Immersives Arbeiten in der Industrie

Wie wir uns das Metaverse 2030 vorstellen können

13. Juni 2023, 15:00 Uhr | Autor: Azfar Aslam / Redaktion: Diana Künstler
Digitale Zwillinge sind heute schon im Kommen und nehmen als virtuelle Abbilder der physischen Realität erste praktische Anwendungen von Metaversen vorweg.
© Wright Studio

Als kommende Evolutionsstufe des Internets, wie wir es heute kennen, werden Metaversen zunächst in der Industrie eine Vorreiterrolle einnehmen. Welche Bedeutung dabei der Netztechnik zukommt und warum der Weg zu 6G entscheidend ist für die Ära der Metaversen, erläutert folgender Beitrag.

Der Artikel liefert unter anderem Antworten auf folgende Fragen:

  • Welche Branchen tun sich leichter als andere, „auf digital“ umzustellen?
  • Was versteht man unter einem Metaverse?
  • Welche Bedeutung kommt dem Metaverse in der Industrie zu?
  • Welche Voraussetzungen müssen für die Realisierung eines Metaverse vorliegen?
  • Welche Hürden gibt es für das Consumer-Metaverse?

Seit der Corona-Pandemie beschleunigen Unternehmen ihre digitale Transformation in einem Maße, wie es vorher kaum vorstellbar war. Im Fokus: höhere Produktivität, mehr Effizienz und größere Sicherheit. Die Unternehmen setzen dabei auf Technologien wie künstliche Intelligenz, Edge-Cloud-Computing, Software-as-as-Service und nicht zuletzt 5G-Netze. Diese Investitionen werden – verstärkt durch Themen wie Nachhaltigkeit und Cybersicherheit – weitere Innovationen ermöglichen. In der Folge könnte das weltweite BIP bis 2030 nach einer Berechnung von Nokia um 8 Billionen Dollar wachsen1.

Branchen wie der Handel, Medien oder Banken konnten in der Pandemie vergleichsweise schnell „auf digital“ umstellen. In „physischen“ Branchen wie dem verarbeitenden Gewerbe oder dem Transportwesen ist das Potenzial jedoch noch längst nicht ausgeschöpft. Dort wird man die digitale Transformation innerhalb der nächsten zehn Jahre durchlaufen. Künftig wird hier alles ineinandergreifen – mit neuen Ökosystemen aus 5G und Technologien wie Edge-Cloud, Machine Learning, Sensorik und Robotik. Eine der größten Innovationen in diesem Zusammenhang dürften die Metaversen sein.

Laut einer aktuellen Studie von Nokia und EY, bei der 860 Führungskräfte aus verschiedenen Branchen befragt wurden, sind die meisten Unternehmen davon überzeugt, dass das Metaverse im Unternehmens- und Industrieeinsatz einen signifikanten Mehrwert bringen wird. Großes Potenzial erwarten die Befragten beim Einsatz von Augmented Reality in der Aus- und Weiterbildung, aber auch in der virtuellen Forschung und Entwicklung zur Verbesserung von Produktdesign und Prozessen. Dabei sehen die Unternehmen, die bereits industrielle Metaverse-Anwendungen einsetzen, noch mehr Vorteile als die Unternehmen, die sich noch in der Planungsphase befinden.

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Der Aufstieg des Metaverse für Industrie und Unternehmen

Metaversen kann man sich als riesigen digitalen Raum vorstellen, der verschiedene virtuelle Welten miteinander verbindet, in dem wir uns als Individuen bewegen. Gerade in der Industrie ist das Thema Metaverse heute schon aktuell, und zwar durch die Technologie der digitalen Zwillinge (Digital Twins). Mit ihnen können Unternehmen die Grenzen zwischen physischer und digitaler Umgebung zunehmend auflösen. Sie können Projekte virtuell durchführen, bevor sie in der realen Welt umgesetzt werden. Mithilfe von Augmented und Virtual Reality (AR/VR) designen und testen Mitarbeiter die Maschinen, bevor sie in der Produktion eingesetzt werden. Dadurch begrenzen sie Risiken und können Produktionsmengen vorhersagen.

Eine elementare Voraussetzung für Metaversen sind Echtzeit-Netze mit großen Bandbreiten wie 5G und ab den 2030ern auch 6G. In mehreren Branchen gibt es bereits erfolgreiche Beispiele: Ein australisches Bergbauunternehmen setzt Campusnetze statt WiFi ein und kann dadurch die Zahl der drahtlosen Zugangspunkte und den Personalaufwand für die Anlagenwartung um ein massiv senken, was jährliche Einsparungen von 70 Millionen. Euro brachte. In den Niederlanden hat ein landwirtschaftlicher Betrieb mit 5G die „Präzisionslandwirtschaft“ eingeführt. Dort unterscheidet eine Anwendung Nutzpflanzen von Unkraut und löst aus der Ferne das gezielte Bespritzen aus. Das führte zu einer 6,7-fachen Produktivitätssteigerung. Wenn man diese Technologie auf 15 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe weltweit anwendete, steigerte das die Erträge um bis zu 300 Millionen Tonnen und senkte den Wasserverbrauch um bis zu 150 Milliarden Kubikmeter jährlich.

Pekka Lundmark, Nokia
Pekka Lundmark, Präsident und CEO von Nokia
© Nokia

Mit der Möglichkeit, Projekte in digitalen Zwillingen zu initiieren oder zu replizieren, bedeutet das Metaverse Zeitersparnis, geringere Kosten und weniger Risiken. Wie Nokia-CEO Pekka Lundmark 2022 auf dem Brooklyn 6G Summit sagte, ist die Brooklyn Bridge ein gutes Beispiel: Der Bau dauerte im 19. Jahrhundert 14 Jahre und forderte mindestens 20 Tote. Heute wäre der Ansatz ein völlig anderer: Durch 3D-Modellierung in der virtuellen Umgebung können Ingenieure Bauprojekte wie Brücken bis ins kleinste Detail planen und ihren Lebenszyklus bis zu 100 Jahre voraussagen. Das so genannte Unternehmensmetaverse erlaubt allen Beteiligten, die Brücke von überall mitzugestalten. Und das industrielle Metaverse ermöglicht die Vorabfertigung von Brückenteilen mithilfe von KI-gestützten Systemen, während Mitarbeiter in der Produktion die Maschinen über AR- und VR-Anwendungen steuern. Und ist die Brücke gebaut, können Sensoren den Zustand der Brücke in Echtzeit überwachen und die Brücke mit Hilfe von Drohnen und Robotern instand halten. Mit den Metaversen werden auch Neuerungen in Medizin und Wissenschaft schneller vorankommen, um echte Probleme der Welt zu lösen, wie zum Beispiel die Heilung von Krebs oder die Klimakrise: Man könnte dafür etwa Echtzeit-Interaktionen mit digitalen Zwillingen des Klimas nutzen, von jedem Ort der Welt.

Konnektivität im Metaverse: Die Rolle der Netze

Der Zugriff auf das Metaverse erfolgt über intelligente Geräte und Wearables. Sie alle benötigen schnelle, flexible und stabile Konnektivität. Dafür müssen die Netze erhebliche Fortschritte machen in Bezug auf Latenz, Zuverlässigkeit und Geschwindigkeit. Dazu gehört die Abschaltung bzw. das Recycling von 2G- und 3G-Netzen und -Frequenzen zugunsten von Netzen, die auf 5G und später 6G ausgerichtet sind. Entsprechend groß sind die Erwartungen an die Netzbetreiber- und ausrüster. Da sich die Metaversen zunächst stärker auf die Industrie und Unternehmen auswirken werden und weniger auf den Consumer-Bereich, liegt aktuell hier der Fokus.

Ohne fortschrittliche Netze wird es kein Metaverse geben – weder für die Industrie noch für die Verbraucher. Grundlagen dafür sind Systeme wie Campusnetze, 5G-Advanced und 6G, das „Netz der Netze“ und Network-as-a-Service, Edge- und Cloud-Computing, KI und Sensorik sowie Sicherheit und Datenschutz.

Mit diesen und weiteren Technologien werden Metaversen von Grund auf verändern, wie Unternehmen Produkte entwickeln und ihre Kunden erreichen.

Hürden für das Consumer-Metaverse überwinden

Industrie- und Unternehmens-Metaversen werden auch die Grundlage für das entstehende Consumer-Metaverse sein. In der Gaming-Welt sieht man erste Schritte, aber es wird noch viele Jahre dauern, bis Menschen sowohl in einer digitalen als auch in der physischen Realität leben werden. Denn Verbraucher sind sensibel für Themen wie den Preis und die Benutzerfreundlichkeit. Auch Größe, Form und Kosten von VR-Headsets sowie Mobilitätsdefizite bei Erweiterter Realität (XR) stellen Hürden für das Metaverse dar. Erst ab den 2030ern werden 6G-Netze das physische Leben mit dem Digitalen „verschmelzen“. Erst mit diesen Netzen werden Unternehmen auch in der Lage sein, die grundlegende Infrastruktur für Metaversen zu errichten. Programme wie Hexa-X-II, die zweite Phase der europäischen 6G-Initiative, arbeiten dabei heute schon auf gemeinsame Standards hin.

Zusammenarbeit ist der Schlüssel

Prognosen zufolge wird die Metaverse-Wirtschaft bis 2030 ein Volumen von über 824 Milliarden US-Dollar erreichen. Während viele Unternehmen schon jetzt in Technologie investieren, können Metaversen nur dann ihr Potenzial entfalten, wenn alle Akteure zusammenarbeiten, um ein offenes, sicheres und nachhaltiges Ökosystem zu bauen. Nötig sind neben Investitionen technische Anpassungen und große Server, um ein stabiles System und wirklich immersives Erleben zu ermöglichen. IBM beispielsweise verfügt bereits über eine Datenaustauschplattform für digitale Zwillinge. Initiativen wie das „Metaverse Standards Forum“ sollen dazu beitragen, Branchenstandards für die Zusammenarbeit zu definieren.

Auf dem Weg zu 6G wird die digitale Transformation jede Branche erfassen – mit Technologie-Kooperationen und integrierten digital-physischen Ökosystemen. Bis 2030 wird sich alles, was in der digitalen Welt geschieht, auf die physische Welt auswirken und umgekehrt. Jedes physische Objekt, das mit der digitalen Welt verbunden werden kann, wird vernetzt sein. Während viele Menschen das Metaverse als eine neue Plattform sehen, um zu spielen, Inhalte zu konsumieren und sich auszutauschen, werden Unternehmen und ganze Nationen Industrie- und Unternehmens-Metaversen anders nutzen. Sie alle erhalten neue Wege und Räume für Innovation sowie den Betrieb hochkomplexer Technologien.

Azfar Aslam, Chief Technology Officer Europe, Nokia

1 https://connectedtechnologysolutions.co.uk/5g-set-to-add-8-trillion-to-global-gdp-by-2030/


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