Experten warnen vor der unterschätzten Umweltverschmutzung durch sogenannte persistente organische Schadstoffe. Herkömmliche Verbotsstrategien reichen allerdings nicht aus. Nachhaltigkeitszertifizierungen können den Weg zu sicheren Alternativen ebnen.
Der Artikel beantwortet unter anderem folgende Fragen:
Neben der derzeitigen Klimakrise und dem (damit einhergehenden) Verlust der Artenvielfalt ist die Umweltverschmutzung aufgrund giftiger Stoffe laut den Vereinten Nationen1 einer der drei Hauptgründe für die aktuelle Bedrohung der Lebensgrundlage auf unserem Planeten. Eine 2022 erschienene Studie zeigt2, dass die Aufnahmekapazitäten unseres Planeten für Schadstoffe bereits überschritten wurden. Es besteht somit dringender Handlungsbedarf – doch allein mit einer klassischen Verbotsstrategie ist der Kampf nicht zu gewinnen.
Zu den gefährlichsten Chemikalien gehören persistente organische Schadstoffe (Persistent Organic Pollutants, sogenannte POPs), die in vielen Industriezweigen verwendet werden. Angefangen mit der Landwirtschaft bis hin zur Herstellung von Kunststoffen und IT-Produkten. POPs sind in der Lage sich über das Erdreich, das Wasser und in der Luft weltweit auszubreiten. Ihre Fähigkeit, sogar große Entfernungen zu überwinden, ist gut dokumentiert – auch in der Arktis und Antarktis wurden sie bereits gefunden, also weit entfernt von den Orten, an denen sie verwendet wurden. POPs sind langlebig und reichern sich in lebenden Organismen an, auch im Menschen. Sie sind Ursache für eine Vielzahl von Krankheiten und Gesundheitsgefahren wie Krebs, Geburtsfehlern und eingeschränkter Fortpflanzungsfähigkeit.
Persistente organische Schadstoffe (POPs) |
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Im Kampf gegen POPs wurde im Mai 2001 die Stockholmer Konvention über persistente organische Schadstoffe3 von den Vereinten Nationen verabschiedet, die drei Jahre später in Kraft trat. Regelmäßig tagt seither der Überprüfungsausschuss der Stockholmer Konvention und diskutiert Risikobewertung sowie den Umgang mit bestimmten prioritären Stoffen. Dabei werden zuweilen Entscheidungen getroffen, bestimmte Stoffe aus dem Verkehr zu ziehen.
Diese Entwicklung ist sehr wichtig. Denn bei der Sicherheit von Chemikalien ist die internationale, interdisziplinäre und branchenübergreifende Zusammenarbeit unerlässlich, und die Stockholmer Konvention spielt dabei eine bedeutende Rolle. Das Problem bei Beschränkungen oder Reduzierungen, die durch Rechtsvorschriften oder globale Verträge wie das Stockholmer Übereinkommen auferlegt werden, ist jedoch, dass die Aufnahme von Chemikalien in entsprechende Listen nur langsam erfolgt.
Die chemische Industrie hingegen entwickelt sich sehr schnell. Heute sind mehr als 350.000 Chemikalien und Chemikaliengemische auf dem Markt. Auch ist absehbar, dass sich der weltweite Chemikalienmarkt zwischen 2017 und 2030 verdoppeln wird. Nur ein Bruchteil der heute verwendeten Chemikalien wurde ausreichend auf ihre Auswirkungen auf Mensch und Natur hin untersucht. Toxikologen und Gesetzgeber können mit der rasanten Produktion von Chemikalien kaum Schritt halten. Daher ist unklar, wie viele POPs und andere Schadstoffe tatsächlich existieren.
Das zweite und weitaus wichtigere Problem bei einer Verbotsstrategie für gefährliche Chemikalien ist jedoch, dass bei einer eingeschränkten Verfügbarkeit von Stoffen oft unklar ist, welche Alternativen existieren. Es wird vielfach angenommen, dass alle Chemikalien, die nicht auf einer entsprechenden Verbotsliste stehen, sicherer in der Anwendung seien. Dies ist jedoch nicht immer der Fall. Eine unabhängige Bewertung kann zuweilen ergeben, dass eine Chemikalie tatsächlich eine schlechte Alternative für eine Verbotene darstellt – unter Umständen sogar schlechter als der ursprüngliche Stoff. Allerdings dürfte die vermeintliche Alternative zu dem Zeitpunkt wahrscheinlich bereits in Gebrauch sein.
Anstatt Chemikalien einfach zu verbieten, wäre es effizienter und nachhaltiger, Chemikalien zu bewerten und zu prüfen, ob sie eine sicherere Alternative darstellen, bevor sie in Produkten zum Einsatz kommen und auf den Markt gebracht werden. Dies ist besonders wichtig für alle potenziell gefährlichen Stoffe und insbesondere für POPs. Denn ist eine potenzielle POP-Chemikalie bereits in Verwendung, ist es aufgrund ihrer Langlebigkeit bereits zu spät. Wird der Gebrauch nur einiger weniger gefährlicher Chemikalien eingeschränkt, bei gleichzeitig bestehender Unklarheit über Alternativen, wird eine Reaktion auf neue Chemikalien immer erst dann erfolgen, wenn sie erwiesenermaßen als gefährlich eingestuft werden. So weit muss es aber gar nicht erst kommen, denn es gibt Möglichkeiten, die Kontrolle zu übernehmen.
Zertifizierung können dabei helfen, Lösungen für gesellschaftliche Probleme zu finden. Hierbei gilt jedoch, dass nicht nur bestimmte Praktiken eingeschränkt oder abgeschafft werden sollten, sondern es müssen auch Alternativen aufgezeigt werden. Nur indem viele Unternehmen von einem besseren Ansatz überzeugt werden, kann der Übergang zu nachhaltigeren, kreislauforientierten Methoden und Geschäftsmodellen vollzogen werden.
Nachhaltigkeitszertifizierungen, die einen umfassenden Ansatz verfolgen, fordern daher Informationen über verwendete Substanzen, einschließlich öffentlicher sowie vertraulicher Informationen des Chemikalienherstellers. Ein unabhängiger Toxikologe bewertet sodann anhand dieser Informationen die möglichen Auswirkungen des Stoffes auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt.
Auch der Grad der Persistenz wird bewertet. Auf diese Weise werden alle POP-Chemikalien identifiziert und abgelehnt, während zulässige Chemikalien in einer Liste der zertifizierten zugelassenen Stoffe aufgenommen werden. Dabei werden Chemikalien, für die keine oder nur unzureichende Daten zur Bewertung ihrer Persistenz vorliegen, als gefährlich eingestuft beziehungsweise abgelehnt. Im Fokus derartiger Bewertungen stehen insbesondere Flammschutzmittel, Weichmacher sowie Reinigungsmittel, die in Produktionsanlagen verwendet werden. Letzteres ist von großer Bedeutung, da festgestellt wurde, dass gefährliche Chemikalien, die in Europa und anderswo bereits seit Langem verboten sind, in Fabriken in Entwicklungsländern weiterhin verwendet werden4. Die Listen der Nachhaltigkeitszertifizierungen umfassen aber nicht nur die als gefährlich eingestuften Chemikalien, sondern auch sicherere Alternativen.
Angesichts der Vielzahl der aktuell in Produkten verwendeten Chemikalien erscheint es als eine Mammutaufgabe, auf gefährliche Substanzen mittel- und langfristig in den Fertigungsprozessen zu verzichten. Um jedoch genau diesen Wandel voranzutreiben, bedarf es insbesondere einer dedizierten Nachfrage nach zertifiziert nachhaltigen Produkten. Nur wenn mehr Einkäufer und Konsumenten den Verzicht auf umwelt- und gesundheitsgefährdende Substanzen von den Herstellern einfordern, wird sich an deren gängigen Praxis etwas ändern.
Die Gefahren, die mit der Verwendung von persistenten organischen Schadstoffen einhergehen, sind hinlänglich belegt. Damit Menschen und die Natur jedoch gar nicht erst mit POPs in Berührung kommen, bedarf es eines Umdenkens aufseiten der Industrie. Denn die einzige Möglichkeit, das Expositionsrisiko auszuschalten, besteht darin, diese Chemikalien überhaupt nicht zu verwenden. Nicht selten werden Chemikalienbewertungen vermieden, weil sie Zeit kosten. Die Kosten für Mensch und Umwelt sind jedoch um ein Vielfaches höher.
1 https://press.un.org/en/2020/sgsm20422.doc.htm
2 https://pubs.acs.org/doi/10.1021/acs.est.1c04158
3 https://chm.pops.int/
4 https://www.bund.net/fileadmin/user_upload_bund/publikationen/chemie/supply-chains-of-hazardous-chemicals-bund.pdf
Blogbeitrag von Stephen Fuller zum Thema: https://tcocertified.com/de/blog/pollution-is-causing-a-planetary-emergency-and-the-solution-is-simpler-than-you-think/