Die Änderungen sind aber weit mehr als wetterbedingt und kosmetischer Natur. Die Veranstalter haben alles in Frage gestellt und eine Neustrukturierung angestoßen, die in dieser Form einzigartig in der Messegeschichte sein soll. Lediglich die Marke CEBIT sowie der Veranstaltungsort Hannover waren gesetzt, alle anderen Aspekte standen zur Diskussion und Disposition. Die Deutsche Messe wollte auf einem weißen Blatt Papier beginnen und laut eigenen Angaben gänzlich neue Wege gehen.
Dass die CEBIT 2018 eine Absage an Business as usual ist, lässt sich auch am Findungsprozess der „neuen Sprache“ ablesen. 2016 kamen in der Start-up-Metropole Berlin in einem Künstleratelier Berater, Journalisten, Aussteller, Marketingexperten und auch Personen zusammen, die noch nie zuvor auf der CEBIT waren. Unvoreingenommene, facettenreiche und auch IT-fremde Meinungen sollten die neue Messe formen und inspirieren. Ergebnis des Brainstormings: Die CEBIT müsse ihren Konferenz- und Networking-Charakter in den Vordergrund rücken, mehr Event als schlicht Messe sein. „Die CEBIT als Erlebnis“, erklärt von Saß. Mehr als nur rationaler Nutzen. Ziel soll es sein, neben den bisherigen Besuchern stärker eine junge, technologieaffine Zielgruppe anzusprechen, für mehr Vielfalt unter den Teilnehmern zu sorgen und Digitalisierung tief in der Struktur der Veranstaltung zu verankern.
Trotz Jeans und Hemd statt Anzug und Krawatte soll die neue CEBIT zwar ein Neuanfang sein, aber kein Bruch mit der Tradition der vergangenen drei Dekaden – vielmehr ein Brückenschlag. Die Deutsche Messe plant demnach ein digitales Festival, das nicht trotz, sondern gerade aufgrund der frischen Impulse eine „hocheffiziente Geschäftsplattform“ sei, bestehend aus vier Kernelementen. Zum einen der „d!campus“, zentraler Bereich der CEBIT im Herzen des Messegeländes unter dem Holz-Pavillon vor Halle 12. Hier finden Konzerte von Künstlern wie Jan Delay statt, können Besucher Streetfood probieren und zwischen den Showcases der Aussteller netzwerken bis in die späten Abendstunden. Denn auch die 9-bis-18-Uhr-Mentalität gehört mit der neuen Zeitrechnung der Vergangenheit an. 2018 wird die CEBIT erstmals von 10 bis 23 Uhr ihre Tore öffnen, um dem Festivalcharakter nicht mit der Stechuhr entgegenzuwirken.
Zum anderen sind unter dem Titel „d!conomy“ insgesamt sieben Messehallen Teil des neuen Konzeptes, die nicht nur den Hauptteil der Aussteller beherbergen, sondern auch den bleibenden Business-Anspruch der Messe untermauern. Hinzu kommen das Konferenz- und Workshop-Format „d!talk“ sowie „d!tek“, laut den Veranstaltern Treffpunkt für Start-ups, Gründer, Entwickler und „disruptive Geschäftsmodelle“.
Viele Aussteller begrüßten dieses teils radikal neue Konzept und sprachen sich direkt mit der Ankündigung Anfang des Jahres für den gemeinsamen Weg aus. „Dieses starke Konzept für die neue CEBIT ist der notwendige Bruch mit der Vergangenheit – ein echter Neuanfang“, erklärte Helmut Binder, CEO von Materna. „Es war in den vergangenen Jahren immer schwieriger geworden, unsere Kunden für einen Besuch in Hannover zu gewinnen.“ Das bekannte Format wäre für viele nicht mehr attraktiv genug gewesen. „Das wird jetzt geändert“, so Binder.
Gleichzeitig sind sich die Veranstalter der CEBIT aber bewusst, dass sich nicht jedes Unternehmen, jeder bisherige Aussteller, im neuen Konzept der Messe wiederfinden wird. „Wenn wir diesen Weg gehen, werden wir den ein oder anderen verlieren“, erklärt von Saß gegenüber funkschau. Immerhin solle sich kein Unternehmen verkleiden müssen. Gleichzeitig kann die aus dem Jungbrunnen entstiegene CEBIT für viele Anbieter und auch Anwender aus der Branche und darüber hinaus ein guter Richtwert sein, wie viel „digital“ denn schon in der eigenen DNA steckt und wie bereitwillig man den vielbeschworenen Veränderungen gegenübertritt, die das disruptive Wesen der Digitalisierung so mit sich bringt.
Wie tief der Transformationswille greift, das zeigt auch diese Deutsche Messe selbst. Die CEBIT sei ein Momentum, so von Saß, zum Beispiel, um neue Arbeitsweisen voranzutreiben. So öffne sich das Unternehmen mit seinen rund 1.200 Mitarbeitern immer weiter, arbeite verstärkt mit externen Experten zusammen, um neue Impulse und neue Denkweisen einzubringen. „Wenn wir eine Veranstaltung für junge Menschen machen, dann müssen wir auch junge Menschen einbeziehen“, erklärt der CEBIT-Sprecher gegenüber funkschau. Gleichzeitig könne man aber weiterhin auf die jahrzehntelange Erfahrung im Messegeschäft zurückgreifen. Ein Dualismus, der in der CEBIT eine Einheit finden soll: alt und neu, analog und digital, Festival und Business.
Die Zeichen stehen gut für die neue CEBIT. Andere Veranstaltungen wie beispielsweise der Web Summit in Lissabon oder das South by Southwest in Texas haben gezeigt, wie erfolgreich sich Technologie und digital Lifestyle vereinen lassen. Hinzu kommt, dass die CEBIT eine global starke Marke und die größte IT-Messe der Welt ist. Jetzt geht die Veranstaltung einen mutigen, teils radikalen Weg, der die Digitalisierung nicht nur an die Stände der Aussteller bringt, sondern diese tief im Kern der Messe selbst verwurzelt. Mit den Anfangstagen des „Centrums für Büro- und Informations-Technik“ und der CEBIT aus den 90er-Jahren wird das freilich nur noch wenig gemein haben. Aber ebenso wenig ist die Technologiewelt jene von vor 20 Jahren.