Cyberangriffe treffen Unternehmen täglich – doch wer schützt unsere digitale Infrastruktur wirklich? Cyber-Reservisten wie Ben Wetter kombinieren militärisches Denken mit IT-Expertise und zeigen: Resilienz beginnt dort, wo Verantwortung übernommen wird.
Cyberangriffe sind längst keine Ausnahme mehr – sie sind Teil eines systematischen Dauerbeschusses auf Unternehmen, Behörden und kritische Infrastrukturen. Doch im Schatten der sichtbaren IT-Abwehr arbeiten stille Kräfte an der digitalen Verteidigung Deutschlands: die Cyber-Reservisten. Einer von ihnen ist Ben Wetter, Oberstleutnant der Reserve und Gründer der Cyber-Reservistenarbeitsgemeinschaft Hamburg.
„Cybersicherheit ist eine gesamtstaatliche Aufgabe“, betont Ben Wetter im Gespräch mit connect professional. Sein Weg in die Cyber-Reserve begann während der Corona-Pandemie. Heute bereitet er NATO-Übungen vor, analysiert Bedrohungsszenarien und koordiniert ein wachsendes Netzwerk aus IT-Profis, Forschenden und Sicherheitsverantwortlichen, die sich ehrenamtlich für die digitale Verteidigung Deutschlands engagieren. Was auf den ersten Blick nach Drill und Befehl klingen mag, entpuppt sich in Wetters Auslegung als praxisorientiertes Krisenmanagement. Militärische Methoden wie das Drei-Alpha-Prinzip oder die FOR-DEC-Entscheidungslogik bieten klare Rollen, Zielorientierung und iterative Bewertung – ein Vorteil auch für jede IT-Organisation, die in stressigen Lagen rasch handeln muss. Für Entscheider im B2B-Umfeld ergibt sich daraus ein wertvoller Impuls: Cybersicherheit ist keine rein technische Disziplin, sondern eine Führungsaufgabe.
Die Cyber-Reservisten sind zudem keine Berufssoldaten, sondern „Bürger in Uniform“. Ihre Mission reicht von virtuellen NATO-Manövern über Deepfake-Analysen bis hin zur Simulation hybrider Angriffe auf kritische Infrastrukturen wie den Hamburger Hafen. Dabei bringt jeder seine Expertise ein – ob CISO, Mathematikerin oder KI-Entwickler. In virtuellen Trainingsumgebungen – sogenannten Cyber-Ranges – werden realistische Angriffsszenarien simuliert, etwa bei der NATO-Übung „Locked Shields“. In Kooperation mit dem Kommando Cyber- und Informationsraum der Deutschen Bundeswehr (Bonn) arbeiten die Teams auch an eigenen Werkzeugen, etwa einem Prototyp zur automatisierten Lagebilderkennung militärischer Ausrüstung mittels KI.
Zugleich mahnt Wetter, dass Unternehmen – insbesondere im Mittelstand – Cybersicherheit noch immer zu selten als strategisches Thema begreifen. „Oft reicht ein ungenutzter Admin-Account oder eine offene RDP-Schnittstelle und die Tür steht offen“, warnt er. Statt präventiv zu investieren, werde häufig nur reagiert. Die Folge: fatale Ausfälle, Datenabflüsse, Imageschäden. Dabei sei es gerade für kleinere Unternehmen entscheidend, in die eigene digitale Resilienz zu investieren – nicht nur mit Firewalls, sondern mit Führungsstrukturen und Fehlerkultur. „Cybersicherheit ist in vielen Unternehmen noch nicht im Top-Management angekommen“, gibt Wetter zu bedenken. Seine Firma BW Acht Cyber Security unterstützt Firmen bei der Risikobewertung, Aufbau von Security Operations und Schulung des Managements – mit einem entscheidenden Vorteil: der Verbindung aus ziviler Beratungserfahrung und militärisch geprägter Krisenresilienz.
Vor dem Hintergrund, dass in vielen Firmen noch Nachholbedarf herrscht, begrüßt der Cyber-Reservist auch aktuelle EU-Initiativen wie die NIS2-Richtlinie und die DORA-Verordnung: „Wer viele Unternehmen erreichen will, braucht klare Vorgaben.“ Zwar hinke Deutschland in der Umsetzung noch hinterher, doch er sieht darin auch eine Chance: „Vielleicht machen wir es dafür besser.“ Richtlinien könnten Unternehmen zu einem Mindestmaß an Vorbereitung zwingen. Wichtig in einer Zeit, in der KI und automatisierte Angriffswerkzeuge neue Risiken erzeugen.
Große Sprachmodelle wie ChatGPT verändern das Risikoprofil digitaler Infrastrukturen rasant. Exploits lassen sich heute mit wenigen Klicks automatisieren, auch durch technisch weniger versierte Akteure. „Wir haben erlebt, dass Skripte, die durch generative KI-Modelle erstellt wurden, innerhalb weniger Stunden funktionsfähig waren – inklusive Code-Optimierung“, berichtet Wetter. Umso wichtiger sei der verantwortungsvolle Umgang mit KI-gestützten Werkzeugen. „Wer KI nur als Werkzeug sieht, vergisst die Verantwortung. Technik allein schafft keine Sicherheit.“ Zugleich setzen die Cyber-Reservisten KI auch zur Verteidigung ein, etwa zur Erkennung von Anomalien, zur Analyse von Desinformationskampagnen oder zur Simulation neuer Angriffsformen.
Die Cyber-Reservisten widmen sich auch ethischen und gesellschaftlichen Fragen: Welche Rolle spielen Moral und inneres Werteverständnis im digitalen Raum? Wie lässt sich verhindern, dass Nachwuchstalente auf die „dunkle Seite“ der IT wechseln – nicht aus Böswilligkeit, sondern aus Opportunismus? Der Blick in die Realität zeigt: Schon heute werde es gesellschaftlich vielfach akzeptiert, mit zweifelhaften Mitteln digitalen Profit zu machen. „Das prägt auch die nächste Generation und wir brauchen ein Gegengewicht dazu.“ Wetter sieht in seiner Community genau dies: einen Raum für kritischen Austausch, Teamgeist, Kameradschaft. „Wir brauchen Menschen, die nicht weglaufen, wenn’s hart wird. Die nicht nur Ja sagen, stumpf Excel-Tabellen abarbeiten oder Angst vor Fehlern haben – sondern mitdenken. Und die bereit sind, Verantwortung zu tragen.“
„Wir brauchen Menschen, die nicht einfach abnicken, was von oben kommt, sondern die sagen: ‚Technisch ist das Quatsch. Ich mache das anders – effizienter, sicherer.‘ Das bringt uns weiter als jeder Plan aus der Führungsetage.“ |
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Diese Haltung zeigt sich auch in der Rekrutierung. Wer sich engagieren will, muss kein Hacker oder Informatikabsolvent sein. Gesucht werden Menschen mit Haltung, Lernwille und technischem Interesse – vom IT-Admin bis zur Ärztin. Aktuell engagieren sich im Hamburger Thinktank rund 50 Ehrenamtliche, darunter Forschende, Lehrerinnen, Feuerwehrleute, aber auch viele ältere Quereinsteiger mit militärischem Hintergrund. In thematischen Untergruppen arbeiten sie an Fragestellungen rund um Drohnentechnologien, Künstliche Intelligenz, Social Bots und Cyberpsychologie. „Was uns verbindet, ist nicht nur die Technik, sondern auch das gemeinsame Werteverständnis“, so Wetter. Der Zusammenhalt ist dabei zentral: vom virtuellen Lagebild bis zum gemeinsamen Krav-Maga-Training oder der Kanutour. Die Mischung aus Hightech und Kameradschaft mache das Netzwerk auch für Neulinge attraktiv.
Für Wetter ist klar: Digitale Verteidigung kann nur im Schulterschluss gelingen. Er wirbt dafür, dass Unternehmen Reservistinnen und Reservisten aktiv unterstützen, etwa durch flexible Freistellungen für Übungen. „Das bringt nicht nur dem Staat etwas, sondern auch dem Unternehmen selbst – durch besser ausgebildete, motivierte Fachkräfte.“ Auch Arbeitgeber selbst könnten stärker eingebunden werden: Unternehmen seien eingeladen, mit den Cyber-Reservisten zu kooperieren, zum Beispiel über gemeinsame Hackathons oder durch Beteiligung an realitätsnahen Planspielen. Gerade für kritische Infrastrukturen (wie Gesundheitswesen, Energie, Transport) sei der Schulterschluss mit Sicherheitsakteuren essenziell. „Gesellschaftliche Resilienz entsteht, wenn alle Beteiligten Informationen teilen – nicht, wenn jeder im Silo bleibt“, so Wetter. Der Dialog zwischen Bundeswehr, Wirtschaft und Wissenschaft sei essenziell, um reale Schwachstellen in kritischer Infrastruktur frühzeitig zu erkennen und gemeinsam Lösungen zu entwickeln.
Ein oft unterschätzter Hebel: Personalgewinnung. Die Cyber-Reserve bietet zahlreichen Talenten – auch solchen, die vom klassischen Bewerbungsprozess der Bundeswehr frustriert waren – einen niedrigschwelligen Einstieg in sicherheitsrelevante Arbeit. Viele Fachkräfte, die jahrelang im zivilen System arbeiteten, finden über das Ehrenamt neuen Sinn und Verantwortung. Gleichzeitig entstehe ein Pool an Fachwissen, das nicht nur dem Staat, sondern auch den teilnehmenden Unternehmen direkt zugutekomme. Dass dieser Austausch funktioniert, zeigt sich in konkreten Projekten: etwa wenn ein Krankenhausmanager gemeinsam mit einem Cyber-Reservisten einen Notfallplan für Hafenlogistik simuliert oder ein Sporttrainer mit militärischem Hintergrund in einem Awareness-Workshop IT-Fachleuten neue Perspektiven auf Teamführung und Stressbewältigung vermittelt.
„Wer Mitarbeitende hält, die sich verantwortlich fühlen, sollte sie nicht mit Bürokratie bremsen – sondern mit Vertrauen stärken.“ |
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„Du bist auch verantwortlich für dein Land – ob du Soldat bist oder Admin in einem mittelständischen Betrieb“, sagt Wetter zum Abschluss. Sicherheit beginne im Kleinen: bei der Netzwerkarchitektur, der Unternehmenskultur, dem Mut zur offenen Kommunikation. Doch sie müsse eingebettet sein in ein System von Vertrauen, Führung und Wertschätzung.
Die Cyber-Reservisten zeigen laut Ben Wetter, wie das gelingen kann. Mit Leidenschaft, Disziplin, Know-how und einem klaren Ziel: Deutschlands digitale Wehrhaftigkeit zu stärken, bevor der Ernstfall eintritt.
Interesse geweckt? So wird man Cyber-Reservist |
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Mitmachen kann fast jeder – auch ohne Uniform. Die Cyber-Reservisten freuen sich über engagierte Fachkräfte aus IT, Technik, Forschung oder angrenzenden Disziplinen. Besonders willkommen sind Personen mit praktischer Erfahrung als Administrator:in, Entwickler:in oder IT-Sicherheitsverantwortliche, aber auch Quereinsteiger mit starkem Interesse an digitalen Sicherheitsthemen. Voraussetzung ist neben deutscher Staatsbürgerschaft und einem einwandfreien Führungszeugnis vor allem der Wille zum Mitwirken. Ein abgeschlossenes Informatikstudium ist keine Pflicht – entscheidend sind Eigenmotivation, ethisches Verantwortungsbewusstsein und Teamfähigkeit. Der Einstieg erfolgt in der Regel ehrenamtlich über regionale Arbeitsgemeinschaften, in denen sich Interessierte regelmäßig austauschen, Szenarien durchspielen und sich fortbilden. Wer sich besonders engagiert und bewährt, kann später durch die Bundeswehr offiziell in Übungen oder Projekte eingebunden werden. In diesen Fällen werden beispielsweise Verdienstausfälle und Reisekosten übernommen, teils auch kleine Aufwandsentschädigungen gezahlt. Die Vorbereitung auf solche Einsätze, wie etwa die Teilnahme an Simulationen oder KI-Prototypenentwicklung, geschieht größtenteils in der Freizeit. Wichtig ist das Zusammenspiel mit dem zivilen Arbeitgeber. Viele Unternehmen unterstützen das Engagement ihrer Mitarbeitenden, indem sie Freistellungen ermöglichen oder sich in Projekten mit der Cyber-Reserve vernetzen. Denn letztlich profitieren alle Seiten: Die Freiwilligen erweitern ihre Kompetenzen, das Unternehmen erhält Zugang zu aktuellem Know-how – und die Gesellschaft gewinnt an Resilienz. Warum mitmachen?
Der Einstieg ist einfacher als gedacht: über die lokalen Arbeitsgruppen Cyber/IT im Reservistenverband, über Online-Netzwerke oder direkt per Empfehlung. Alternativ einfach formlos bewerben unter b.wetter@cyber.reservistenverband.de. Die Einstiegshürden sind heute deutlich niedriger als früher – und die Nachfrage nach engagierten Mitstreitern steigt. |