Die Cloud ist mittlerweile in Unternehmen angekommen und kommt auf vielen Ebenen – Stichwort IaaS, PaaS und SaaS – zum Einsatz. Um der Vernetzung der vielen Millionen Endgeräte Rechnung tragen zu können, braucht es ein Umdenken bei der Netzwerkarchitektur, fordert Honoré LaBourdette von Red Hat.
connect professional: Welche Optionen stehen Unternehmen aktuell vor diesem Hintergrund zur Verfügung, um eine sichere und interoperable Edge-to-Edge-Kommunikation über verschiedene öffentliche und private Clouds hinweg zu realisieren?
Honoré LaBourdette: Zunächst einmal muss man festhalten, dass es sich hierbei um eine langfristige Entwicklung handelt, die uns als Gesellschaft herausfordert. Wir brauchen eine Netzwerkarchitektur, die in den kommenden Jahren viele Millionen an Endgeräten miteinander vernetzt – von intelligenten Autos bis zu intelligenten Häusern, von tragbaren Devices bis zu Robotern und Augmented Reality. Das sind die Technologien, die den Beginn des Metaversums einläuten und die von der 5G-Verbreitung und hohen Übertragungsgeschwindigkeiten profitieren. Der Flaschenhals liegt momentan bei den unterschiedlichen Architekturen und Standards, die die Interaktion und Kommunikation begrenzen. Unternehmen müssen sich deshalb von dem Gedanken leiten lassen, dass profitable Anwendungsfälle nur erschließbar sind, wenn man über die traditionellen, zentralisierten Netzwerkarchitekturen hinausdenkt. Sicherheit, Interoperabilität und Edge-to-Edge-Kommunikation sind dafür Schlüsselbegriffe.
connect professional: Warum greifen traditionelle, zentralisierte Netzwerkarchitekturen hier gegebenenfalls zu kurz? Und was sind die Alternativen?
LaBourdette: Zentralisierte Netzwerkarchitekturen können mit der Agilität und Schnelligkeit von Meshed Clouds nicht mithalten. Meshed Clouds kann man sich wie eine Grundsubstanz vorstellen, ähnlich wie das Gravitationsumfeld für das Universum. Ich halte sie für eine der größten Errungenschaften der IT, die die Kommunikation zwischen Clouds revolutionieren wird. Sie ermöglicht eine direkte, dynamische und nicht-hierarchische Kommunikation und beschleunigt den Datenaustausch und die Interaktion damit signifikant. Das gilt für die Orchestrierung von Anwendungsdiensten, Messaging und Datensicherheit zwischen Edge-Clouds sowie für die sichere Edge-to-Edge-Netzwerkkonnektivität.
connect professional: Was genau ist unter dem Referenzarchitekturmodell der „Meshed Cloud“ zu verstehen? Und wie funktioniert es vor allem in Abgrenzung zu bewährten Netzwerkarchitekturformen?
Honoré LaBourdette: Meshed Clouds bestehen im Wesentlichen aus vier Komponenten. Einige dieser Technologien gibt es bereits, andere sind heute noch in der Vorbereitung. Die erste Komponente ist eine stark verteilte Infrastruktur, die überall verfügbar ist und ausreichend Rechenleistung und Speicherplatz zur Verfügung stellt. Dadurch können öffentliche Cloud-Angebote und On-Premise-Lösungen eine gemeinsame Kommunikation führen. Der zweite Bestandteil ist eine Cloud-Plattform, die über offene und sichere Schnittstellen verfügt und vom Deployment bis zur Verwaltung einheitliche Standards aufweist. Nur auf diese Weise lassen sich alle öffentlichen, privaten, bare-metal, virtuellen und sonstigen Infrastrukturen schnell und effizient einbinden. Hybrid-Cloud-Plattformen sind hierfür besonders geeignet. Unabhängig von der Umgebung können Entwickler die Anwendungen in Containern verwalten und skalieren. Das vereinfacht das Deployment und den Betrieb und erhöht die Sicherheit. Die dritte Komponente ist eine allgegenwärtige Konnektivität. Darunter kann man sich eine Internetverbindung ohne die Beschränkungen herkömmlicher Netzwerkkonstrukte vorstellen. Viertens bietet eine autonome Anwendungs- und Service-Orchestrierung die Möglichkeit, das komplexe Infrastrukturnetzwerk und die einzelnen Konnektivitätsschichten miteinander zu verbinden. Im Vergleich zu bewährten Netzwerkarchitekturformen kann so eine viel größere Agilität erreicht werden.
connect professional: In welchen Anwendungsbereichen ist der Einsatz dieses vernetzten Edge-Modells denkbar? Wie kann es hier sein volles Potenzial entfalten?
LaBourdette: Für die Industrie und die Gesellschaft entsteht ein großer Mehrwert, wenn mehrere Datensätze in Echtzeit verarbeitet werden. Dadurch lassen sich sehr komplexe Prozesse lösen, beispielsweise im Bereich autonomer Mobilität. Vernetzte Autos können über Mesh-Netze miteinander kommunizieren und Verkehrs- oder Straßeninformationen abrufen, ohne mit einer zentralen Cloud verhandeln zu müssen. Auch Rettungsdienste sparen wertvolle Zeit ein, wenn sie Cloud-Informationen und lokale Daten aus verschiedenen Quellen zusammenführen und auswerten können.
„Für die Umsetzung von Meshed Clouds braucht es ein Umdenken in der Industrie. Wir müssen Experten-Teams bilden und neue Wege beschreiten. Das wird sich lohnen, weil es sich um einen der größten Wachstumsmärkte handelt.“ |
---|
connect professional: Die Vision einer flächendeckenden Konnektivität ist das eine, die Umsetzung eines derartigen offenen Ökosystems etwas ganz anderes. Welche Voraussetzungen müssten dafür erfüllt werden?
LaBourdette: Die Umsetzung des Konzeptes in die Realität wird eine Teamleistung sein. Das hat sich in der Telekommunikationsbranche bereits in vielen Situationen bewährt, beispielsweise bei der Entwicklung von Lizenzvereinbarungen, technischen Normen, Interoperabilitätstests und Patenten. Auch Leuchtturm-Projekte wie 5G-VINNI und FUDGE-5G zeigen, welche Fortschritte erzielt werden können, wenn Technologieanbieter, Regierungen und Forschungseinrichtungen an einem Strang ziehen. Damit flächendeckende Konnektivität überhaupt umsetzbar ist, muss das Ökosystem jedoch viel „offener“ werden als es derzeit der Fall ist. Dafür bedarf es einer engen Integration und gemeinsamer Standards und Ziele.
connect professional: Und wie kann vor diesem Hintergrund die Sicherheit der Netzwerke gewährleistet werden?
LaBourdette: Für den Erfolg dieser vernetzten Infrastruktur wird Sicherheit von zentraler Bedeutung sein. Sie muss der Referenzarchitektur quasi in die Wiege gelegt werden – und das durchgängig vom Zentrum bis zum Edge und in der Interaktion von Edge-Clouds. Um die Sicherheit und Interoperabilität zwischen Edge-Geräten und Cloud-Daten zu verbessern, werden deshalb standardisierte Rechen-, Kommunikations- und Sicherheitsprotokolle eine wichtige Rolle spielen. Diese Aspekte sind ein Teil des Zero-Trust-Konzeptes für die Sicherheit der gesamten Lieferkette. Man kann davon ausgehen, dass Dienstleister ihre Software-Anbieter in den kommenden Jahren immer genauer unter die Lupe nehmen werden. Und das betrifft sowohl die Anforderungen an die Software-Stückliste (Software Bill of Materials, SBOM) als auch digitale Signaturen für die Software-Patches. So wird sich die Transparenz über die Herkunft von Software und umgesetzte Änderungen während des Lebenszyklus deutlich erhöhen.
Damit Anwendungen sicher mit Technologien der Datenbeschleunigung und Künstliche-Intelligenz- und Machine-Learning-GPU-Ressourcen gekoppelt werden können, müssen Anwendungs-Clouds unabhängig von der zugrunde liegenden Netzwerkinfrastruktur sein. Eine hybride Cloud-Plattform ermöglicht das, da sie eine zentralisierte, von der zugrunde liegenden Hardware abstrahierte Orchestrierung bietet. Dadurch können Unternehmen Bereitstellungen mit konsistenter Verwaltung und Sicherheit ausführen und skalieren. Das funktioniert sogar bei Tausenden von Servern, die am Edge und in mehreren öffentlichen Clouds bereitgestellt werden.
connect professional: Gesetzt den Fall ein Unternehmen würde sich für ein derartiges vernetztes Edge-Modell entscheiden: Was, beziehungsweise wen braucht es denn für die Entwicklung und den Betrieb einer solchen Meshed Cloud?
LaBourdette: Ein vernetztes Edge-Modell können Unternehmen nicht im Alleingang umsetzen. Dazu bedarf es eines Umdenkens in der gesamten Industrie. Wir müssen Experten aus den unterschiedlichsten Bereichen zusammenbringen und in Teams bündeln, die eng zusammenarbeiten und neue Wege beschreiten. Genau darin liegt die Herausforderung. Wir müssen heute Entscheidungen treffen, die unsere Vorstellung eines Connected-Edge-Modells aufgreifen und damit den Bauplan für diese Technologie liefern.
connect professional: Welche Chancen birgt das Thema gegebenenfalls auch für Dienstanbieter im Netzwerkinfrastrukturumfeld?
LaBourdette: Dienstleister sollten diese Ökosysteme und ihren Konnektivitätsbedarf nicht als Infrastruktur abhaken, sondern als Wachstumsmarkt betrachten. Ein Wachstumsmarkt, der bis 2025 einen Wert von 34 Milliarden Dollar haben wird. Damit könnte die Technologie einen ebenso großen kommerziellen Einfluss haben wie das Internet, die Cloud oder die Mobiltelefonie.