Energiebedarf von Rechenzentren

Auf Diät, aber hungrig

16. Juni 2023, 17:51 Uhr | Wilhelm Greiner

Fortsetzung des Artikels von Teil 1

Umstrittene Abwärmenutzung

Bei der Diskussion um die ökologische Wende im RZ-Markt erhitzt insbesondere die Abwärme die Bitkom-Gemüter, genauer: die in Berlin vorgesehene Vorschrift, dass RZs einen Teil ihrer Abwärme zur Weiternutzung anbieten müssen. 67 Prozent der RZ-Betreiber halten dies laut Bitkom-Umfrage grundsätzlich für richtig.

Das Problem: „Um Abwärme abgeben zu können, braucht es jemanden, der die Abwärme auch tatsächlich abnehmen kann und abnehmen will“, so Rohleder. „Allerdings fehlen vielerorts noch die dafür nötigen Fernwärmenetze der vierten Generation. Bleibt es bei den nun vorgesehenen Regelungen, können neue Rechenzentren zukünftig nur noch dort angesiedelt werden, wo solche Abwärmenetze vorhanden oder verbindlich vorgesehen sind.“ Dabei folge aber die Standortwahl bei Rechenzentren einer anderen Logik als die der Abwärmenetze.

Zudem seien existierende Rechenzentren aufgrund ihrer Kühltechnik nur mit hohem oder gar sehr hohem Aufwand für Abwärmenutzung umrüstbar. „In seiner aktuellen Form würde das Energieeffizienzgesetz den Rechenzentrumsstandort Deutschland gefährden und die Digitalisierung bremsen“, mahnt der Bitkom-Chef. Sein Verband spricht sich deshalb dafür aus, dass sich Deutschland dem Ansatz der EU anschließt und von neuen Rechenzentren eine Kosten-Nutzen-Bewertung der Abwärmenutzung verlangt.

„Die Kritik des Bitkom ist nachvollziehbar“, kommentiert Borderstep-Experte Hintemann. „Die Branche möchte sich ungern feste Kriterien für die Wahl der Standorte der Rechenzentren vorschreiben lassen. Vor allem, wenn diese Kriterien keinen direkten Bezug zum eigentlichen Rechenzentrumsbetrieb haben – und möglicherweise sogar negative Auswirkungen darauf. Das würden auch andere Branchen nicht wollen.“ Für bestimmte RZ-Typen wie Netzknoten in der Telekommunikation sei die Standortwahl zudem wenig flexibel und könne gegebenenfalls keine Rücksicht auf eine mögliche Abwärmenutzung nehmen.

„Das Ziel des Gesetzes, dass vor allem große Rechenzentren künftig nicht dort gebaut werden sollten, wo keine Abwärmenutzung möglich ist, ist aus meiner Sicht richtig und wichtig“, führt Hintemann aus. Die Frage sei, wie sich dies erreichen lässt. „Ich persönlich hätte eine anreizorientierte Regelung besser gefunden“, sagt er. „Es sollte sich für Rechenzentren einfach lohnen, ihre Standorte so zu wählen, dass ihre Abwärme genutzt werden kann. Denkbar wären zum Beispiel feste Vergütungen für die Abwärme, Vergünstigungen bei Strompreisabgaben oder geringere Anforderungen an den klimafreundlichen Strombezug. Auch ein gewisser Nachfragedruck wäre sicher hilfreich – so könnte die umfangreiche Nutzung von Abwärme ein entscheidendes Kriterium bei der öffentlichen Beschaffung von IT-Dienstleistungen sein.“  

„Es gibt eine Vielzahl weiterer Möglichkeiten, die Abwärme aus Rechenzentren zu nutzen, auch wenn kein Fernwärmenetz vorhanden ist“, sagt Ralph Hintemann von Borderstep.
„Es gibt eine Vielzahl weiterer Möglichkeiten, die Abwärme aus Rechenzentren zu nutzen, auch wenn kein Fernwärmenetz vorhanden ist“, sagt Ralph Hintemann von Borderstep.
© Borderstep

Der Blick des Borderstep-Forschers reicht dabei über die heiß diskutierte Fernwärme hinaus: „Es gibt eine Vielzahl weiterer Möglichkeiten, die Abwärme aus Rechenzentren zu nutzen, auch wenn kein Fernwärmenetz vorhanden ist“, sagt er. So reiche manchmal schon eine Nahwärmeleitung, um Wärme ans Ziel zu bringen. Dies könne insbesondere interessant werden, wenn sich kleine Edge-Rechenzentren verbreiten, deren Wärme sich dann in der unmittelbaren Umgebung nutzen lässt.
 
„Neben der Wärmeversorgung von Wohn- oder Bürogebäuden bieten sich aber auch andere Nutzungszwecke an“, wo Hintemann weiter. „Ich denke da an Gewächshäuser, Algenfarmen, Fischzuchten oder Schwimmbäder. Auch möglich sind Anwendungen wie die Trocknung von Holz oder die Unterstützung chemischer Prozesse, die Wärme benötigen.“ Seine Hoffnung: „Wir haben in Deutschland ja viele intelligente Ingenieure – die finden sicher noch viel mehr interessante Lösungen.“

„Energie einzusparen liegt im ureigensten Interesse der Rechenzentren“, sagt Rohleder. Außerdem weist der Bitkom darauf hin, dass das CO2-Einsparpotenzial durch Digitalisierung vielfach größer ist als ihr eigener CO2-Ausstoß, wie die Bitkom-Studie „Klimaeffekte der Digitalisierung“ zeigt. Dennoch muss die Suche nach der optimalen Diät für den Energiehunger und in der Folge CO2-Ausstoß der Rechenzentren weitergehen – schließlich droht der Digitalisierung sonst Treibhausgas-Adipositas. Und das sähe im Spiegel der Nachhaltigkeitsberichte gar nicht gut aus.


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