort gibt es eine eigene Strategie und ein eigenes Team; wir waren mit unserer Expertise und unserem Know-how unterstützend tätig. Dort ging es darum, ein Optimierungsproblem im Bereich des Fahrzeugtestens zu lösen. Bevor ein neues Auto-Modell in die Produktion kommt, muss das intensiv getestet werden. Einige von diesen Tests sind exklusiv; will heißen: Wenn man mit einem Prototyp einen Crashtest macht, dann kann man damit nicht noch einen weiteren Test machen. Also hat man da eine Art von Planungsoptimierungsproblem: Man hat Tausende oder vielleicht sogar Zehntausende von Tests – wie kann man diese abarbeiten und dabei möglichst wenig Prototypen verbauen?
connect professional: Das heißt, hier geht es um die Reihenfolge der Tests, um mit möglichst wenig Prototypen auszukommen?
Nietner: Richtig, es geht um die optimale Reihenfolge und einen optimalen Testablauf. Viele von diesen Planungsproblemen sind geeignet für Quantentechnologie, zum Beispiel auch in der Produktionsplanung. Die ist zum einen sehr komplex, zum anderen muss ich eventuell auch sehr schnell reagieren können. Wenn irgendwo eine Maschine defekt ist und auf einmal steht das ganze Band still, dann muss man möglichst schnell einen neuen, optimalen Ablauf finden, um das abzufangen. Jede Minute, die das Band nicht läuft, kostet; in der Automobilindustrie kann das in die Millionen gehen.
Ein anderes Beispiel wären Optimierungen im Frachtverkehr. Da geht es unter anderem um die optimal gesteuerte Be- und Entladung von Schiffen in einem Containerhafen. Es gibt Studien, da wurden Quantenrechner für solche Ablaufoptimierungen eingesetzt und dadurch eine Effizienzsteigerung von bis zu 60 Prozent erzielt.
connect professional: Nun hat ein Unternehmen einen Anwendungsfall für sich identifiziert und beschlossen, Quantencomputing anzuwenden. Wie kommt das Unternehmen an die Technologie?
Nietner: Hier ist die Cloud das Stichwort, denn teilweise sind die Aufbauten von Quantenrechnern doch recht sperrig. Zudem müsste erstmal eine Umgebung dafür geschaffen werden. Denn einige dieser Systeme sind sehr empfindlich und müssen möglichst gut gegen Umgebungsstörungen abgeschirmt werden. Eine solche Störung kann beispielsweise ein LKW sein, der drei Kilometer weiter die Straße herunterfährt. Somit ist es nicht so einfach, selber einen Quantencomputer zu betreiben. Der Zugriff auf diese Technologie kann aber über die Cloud erfolgen. Ich gehe davon aus, dass das auf absehbare Zeit erst einmal so bleiben wird. Hierfür kann man Zugänge über eine API direkt beim Hardwarehersteller nutzen. Mittlerweile haben auch die großen Cloud-anbieter wie AWS, Google oder Microsoft eigene Entwicklungsplattformen. Kunden müssen sich also teilweise nicht einmal aus ihren bestehenden Cloud-Infrastrukturen heraus bewegen.
connect professional: Wird denn künftig mehr oder weniger jeder mit einer Arbeitsumgebung zu tun haben, die von Quantentechnologie unterstützt wird?
Nietner: Ich denke, dass das nur eine Zeitfrage ist. Da, wo wir jetzt gerade sind, geht es eher um Nischen und vorwiegend um Industrie-Anwendungen. Aber ich erwarte, dass diese Nischen-Cases künftig breiter werden. Es ist vielleicht vergleichbar mit dem Beginn des Internets: Da war anfangs auch keinem klar, was sich daraus alles entwickeln würde. Ich denke, das ist hier eine ähnliche Perspektive, die man haben muss. Mit Quantenrechnern sind wir noch ganz am Anfang, Anwendungsfelder zu umreißen und greifbar zu machen. Es dürften aber natürlich neue Berufsfelder entstehen. Das sehen wir auch jetzt schon, wie mit den Quantum-Teams in den Unternehmen, von denen ich vorhin sprach. Da ist ein ziemlicher Bedarf an Fachkräften in diesem Bereich.
connect professional: Betrifft dieser Bedarf nur Physiker oder auch andere Berufsgruppen?
Nietner: Für Physiker ergeben sich in jedem Fall neue berufliche Möglichkeiten, was ich persönlich sehr begrüße. Aber auch wenn man meinen könnte, dass vorwiegend Physiker gefragt sein werden: Ich sehe das eigentlich nicht so. Ich denke, es ist tatsächlich ein Teamplay. Diese Technologie tangiert viele unterschiedliche Bereiche und sie bringt Forschungsfelder zusammen, die vorher nicht so viel miteinander zu tun hatten. Dabei wächst aktuell die Informatik mit der Physik sehr stark zusammen; aber auch die Softwareentwicklung, die Mathematik, die Chemie. Da das Ganze software- und hardwareseitig noch so dynamisch in der Entwicklung ist, braucht es auch Informatiker, die sich mit der klassischen Informatik sehr gut auskennen. Das Spannende entsteht genau in den Schnittmengen aus diesen Disziplinen.
connect professional: Werden diese Berufsfelder und die Arbeitsweise anders aussehen als das, was wir bislang kennen?
Nietner: Die Tätigkeit wird sich wohl nicht unbedingt unterscheiden von dem, was zum Beispiel ein Data Scientist oder was im weitesten Sinne ein Softwareentwickler oder ein Softwarearchitekt aktuell macht. Vom Arbeitsablauf und -umfeld ist das durchaus vergleichbar. Es sei denn, es ist jemand, der direkt Quantenrechner baut. Dann mag das etwas anderes sein.