Hinsichtlich der Frage nach den Gründen für die Nachlässigkeit gegenüber den Käufern illegaler Angebote ist die aktuelle Diskussion ein mustergültiges Lehrbeispiel. Gleich mehrere Anwälte haben Videos veröffentlicht, mit denen sie die passende Argumentation liefern, der auch die Gerichte nur zu gerne folgen: Der Kunde habe die entsprechenden Käufe in gutem Glauben getätigt. Einem normalen Verbraucher könne demnach nicht zugemutet werden, das komplexe Lizenzsystem von Microsoft und die zahlreichen Spielarten von Standard über OEM bis hin zu Volumenlizenzen zu durchblicken und unseriöse Angebote zu erkennen. Argumente, die man im Falle eines völlig unbedarften Heimnutzers zumindest ansatzweise nachvollziehen kann. Doch steht ernsthaft zu bezweifeln, dass diese tatsächlich auch die Mehrheit Kunden der fragwürdigen Shops sind. Denn welcher völlig ahnungslose Endnutzer kauft sich tatsächlich mal eben eine neue Windows-Lizenz, um seinen Rechner upzugraden?
Und selbst in solchen Fällen bleibt die Frage bestehen, ob die Kunden wirklich keinerlei Chance hatten, ins Zweifeln zu geraten. Eine kurze Recherche auf Google oder bei einem autorisierten Fachhändler würde meist schon genügen, um – auch ohne die Hintergründe der Softwaredistribution und im Endkundensegment wenig flexible Preisgestaltung zu kennen – erahnen zu können oder eher müssen, dass der geforderte Preis deutlich zu niedrig ist, um noch glaubwürdig zu sein. Dennoch gelingt das offenbar weder den Kunden, noch den Gerichten. Immer wieder folgen diese fast schon blind der beliebten Verteidigungslinie, die Kunden seien bei einem Preis von 2,90 oder auch 29 Euro für eine Windows-10-Lizenz von einem Rabatt ausgegangen. Selbst auf dem Gebrauchtmarkt ist das völlig unrealistisch. Es gibt wohl wenige andere Geschäftsbereiche, in denen bei einem Rabatt von 90 Prozent auf Neuware vom Käufer keine Skepsis gefordert werden kann.
Überträgt man diese Argumentation auf andere Gebiete wie etwa den Autokauf, wird das noch deutlicher. Ein Kunde erwirbt also bei einem Shop auf Ebay einen brandneuen VW Golf für 2.000 Euro statt des Listenpreises von etwa 20.000 Euro. Mit dem ihm postalisch zugestellten Schlüssel fährt er dann einfach ein passendes Fahrzeug vom Hof eines Händlers vor Ort. Anschließend ist er dann völlig überrascht und erbost, dass sich auch die Justiz für das Geschäft interessiert und gibt an, er habe nicht ahnen können, dass hier etwas faul sei. Immerhin hätte er im Netz noch weitere ähnliche Angebote gefunden und sei deshalb von einem üblichen Rabatt oder Abverkauf ausgegangen. Zudem habe der Händler ihm ja völlig seriös angeboten, einfach einen neuen Schlüssel für ein anderes Fahrzeug zu liefern, sollte es Probleme mit dem ersten geben. Man darf wohl mit einiger Sicherheit annehmen, dass diese ausrede vor Gericht nicht so leicht funktionieren würde, wie es das bei Software meist noch immer tut.