Von Zechen zu Servern

Warum Bochum mehr als nur Kohle zu bieten hat

14. Januar 2025, 8:30 Uhr | Interview: Diana Künstler
© Lutz Leitmann/Stadt Bochum

Obwohl Bochum mit exzellenten Hochschulen, erschwinglichen Lebenshaltungskosten und einer lebendigen Start-up-Szene punktet, wird es oft übersehen. Es ist Zeit, die Stadt ins Rampenlicht zu rücken, sagt Jessika Lüning von G Data. Um das Potenzial zu heben, bedarf es allerdings noch einiger To-dos.

Jessika Lüning konzeptioniert und koordiniert alle Veranstaltungen auf dem G Data Campus, ist Ideengeberin und Ansprechpartnerin für das Start-up-Center „G’85 – Not a Garage“1 sowie Kuratorin des G Data Museums. G Data CyberDefense, 1985 gegründet, ist ein weltweit operierendes IT-Security-Unternehmen mit Sitz in Bochum. Über 550 Mitarbeitende sorgen für die Sicherheit kleiner, mittelständischer und großer Unternehmen und schützen kritische Infrastrukturen und Millionen Privatkunden weltweit vor den Bedrohungen durch Cyberkriminalität. Neben ihrer beruflichen Tätigkeit ist Lüning Mitglied des Kuratoriums der Business Metropole Ruhr2 und engagiert sich unter anderem als ehrenamtliches Beiratsmitglied im Förderverein Palliativstation im EVK Herne3.

Im Interview mit connect professional geht Lüning darauf ein, warum Bochum trotz erschwinglicher Mieten und Top-Universitäten oft übersehen wird – und wie das geändert werden kann.

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Jessika Lüning, G Data
Jessika Lüning, Head of Public Affairs bei G Data, ist überzeugt, dass das Ruhrgebiet  längst nicht mehr nur Kohle und Stahl ist. Bochum habe sich zu einem echten Innovations-Hub entwickelt, der Cybersecurity auf Weltklasseniveau biete. Trotzdem: „Bochum muss sich besser vermarkten, das Malocher-Image abschütteln und sich selbstbewusster auf die Brust klopfen. Gleichzeitig muss die Stadt erreichbar bleiben beziehungsweise erreichbarer werden.“
© Lutz Leitmann/Stadt Bochum

connect professional: Welche spezifischen Standortvorteile bietet Bochum für IT-Unternehmen im Vergleich zu anderen Städten in Deutschland oder sogar international?

Jessika Lüning: Bochum hat eine charmante Größe. Die Wege innerhalb der Stadt sind kurz, man kennt sich untereinander und wird wahrgenommen. Es gibt viele umliegende Städte, aus denen wir Personal gewinnen können. Die zahlreichen Hochschulen der Umgebung bilden exzellenten Nachwuchs direkt hier vor Ort aus. Darüber hinaus gibt es eine überaus lebendige Start-up-Szene, die auch als Innovationstreiber eine Rolle spielt. Im Vergleich zu größeren Zentren sind die Lebenshaltungskosten und Mieten erschwinglich und es ist nicht ganz so schwierig, Büro- oder Wohnraum zu finden, wie zum Beispiel in Köln oder Hamburg. Für manche Unternehmen ist sicher auch die Nähe zu den Niederlanden interessant.

connect professional: Diesen Vorteilen zum Trotz ist von Bochum allerdings selten die Rede, wenn es um die besten Tech Hubs in Deutschland geht4. Oft werden hier eher Berlin, München oder Karlsruhe genannt. Was meinen Sie, woran das liegt?

Lüning: Bochum hat, wie das ganze Ruhrgebiet, mit den Schatten der Vergangenheit zu kämpfen. Auch wenn hier in vielen Bereichen die Transformation von der Schwerindustrie, den Zechen, den rauchenden Schloten, zu modernen Technologiezentren längst gelungen ist, haben viele Menschen noch ein falsches Bild vom Ruhrgebiet im Kopf. Wir müssen unsere Wurzeln nicht verleugnen, aber hier ist es von zentraler Bedeutung, das „Jetzt“ und die Zukunft in den Vordergrund zu stellen und weithin sichtbar zu machen. Wann immer wir Zechenromantik und Industriekultur zelebrieren, laufen wir Gefahr, dass Betrachter von außen solche Bilder für bare Münzen nehmen und denken, hier wird noch Kohle gefördert.

connect professional: Bochum als geografische Mitte des Ruhrgebietes: Welche Synergien ergeben sich Ihrer Meinung nach durch diese Lage und die Nähe zu Städten wie zum Beispiel Dortmund, Düsseldorf und Aachen?

Lüning: Dortmund und die anderen Städte um uns herum sitzen im selben Boot und so herrscht jenseits vom üblichen Kirchturmdenken im gesamten Ruhrgebiet ein starkes Gemeinschaftsgefühl. Außenstehenden ist schwer zu vermitteln, wie fließend die Stadtgrenzen hier ineinander übergehen. An Düsseldorf denke ich eher im politischen Zusammenhang. Es ist gut zu wissen, dass die Entscheiderinnen und Entscheider dort weniger als eine Stunde Fahrzeit von hier entfernt sind und im Großen und Ganzen schon um die Sorgen und Nöte, aber auch um das Entwicklungspotenzial der Region wissen. Die gesamte Region kann aber auf jeden Fall noch viel mehr Unterstützung aus der Landespolitik brauchen.

connect professional: Wie bewerten Sie die Entwicklung von Bochum als IT-Standort in den letzten Jahren und welche Schlüsselereignisse haben Ihrer Meinung nach den größten Einfluss auf diese Entwicklung gehabt?

Lüning: Als IT-Unternehmen der ersten Generation erleben wir die positiven Entwicklungen seit Jahrzehnten mit. Ein Gamechanger war sicher die Gründung des Horst-Görtz-Institutes5 2002. Dass hier seit vielen Jahren Spitzenkräfte im Bereich IT-Security ausgebildet werden, die von hier aus in die ganze Welt ziehen, hat eine enorme Strahlkraft für die Stadt. Das gilt auch für die großartigen Start-ups wie zum Beispiel PHYSEC6 oder die ETAS7, die aus dem dortigen Inkubator CUBE 58 hervorgegangen sind. Glücksfälle wie die Ansiedlung von VW Infotainment und die Wahnsinnsgeschwindigkeit, mit der das ehemalige Opel-Gelände in das Zukunftsgebiet Mark 51/79 umgewandelt wurde, spielen natürlich auch eine große Rolle.

G Data Headquarter in Bochum
Hauptsitz von G Data in der Königsallee 178a in Bochum
© G Data

connect professional: G Data unterstützt auch Start-ups und betreibt ein eigenes Museum zur Geschichte der Cybersicherheit. Wie wichtig ist es für Sie, diese Historie zu bewahren, während Sie gleichzeitig die Zukunft der IT-Sicherheit aktiv mitgestalten?

Lüning: Wir sind hier in der glücklichen Lage, Zeitzeugen, und manchmal auch Treiber bahnbrechender technologischer Entwicklungen der letzten vier bis fünf Jahrzehnte gewesen zu sein. Dass wir heute noch so innovativ sein können, liegt auch daran, dass wir in den vielen Jahren gelernt haben, immer am Puls der Zeit zu bleiben. Wir haben aber auch gelernt, Sackgassen rechtzeitig zu erkennen und mutig die Richtung zu wechseln, wenn es nötig war. An all das erinnert uns unser Museum und wir haben da die eine oder andere Lebensweisheit, die wir auch gern an junge Unternehmen weitergeben (, wenn wir gefragt werden).

connect professional: Welche Rolle spielen die Hochschulen und Forschungseinrichtungen in Bochum bei der Förderung von Innovationen und der Ausbildung von IT-Fachkräften?

Lüning: Die Zeiten, in denen mal als selbstgelernter Quereinsteiger in der IT Fuß fassen konnte, sind lange vorbei. Wir alle brauchen Fachkräfte mit einer State-of-the-Art-Ausbildung, um mit den rasanten Entwicklungen mithalten und Innovationen vorantreiben zu können. Es ist ein Segen hier das Exzellenzcluster CASA an der RUB10 zu haben oder das Max-Planck-Institut für Sicherheit und Privatsphäre11. Hier wird Forschung betrieben, die Weltklasse ist und davon profitieren natürlich die Studierenden und wir als Arbeitgeber somit auch.

connect professional: Inwiefern beeinflussen lokale Förderprogramme, politische Entscheidungen oder städtische Initiativen Ihre Entscheidung, in Bochum zu investieren oder den Standort weiter auszubauen?

Lüning: Für die G Data CyberDefense AG hat sich nie die Frage gestellt, aus Bochum wegzugehen, weil wir hier gefühlsmäßig einfach hingehören. Aber natürlich ist es enorm hilfreich, dass die Stadt Bochum und die Bochum Wirtschaftsentwicklung die Bedeutung und Tragweite des Themas IT-Sicherheit so frühzeitig erkannt haben und sich für unsere Sache so einsetzen. Wir sind Teil eines Netzwerkes, das immer größere Kreise zieht. Für unsere im Durchschnitt sehr jungen Mitarbeitenden ist es darüber hinaus besonders wichtig, dass Bochum eine lebenswerte Stadt für junge Leute ist und bleibt, in der man auch Kinder großziehen und seine Freizeit gut gestalten kann.

connect professional: Wie wichtig sind für Ihr Unternehmen die Vernetzung und Zusammenarbeit mit anderen IT-Unternehmen in Bochum und der Region? Sehen Sie hier noch Ausbaupotenzial?

Lüning: Vernetzung ist extrem wichtig und wenn es um Sichtbarkeit nach außen geht, schaffen wir das nur in der Gemeinschaft. Zum Glück neigt der Ruhrgebietler ja nicht zum Fremdeln und ist offen für Neues. So erleben wir das auch im Umgang der Unternehmen hier miteinander. Es gibt unzählige Vernetzungsformate von der Wirtschaftsentwicklung und der IHK, aber auch anderen Verbänden, wie zum Beispiel dem networker NRW e.V.12 oder Eurobits e.V.13, die sehr gut angenommen werden. Aber das eine oder andere Fachsymposium oder andere Einladungen zu bestimmten Fragestellungen, wären bestimmt hilfreich, um die richtigen Sparringspartner zu finden.

connect professional: Wie bewerten Sie die Lebensqualität in Bochum für Fachkräfte im IT-Bereich? Ist die Stadt attraktiv genug, um Top-Talente anzuziehen und zu halten?

Lüning: Bochum ist eine lebenswerte Stadt. Studierende aus aller Welt verleihen der City internationales Flair, während pfiffige Start-ups, Kulturschaffende, Gastronomen und sonstige Communities sich neue spannende Kieze erschaffen. Wer raus in die Natur will, findet spätestens am Kemnader See alles, was das Herz begehrt. Das Kulturangebot ist vielfältig. Die Wege sind kurz und auch im HealthCare-Bereich ist Bochum spitzenmäßig aufgestellt. Die Leute hier sind freundlich, aufgeschlossen und humorvoll und man kann leicht Anschluss finden. Und es gibt ein breites Stellenangebot, so dass man im Falle eines beruflichen Wechsels nicht gleich auch seinen Lebensmittelpunkt verlegen muss.

G Data
Jessika Lüning (vorne li.) zuammen mit Kollg*innen. Lüning ist überzeugt: „Vernetzung ist extrem wichtig und wenn es um Sichtbarkeit nach außen geht, schaffen wir das nur in der Gemeinschaft. [...] Es gibt unzählige Vernetzungsformate, die sehr gut angenommen werden. Aber das eine oder andere Fachsymposium oder andere Einladungen zu bestimmten Fragestellungen, wären bestimmt hilfreich, um die richtigen Sparringspartner zu finden.“
© Lutz Leitmann/Stadt Bochum

connect professional: Welche Herausforderungen sehen Sie für Bochum, um sich langfristig als attraktiver IT-Standort zu positionieren?

Lüning: Bochum muss sich besser vermarkten, das Malocher-Image abschütteln und sich selbstbewusster auf die Brust klopfen. Gleichzeitig muss die Stadt erreichbar bleiben beziehungsweise erreichbarer werden. Das tägliche Pendlerdrama auf der A 40, Großbaustellen im innerstädtischen Bereich, schlechte Verbindungen mit öffentlichen Verkehrsmitteln und abenteuerliche Radwegeführungen machen Arbeits- und Schulwege zur Herausforderung. Der Mangel an Betreuungsplätzen bereitet jungen Familien Sorgen. Das sind Themen, die nicht vergessen werden dürfen.

connect professional: Wie trägt Bochum als Standort zur Förderung von Events und Netzwerken im Bereich Cybersicherheit bei? Sehen Sie hier noch Potenzial, um die Stadt als zentrale Anlaufstelle für IT-Sicherheitskonferenzen zu positionieren?

Lüning: Wir veranstalten hier auf unserem Campus selbst schon viele, zum Teil auch internationale Konferenzen. Aber wenn die Stadt Bochum die Federführung übernähme, die große lokale IT-Security-Gemeinschaft hinter sich versammelt und alles nach Bochum einlädt, was in der Szene Rang und Namen hat, hätte das sicher eine große Strahlkraft nach außen. In der politischen Wahrnehmung liegen wir in der Sichtbarkeit als IT-Security-Hotspot ja doch immer ein Stück weit hinter anderen Zentren wie zum Beispiel Bonn und Saarbrücken zurück und von daher wäre es ein Traum, wenn so etwas wie der der Cyber-Sicherheitstag der Allianz für Cybersicherheit14 oder der IT Sicherheitstag NRW der IHK NRW und des Westdeutschen Handwerkskammertages15 auch mal in Bochum stattfinden könnten.

connect professional: Welche zukünftigen IT-Trends und -Technologien könnten Bochum besonders beeinflussen oder sogar aus der Stadt heraus gefördert werden? Und wie stellen Sie sich auf diese Entwicklungen ein?

Lüning: Bochum ist beim Thema Cyber-Sicherheit in verschiedenen Bereichen jetzt schon ganz weit vorne. So hat zum Beispiel die PHYSEC GmbH gerade erst den Innovationspreis des Landes NRW für ihre revolutionäre Sicherheitstechnologie für IoT-Geräte bekommen16, während wir uns im Bereich der klassischen IT stetig weiterentwickeln, um den Angreifern immer ein Stück voraus zu sein. Aber wir haben in den letzten 40 Jahren gelernt, dass man Technologien nicht wirklich vorhersagen kann. Möglicherweise bleibt KI das allumfassende Thema, möglicherweise wird es von einem anderen großen Thema abgelöst. Entscheidend ist es, zielgerichtet und trotzdem flexibel zu bleiben.

1 https://www.gdata.ch/g85-not-a-garage
2 https://www.business.ruhr/ueber-uns/kuratorium.html
3 https://foerderverein-palliativ-herne.de/
4 https://www.wirtschaftsdienst.eu/inhalt/jahr/2019/heft/10/beitrag/tech-hub-index-deutsche-staedte-im-vergleich.html
5 https://hgi.rub.de/
6 https://www.physec.de/
7 https://www.etas.com/de/
https://cube-five.de/
9 https://www.mark51-7.de/
10 https://casa.rub.de/
11 https://www.mpi-sp.org/2775/de
12 https://www.networker.nrw/
13 https://www.eurobits.de/
14 https://www.allianz-fuer-cybersicherheit.de/Webs/ACS/DE/Netzwerk-Formate/Veranstaltungen-und-Austausch/Cyber-Sicherheits-Tage/cyber-sicherheits-tage_node.html
15 https://www.it-sicherheitstag-nrw.de/Start.html
16 https://www.physec.de/fileadmin/user_upload/PDF-Download/PHYSEC_Pressemitteilung_Innovationspreis_NRW_2024.pdf


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