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Digitales Gift in kleinen Mengen serviert

18. Februar 2022, 9:30 Uhr | Autorin: Diana Künstler
© lightfieldstudios / 123rf

Das neue Jahr beginnt und damit auch die Zeit der guten Vorsätze. Besonders beliebt: digitale Entgiftung. In Zeiten von Social Distancing jedoch einfacher gesagt als getan.

Same procedure as every year – jedes Jahr aufs Neues setzt sich das Rad der guten Vorsätze in Bewegung und beginnt sich zu drehen. Bei einigen länger, bei anderen weniger ausdauernd. In Zeiten von vermehrtem Smartphone-Konsum, Streaming, Online-Shopping und „Instagram Mania“ ist es daher kaum verwunderlich, dass viele ihrer Liste der guten Vorsätze den Punkt „Verzicht aufs Internet und digitale Medien“ hinzufügen. Knapp ein Zehntel der InternetnutzerInnen hat sich laut Bitkom diese „digitale Entgiftung“, auch Digital Detox genannt, für das neue Jahr vorgenommen. Und das nicht zum ersten Mal. Demnach haben 43 Prozent der Onliner in der Vergangenheit bereits mindestens einmal zeitweise bewusst auf Internet oder digitale Medien verzichtet. Kein leichtes Unterfangen in Zeiten von Corona. „Digital Detox war wohl noch nie so schwer wie in Zeiten des Social Distancing“, sagt Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder. Und schon vor diesen herausfordernden Zeiten war es kaum ein Ding der Möglichkeit: Denn wer sich den Errungenschaften der Digitalen Revolution verweigern möchte, bugsiert sich unweigerlich ins gesellschaftliche Abseits. Die Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen (wie Seminare) oder auch nur die Generierung überlebensnotwendiger Informationen (beispielsweise über Notrufe, Öffnungszeiten und diensthabende Apotheken) wird ohne Internet zunehmend schwierig, teils sogar unmöglich. Seit 1. Januar 2022 beispielsweise können Reisende der Deutschen Bahn im Fernverkehr keine Papiertickets mehr erwerben. Es gibt hingegen die Möglichkeit, ein Online-Ticket auch nach Fahrtantritt über die App der Bahn zu lösen. Zugegeben: Der Anteil an Ticketverkäufen im Zug war bisher verschwindend gering. Trotzdem könnte dies weniger gut digital aufgestellte MitbürgerInnen vor Probleme stellen.

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Totale Abschottung? Abschalten per App?

Vor diesem Hintergrund – nämlich, dass es alles andere als im Sinne der heutigen (Konsum-) Gesellschaft ist, digitalen Verzicht zu unterstützen – wird klar, dass Digital Detox in den seltensten Fällen mit einem Komplettverzicht einhergehen kann; es sei denn, man möchte sich gezielt auf das Abenteuer eines Eremitendaseins einlassen. Oft bringt allerdings allein schon der Beruf mit sich, dass es ohne digitale Unterstützung mitunter gar nicht geht. Die meisten Vorsatzwilligen forcieren daher die Auszeit von bestimmten digitalen Anwendungen wie Games, sozialen Netzwerke oder Streaming-Diensten. Tipps und Tricks gibt es in diesem Zusammenhang einige. Beliebt sind beispielsweise Reisen als Ausstiegsmittel. Seit 2013 werden in den USA, seit 2015 auch in Deutschland, Ferienlager für Erwachsene angeboten. Das „Wall Street Journal“ prägte den Begriff „Digital Detox Camps“.

Und sogar digitale Hilfestellung ist möglich. Mehr Entsagung dank Apps? Klingt zunächst einmal paradox. Muss es aber nicht sein, wenn man damit zum Ziel hat, die Nutzungszeit zu minimieren. Die App „Forest“ beispielsweise versucht dies auf spielerische Weise: In der Anwendung können NutzerInnen verschiedene Arten von Büschen oder Bäumen pflanzen, die aber nur wachsen, wenn man in der Zeit, nicht zu einer anderen App wechselt. Schafft man es hingegen der Ablenkung zu widerstehen, wächst der Wald und damit auch – so der Hintergedanke – die eigene Produktivität. Für all jene, die trotz Digital Detox schreiben wollen oder müssen, gibt es sogar ein eigenes Programm, welches aus dem Laptop eine Schreibmaschine macht: „Cold Turkey Writer“ eliminiert alles, was ablenkt. Chats, Mails und Programm-Icons verschwinden.

Wer nicht gleich eine Ortsveränderung, eine digitale Gärtnerei oder noch weitere Anwendungen auf seinem Gerät anstrebt, dem ist bereits mit ein paar praktikablen Maßnahmen – wie einfach weniger Apps und Dienste nutzen und Smartphone-freie Zeit und/oder Räume schaffen – geholfen.

Verzicht macht nicht immer glücklicher

Doch einfacher gesagt als getan, denn den Bitkom-Erkenntnissen zufolge ist der bewusste Verzicht auf digitale Medien für viele Menschen eher eine einmalige Sache – und vielen fehlt der lange Atem. Die meisten hielten maximal einige Stunden ohne Unterbrechung durch (53 Prozent). Ein Fünftel verzichtete zwar länger, aber nicht mehr als einen Tag. Weitere 15 Prozent verbrachten mehrere Tage ohne digitale Medien und nur 6 Prozent haben eine Woche oder länger durchgehend darauf verzichtet. Niemandem hingegen im Kreis der Befragten war es gelungen, sich einen Monat oder länger von digitalen Medien fernzuhalten. Wen wundert’s? Denn wenn uns eines der Detox-Diät-Entzugs-Wahn vor Augen geführt haben sollte, dann dass Verzicht nicht glücklicher macht. Das bestätigten auch Erkenntnisse des Psychologenteams der University of California, das untersucht hat, wie sich Handyverzicht auf Menschen auswirkt. Ganz im Gegenteil: Kann doch der Verzicht negative Begleiterscheinungen haben, zum Beispiel wenn man in „Fear of missing out“-Manier davor Angst hat, etwas zu verpassen. Ergo: Das Stresslevel steigt.

Dann lob ich mir doch lieber den bewussten Umgang mit dem Smartphone, Laptop oder sonstigen Gerät: Einfach mal beim nächsten Daddeln auf dem Handy einen gedanklichen Schritt zurücktreten und sich fragen „Braucht es das jetzt?“ oder „Bringt mir das was?“. Und wenn die Antwort darauf „Nein“ lautet, gegebenenfalls das Gerät beiseitelegen und sich der wirklichen Welt zuwenden.  


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