Der automatisierte Datenaustausch zwischen vernetzten Systemen in Echtzeit stellt enorme Anforderungen an die Datenqualität. Mit dem Verschwinden von Medien- oder Systembrüchen sinkt zwar nachweislich das Fehlerrisiko, weil manuelle Eingaben von Daten entfallen. Zieht sich ein Fehler jedoch unbemerkt über mehrere Unternehmensebenen, ist der Schaden am Ende mitunter umso größer.
Zur Verdeutlichung: Bei der Eingabe einer Bestellung werden durch einen versehentlichen doppelten Tastendruck statt sechs Paletten 66 Paletten erfasst. Ein solcher Fehler springt einem erfahrenen Mitarbeiter ins Auge. Spätestens in der Arbeitsvorbereitung oder in der Produktion kommt es zu Nachfragen. In einer durchgängig digital vernetzten Produktionsumgebung kann es jedoch sein, dass dieser Irrtum erst auffällt, wenn die produzierte Ware bereit zum Versand ist. Eine erfolgreiche Digitalisierung von Geschäftsprozessen erfordert also mehr als einen nahtlosen Datenaustausch. Der Kern sind die Daten selbst – nur wenn ihre Qualität stimmt, profitiert das Unternehmen von smarten Abläufen. Die Möglichkeiten, mithilfe automatisierter Datenqualitätsprüfungen Prozesse effizienter zu machen, sind heute bereits ausreichend verfügbar.
Systeme durchgehend vernetzen
Das Konzept der Smart Factory basiert auf der Erkenntnis, dass vernetzte und automatisierte Unternehmensprozesse die Geschwindigkeit der Abläufe erhöhen, die Individualisierung zunimmt und dennoch die Gesamtkosten reduziert werden können. In der Realität ist der deutsche Mittelstand von hochvernetzten Maschinen und Systemen jedoch noch weit entfernt. Der FIR e.V. an der RWTH Aachen schätzt, dass jeder Mittelständler heute im Durchschnitt etwa 30 weitgehend nicht vernetzte Systeme als “Datensilos” betreibt. Neben verschenkten Produktivitätsvorteilen birgt eine heterogene Systemlandschaft das Risiko, die geforderte Agilität in einer Industrie 4.0-Welt nicht leisten zu können. Die systemübergreifende Vernetzung wird so zu einer der zentralen Aufgaben für den Fertiger.
Interdisziplinäres Wissen nutzen
Erfolgreiche Industrie 4.0-Konzepte sind ganzheitlich ausgelegt und sollten den Schwerpunkt auf der Markt- und Kundenseite setzen. Ziele sind die Schaffung von Smart Products und Smart Services sowie die Entwicklung disruptiver Geschäftsmodelle. Dies setzt die Fähigkeit von Unternehmen voraus, die Kundenanforderungen und zukünftigen Marktentwicklungen in der Tiefe zu verstehen, die bisherigen Geschäftsmodelle in Frage zu stellen und den Kundennutzen zur Maxime des Handelns zu machen. Daraus leiten sich alle weiteren Maßnahmen innerhalb und außerhalb der Smart Factory ab.
Zur Erstellung einer Digitalisierungsstrategie und Roadmap muss ein hochqualifiziertes und interdisziplinäres Team die Führung übernehmen. Innovationsdrang und Neugierde der Mitarbeiter müssen gefördert, Querdenken ausdrücklich erwünscht und die Führung durchlässig werden. Dieses abteilungsübergreifende Kreativteam, angereichert durch beispielsweise Daten-Scientists, Verfahrensspezialisten und Servicemanager, entwickelt gemeinsam Innovationen, digitale Geschäftsmodelle und tragfähige Industrie 4.0-Konzepte. Aufgabe des Managements ist es, diesen Rahmen zu schaffen. Damit wird die Unternehmensleitung zum Mentor von Industrie 4.0-Ideen, die insbesondere für die Kunden Vorteile bringen müssen.
Natürlich erscheint dies manchem Mittelständler mit Blick auf seine Ressourcen als schwer machbar. Die Mittel sind jedoch nicht entscheidend. Auch ein simpler Mitarbeiterwettbewerb fördert schnell einen Berg interessanter Ideen zutage und sensibilisiert die Mitarbeiter für die anstehenden Veränderungen. Projektmanagementstrategien wie Scrum oder Design Thinking können ebenfalls unterstützen. Denn auf mittlere Sicht ist dies mitentscheidend für die eigene Wettbewerbsfähigkeit in der zukünftigen digitalen Wirtschaft.
Die Industrie 4.0 ist anspruchsvoll, aber machbar. Und sie ist eine Zukunftsaufgabe. Die Marktforscher von IDC schätzen den Zeithorizont auf dem Weg zum Industrie 4.0-nahen Unternehmen auf gut zehn Jahre. Zeit genug, sich den zentralen Herausforderungen wie Datenqualität, Prozessperformance, neue Geschäftsmodelle und dem Aufbau belastbarer ERP-Systeme zu widmen. Abwarten ist allerdings keine Option, denn die Umsetzung von Industrie 4.0 beziehungsweise der Digitalen Transformation braucht viel Zeit.
Michael Finkler ist Geschäftsführer bei ProAlpha