Energiebedarf von Rechenzentren

Auf Diät, aber hungrig

16. Juni 2023, 17:51 Uhr | Wilhelm Greiner
© Bitkom

Noch nie hatte der Mensch in wohlhabenden Ländern so guten Zugang zu gesunder Nahrung. Dennoch: „Übergewicht und Adipositas (Fettleibigkeit), das heißt ein Body-Mass-Index (BMI) von mehr als 30 Punkten, haben in den letzten Jahren vor allem in den Industrieländern stark zugenommen“, so Statista Ende 2022. Ähnlich die IT: Nie waren Rechenzentren effizienter – doch RZs werden immer schwergewichtiger und ihr Energiehunger immer größer. Eine Kehrtwende ist nicht in Sicht.

Die Effizienz der Rechenzentren hat sich in den letzten Jahren versechsfacht. Das meldete der Branchenverband Bitkom jüngst unter Berufung auf eine Borderstep-Studie zum deutschen RZ-Markt. Soweit die gute Nachricht. Die schlechte: Die Digitalisierung lässt hierzulande nicht nur die Nachfrage nach Rechenleistung, sondern – wenn auch in etwas abgemilderten Maße – auch den Energiebedarf der Rechenzentren stetig wachsen.

In Zahlen: Laut der Borderstep-Studie „Rechenzentren in Deutschland: Aktuelle Marktentwicklungen – Update 2023“, durchgeführt im Bitkom-Auftrag, hat sich die Anschlussleistung hiesiger Rechenzentren von 2010 bis 2022 mehr als verdoppelt (von 1.131 auf 2.341 MW, ein Plus von 107 Prozent); der Strombedarf stieg im gleichen Zeitraum hingegen laut dem Report nur um 72 Prozent (von 10,4 Milliarden kWh/a 2010 auf 17,9 kWh/a 2022). Unter dem Strich bleibt aber eben dann doch ein Anstieg um mehr als zwei Drittel.

„In der Tat ist der Strombedarf der Rechenzentren weniger stark angestiegen als die Anschlussleistung der IT-Geräte in den Rechenzentren“, sagt Ralph Hintemann, Partner und Senior Researcher am Borderstep Institut. Dies sei im Wesentlichen darauf zurückzuführen, dass die RZ-Infrastrukturen für Kühlung, Klimatisierung und USV (Unterbrechungsfreie Stromversorgung) deutlich effizienter geworden sind.

Einen glorreichen Siegeszug ungehemmten RZ-Fortschritts sieht er hier aber nicht: „Sicher wäre auch noch mehr möglich gewesen. Man hätte schneller effizientere Rechenzentren bauen können und alte ineffiziente Rechenzentren modernisieren oder außer Betrieb nehmen können“, sagt Hintemann. „Allerdings war in der Vergangenheit der Druck zum Energiesparen bei Rechenzentren noch nicht so hoch wie heute. Auch waren die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht so gestaltet, dass sich solche Effizienzmaßnahmen für die Betreibenden von Rechenzentren gelohnt hätten.“

Insbesondere Cloud-Services heizen das Wachstum an, so die Studie: Aktuell machen Cloud-Rechenzentren mit 880 MW Anschlussleistung nach stetigem Aufwärtstrend 38 Prozent des Marktes aus. Traditionelle Rechenzentren liegen unangefochten auf Platz 1, aber irgendwie ist die Luft raus: derzeit 1.360 MW, im Jahr 2020 waren es noch 1.400 MW. Der Edge-RZ-Markt – also Rechenzentren in unmittelbarer Nähe zu den Datenquellen, am (insgesamt recht unscharf definierten) „Netzwerkrand“ – nimmt allmählich richtig Fahrt auf, aber mit 101 MW Anschlussleistung noch auf Höhe der Bordsteinkante.

Unter den hiesigen RZ-Standorten dominiert nach wie vor der Großraum Frankfurt. Schließlich gibt’s da mit dem DE-CIX Europas größtem Netzwerkknoten, was auf RZ-Bereiber wie ein Magnet wirkt: Knapp ein Drittel der deutschen RZ-Kapazitäten befinden sich in der Frankfurter Region. Auf Platz zwei folgt Berlin.

Herausforderung ökologische Wende

Eine weitere gute Nachricht: Ein Großteil der hiesigen RZ-Betreiber bezieht laut Bitkom-Umfrage regenerativ erzeugtem Strom, mindestens die Hälfte der größeren kommerziellen Rechenzentren in Deutschland verfüge über Ökostromverträge. Klimakrise und EU-Klimaziele steigern hier den Druck im Kessel. Dennoch steht man beim Bitkom dem Projekt der Berliner Politik, die ökologische Wende im IT-Markt zu forcieren, mit strengem Blick, hochgezogener Augenbraue und gerunzelter Stirn gegenüber.

Nach den Plänen der Bundesregierung sollen alle deutschen RZs ab 2024 zu 50 Prozent mit Ökostrom laufen, ab 2027 vollständig. „Bis dahin ist die Energiewende in Deutschland nicht umgesetzt und es ist schlicht nicht ausreichend Strom aus regenerativen Quellen verfügbar“, sagt Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder. Die RZ-Branche müsse also überproportional Ökostrom aufkaufen, dieser fehle dann andernorts. „Die selektive Ökostrompflicht für Rechenzentren hat nicht die geringste Auswirkung auf Deutschlands Klimabilanz. Gleichzeitig verschlechtert sie die Standortbedingungen bei uns“, kritisiert Rohleder. Er verweist dabei auf niedrigere Strompreise im Ausland. Trotz hoher deutscher Strompreise platzt aber insbesondere der RZ-Standort Frankfurt aus allen Nähten und treibt den örtlichen Stromversorger Mainova an die Belastungsgrenze.


  1. Auf Diät, aber hungrig
  2. Umstrittene Abwärmenutzung

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