Trend 5: Accelerated Legacy Modernization
Aufgrund der Corona-Pandemie und nun der russischen Invasion in die Ukraine werden Behörden noch lange weit entfernt von „Normalbetrieb“ sein. Die anhaltende Ausnahmesituation hat veraltete Verwaltungs-Prozesse und Informations-Systeme an die Belastungsgrenzen gebracht. Angestellte zum Beispiel müssen auch langfristig damit rechnen, immer wieder zwischen Büroarbeit und home office zu wechseln.
Verwaltungen sind deshalb gezwungen, ihre rückständigen Architekturen, Hardware- und Software-Anwendungen durch moderne Äquivalente ersetzen. Dieser Modernisierungsschub wird mehrheitlich auf Cloud-Ansätze zurückgreifen, um finanzielle und technische Ressourcen schneller auf sich ändernde Anforderungen verteilen zu können.
Trend 6: Case Management as a Service (CMaaS)
Fachverfahren und Verwaltungsleistungen sind das A und O der Verwaltung. Leider sind die dazugehörigen Prozesse meist überaltert und oft sehr uneinheitlich gestaltet. Es ergibt sich ein Flickenteppich von Verfahren und IT-Lösungen, die im Einzelnen schwer zu modernisieren und im Gesamten nicht miteinander kompatibel sind.
Der „as a Service”-Gedanke findet deshalb auch bei Fachverfahren Einzug. Zusammen mit Technologien wie Low-Code/No-Code wird so das Ziel einer Nachnutzung von Dienstleistungen und deren Komponenten über einzelne Ressorts und Verwaltungsebenen hinweg verfolgt. Ein Beispiel dazu könnte schon bald die von der Hansestadt Hamburg angeführte Initiative „Modul-F“ liefern.
Trend 7: Hyperautomation
Hyperautomation hilft, Fachverfahren und IT-Prozesse schnell und systematisch zu überprüfen und automatisieren. Es geht einerseits um Effizienzsteigerungen, zum Beispiel bei der schnelleren Feststellung von Ansprüchen auf Geld- oder Sachleistungen. Die Verwaltung soll aber auch neue Arten von Dienstleistungen mit Hilfe von angelehnten Technologien wie KI erbringen können.
Menschen und deren Sorgen hinsichtlich KI und Automatisierung müssen dabei im Blick gehalten werden. Denn man kann einer unethischen Datennutzung, Datenschutzverletzungen und Vertrauensverlust vorbeugen. Aber der Erfolg hängt ganz stark von der konstruktiven Zusammenarbeit zwischen Behörden, Technologieanbietern und gesellschaftlichen Interessenvertretern ab.
Trend 8: Decision Intelligence
Prozesse der Entscheidungsfindung können durch Kombination von KI, Datenanalyse und kontinuierlichem Feedback verbessert werden. So zum Beispiel in Frankreich, wo Behörden bestimmte Daten nutzen und mit Hilfe von KI analysieren dürfen, um kleinen und mittelständische Unternehmen proaktiver zu helfen („Signaux Faibles“). Entscheidungen werden dabei nicht automatisiert getätigt, sondern liegen weiter im Ermessen von Fachexperten, welche das Tool im Rahmen der Entscheidungsfindung verwenden.
Ungeplante Konsequenzen müssen auch hier während der Gestaltungsphase neuer, AI-gestützter Dienstleistungen ermittelt werden. Digitale Hilfsmittel für eine bessere Entscheidungsfindung benötigen deshalb auch Investitionen in die digitale Verantwortung, damit unerwartete Auswirkungen früh erkannt und gesteuert werden können.
Trend 9: Data Sharing as a Program
Die Handlungsfähigkeit der Verwaltung wird heute auch an der Fähigkeit, Daten über Organisationen hinweg auszutauschen, gemessen. EntscheidungsträgerInnen haben erkannt, wie wichtig die Verfügbarkeit von Echtzeit-Daten für ein effektives Krisenmanagement ist. Das vorher genannte Corona-Schul-Dashboard in Schleswig-Holstein steht da im signifikanten Gegensatz zum teilweise noch fax-basierten Datenaustausch.
Formaler Datenaustausch kann Mehrwert für Verwaltung, BürgerInnen und Wirtschaft schaffen. Aber in Deutschland hat sich die Datendebatte zu lange um „Open Data“ und die Publikation von Daten auf Portalen gedreht. Die Nachbarn in Frankreich sind uns hier viele Jahre voraus, etwa durch strukturelle Förderprogramme für Datenaustausch, Innovation und angewandte KI in der Verwaltung. Die erheblich gesteigerten Kompetenzen innerhalb der Verwaltung führen dort auch zu mehr Handlungsfähigkeit und digitaler Führungskompetenz.
Trend 10: Composable Government Enterprise
Essentiell bei der Modernisierung ist ein gesamtheitlicher Ansatz. Deshalb auch die abschließende Empfehlung an Fach- und IT-Leiter in Behörden, Modernisierung als ein Art Baukastenprinzip mit modernen Gestaltungsprinzipien der Nachnutzung und Interoperabilität durchzuführen.
Arthur Mickoleit, Director Analyst (Government) bei Gartner
html" target="_blank" title="https://www.connect-professional.de/markt-trends/e-paper-ausgaben-der-funkschau.179187.html">Dieser Artikel ist zuerst erschienen in der funkschau-Ausgabe 03/2022.