Bochum hat sich in den letzten Jahren zu einem führenden Standort für IT-Sicherheit und Cybersicherheit entwickelt. Prof. Dr.-Ing. Christof Paar vom Max-Planck-Institut für Cybersicherheit erläutert die Standortvorteile, die Rolle von Forschungseinrichtungen und die Synergien der Region.
Prof. Dr.-Ing. Christof Paar ist Informationswissenschaftler und forscht im Bereich der Cybersicherheit. 1994 promovierte er an der Universität Essen und lehrte 1995 bis 2001 als Professor am Worcester Polytechnic Institute in Massachusetts. Bis 2019 bekleidete er den Lehrstuhl für Embedded Security an der Ruhr-Universität Bochum.
In den Jahren 2008 bis 2009 und 2014 bis 2016 war er als Forschungsprofessor an der University of Massachusetts Amherst tätig. Zusätzlich war Paar von 2004 bis 2007 und von 2010 bis 2012 geschäftsführender Direktor des Horst-Görtz-Instituts für IT-Sicherheit. Er ist Gründungsdirektor des Max-Planck-Instituts für Cybersicherheit und Privatsphäre in Bochum und außerordentlicher Professor an der University of Massachusetts Amherst.
Im Interview mit connect professional zeigt Christof Paar die entscheidenden Standortvorteile auf und beleuchtet die Rolle der Forschungseinrichtungen sowie die Potenziale der Region. Auch geht er auf die Frage ein, warum Bochum in der IT-Branche mehr Aufmerksamkeit verdient.
connect professional: Welche spezifischen Standortvorteile bietet Bochum für IT-Unternehmen im Vergleich zu anderen Städten in Deutschland oder sogar international?
Christof Paar: Bochums Standortvorteile sind:
connect professional: Diesen Vorteilen zum Trotz ist von Bochum allerdings selten die Rede, wenn es um die besten Tech Hubs in Deutschland geht. Oft werden hier eher Berlin, München oder Karlsruhe genannt3. Was meinen Sie, woran das liegt?
Paar: Das ist zum Teil einfach ein Wahrnehmungsproblem: Das Ruhrgebiet, und damit auch Bochum, wird in der öffentlichen Wahrnehmung oft nicht mit High-Tech in Verbindung gebracht. Diese steht im extremen Kontrast zu der technischen und wissenschaftlichen Leistungsfähigkeit. So bewerten die meisten internationalen Wissenschaftler Bochum als den führenden Standort in Deutschland auf dem Gebiet der Cybersicherheit.
connect professional: Ihr Institut befasst sich intensiv mit Kryptografie und digitaler Privatsphäre. Wie wichtig ist der Standort Bochum für den Fortschritt in diesen global relevanten Forschungsfeldern?
Paar: Für uns ist das sehr gut ausgebaute Ökosystem ITS extrem attraktiv (Anm.d.Red.: ITS steht für IT-Sicherheit). Insbesondere die kritische Masse an internationalen Spitzenforscher auf dem Gebiet Cybersicherheit und Privatsphäre. Daneben sind auch die hohen Studentenzahlen in den IST-Studiengängen sehr hilfreich.
connect professional: Bochum als geografische Mitte des Ruhrgebietes: Welche Synergien ergeben sich Ihrer Meinung nach durch diese Lage und die Nähe zu Städten wie zum Beispiel Dortmund, Düsseldorf und Aachen?
Paar: Es gibt eine etablierte Vernetzung von drei großen Universitäten innerhalb des Ruhrgebiets, die Universitätsallianz Ruhr mit der Ruhr-Universität Bochum, TU Dortmund und Universität Duisburg-Essen. Durch diese können die spezifischen Stärken, beispielsweise Software und Human Factors in Duisburg-Essen, ML und AI in Dortmund und Cybersecurity in Bochum sich gegenseitig synergetisch stärken. Zudem gibt es über zehn Hochschulen im Ruhrgebiet und über 200.000 Studierende – einer der größten akademischen Gebiete in Europa!
Bochum liegt zudem zentral in NRW und neben der „lokalen“ Vernetzung im Ruhrgebiet gibt es zahlreiche Kooperationen auf Landesebene im Bereich IT, unter anderem mit Bonn, Köln und Aachen. So können die Stärken des größten Bundeslandes – NRW hat über 18 Millionen Einwohner – ausgespielt werden.
connect professional: Wie bewerten Sie die Entwicklung von Bochum als IT-Standort in den letzten Jahren und welche Schlüsselereignisse haben Ihrer Meinung nach den größten Einfluss auf diese Entwicklung gehabt?
Paar: Bochum hat sehr früh, seit dem Jahr 2001, am Aufbau des Themas ITS gearbeitet. Damals wurden das HGI mit drei Stiftungsprofessuren gegründet sowie die ITS-Studiengänge eingerichtet. Seit dem wurde Cybersicherheit systematisch ausgebaut. Diese lange Aufbauphase hat zu zwei „Paukenschlägen“ geführt, nämlich die Einrichtung des MPI-SP und des Exzellenzclusters CASA – beide sowohl einzigartig in Deutschland als auch international viel beachtet (Anm.d.Red: MPI-SP = Max-Planck-Institut für Sicherheit und Privatsphäre).
„Im nationalen aber auch im internationalen Vergleich hat Bochum gerade im Bereich ITS schon jetzt eine Spitzenposition. In Fachkreisen ist das bereits bekannt, die Herausforderung ist es nun, die Standortvorteile auch außerhalb dieser Kreise zu vermitteln.“ |
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connect professional: Welche Rolle spielen die Hochschulen und Forschungseinrichtungen in Bochum bei der Förderung von Innovationen und der Ausbildung von IT-Fachkräften?
Paar: Wie oben beschrieben hat die RUB die ältesten und größten Studiengänge im Gebiet ITS in Europa, was selbstverständlich ein enormer Standortvorteil ist. Genau dies war auch der Grund der Ansiedlung des Bosch-Tochterunternehmens ETAS auf MARK 51°74. Darüber hinaus hat die RUB zahlreiche Startups im Bereich ITS hervorgebracht, die das Bochumer Ökosystem enorm stärken und attraktiv machen.
connect professional: Inwiefern beeinflussen lokale Förderprogramme, politische Entscheidungen oder städtische Initiativen Ihre Entscheidung, in Bochum zu investieren oder den Standort weiter auszubauen?
Paar: Die Hilfe der Stadt Bochum ist strukturell extrem wichtig für den Ausbau des Ökosystems Cybersicherheit. Eine zentrale Maßnahme ist die Entwicklung des Standortes MARK 51°7. Durch diese können etablierte Firmen wie Bosch/ETAS mit Startups, dem MPI-SP und der Informatik der RUB auf einem gemeinsamen Campus interagieren und Synergien nutzen. Die Stadt Bochum unterstützt aber auch mit Spezialangeboten in der städtischen Verwaltung in Form von englischsprachigen Mitarbeitern und Kitas, was ein großer Standortvorteil bei der Anwerbung internationaler Fachkräfte ist.
connect professional: Wie wichtig sind für Ihr Unternehmen die Vernetzung und Zusammenarbeit mit anderen IT-Unternehmen in Bochum und der Region? Sehen Sie hier noch Ausbaupotenzial?
Paar: Ich bin in einer Forschungseinrichtung tätig. Aus meiner Sicht wäre ein Ausbau der Vernetzung in Anwendungsgebiete der IT und ITS eine tolle Chance, zum Beispiel im Bereich e-Health.
connect professional: Wie bewerten Sie die Lebensqualität in Bochum für Fachkräfte im IT-Bereich? Ist die Stadt attraktiv genug, um Top-Talente anzuziehen und zu halten?
Paar: Bochum hat deutliche Standortvorteile, die mir immer wieder von internationalen Wissenschaftlern genannt werden: Weltoffenheit der Bürger, geringe Miet- und Eigentumspreise, hohe städtische Lebensqualität und Kulturangebote. Woran es mangelt, ist aber der fehlende Bekanntheitsgrad und das Image der Stadt, das die sehr positive Ist-Situation nicht akkurat widerspiegelt.
connect professional: Welche Herausforderungen sehen Sie für Bochum, um sich langfristig als attraktiver IT-Standort zu positionieren?
Paar: Im nationalen aber auch im internationalen Vergleich hat Bochum gerade im Bereich ITS schon jetzt eine Spitzenposition. In Fachkreisen ist das bereits bekannt, die Herausforderung ist es nun, die Standortvorteile auch außerhalb dieser Kreise zu vermitteln.
connect professional: Welche zukünftigen IT-Trends und -Technologien könnten Bochum besonders beeinflussen oder sogar aus der Stadt heraus gefördert werden? Und wie stellen Sie sich auf diese Entwicklungen ein?
Paar: Ausgehend von dem sehr gut entwickelten Ökosystem ITS in Forschung und Unternehmen kann die Stadt Bochum relativ leicht die folgenden Zukunftstrends ausbauen: Ansiedlung von Firmen in „emerging“ IT-Themen wie Machine Learning, Artificial Intelligence, Blockchains oder Quantentechnologie.
1 https://casa.rub.de
2 https://www.eurobits.de/
3 https://www.wirtschaftsdienst.eu/inhalt/jahr/2019/heft/10/beitrag/tech-hub-index-deutsche-staedte-im-vergleich.html
4 https://www.mark51-7.de/