funkschau Kommentar

Keine halben Sachen

11. September 2018, 9:16 Uhr |
Agilität, Kundennähe, Prozessoptimierung, Innovationsbestreben, Umsatzsteigerung – Gründe, das eigene Unternehmen in das Zeitalter der Digitalen Transformation zu überführen, gibt es viele. Doch ohne Change Management ist das nicht machbar.
© thinglass/fotolia.com

Gründe, das eigene Unternehmen in das Zeitalter der Digitalen Transformation zu überführen, gibt es viele. Umsetzungsmöglichkeiten nicht minder. Dass auf dem Weg dahin viele Stolperfallen lauern, die auch gestandenen Unternehmern gefährlich werden können, zeigt das Beispiel Lidl.

Wie das Handelsblatt unlängst berichtete, hatte das Projekt „Lidl wird digital“ vor knapp sieben Jahren zunächst verheißungsvoll begonnen: Transformiert werden sollte die gesamte Firmen-IT einschließlich der Warenwirtschaft, der wohlgemerkt heikelste Bereich eines jeden Händlers. Für die Umsetzung griff man auf die Technologie von SAP zurück. Der Händler und der Softwarekonzern setzten während der Einführung mehr als 1.000 Mitarbeiter auf dieses Transformationsprojekt an und engagierten darüber hinaus eine dreistellige Zahl an Beratern. Kern des Ganzen sollte „Elwis“ sein, kurz für „elektronisches Lidl Warenwirtschaftsinformationssystem“.  

Elwis has left the building
Im verflixten siebten Jahr jedoch musste man sich eingestehen, dass das Transformationsprojekt gescheitert war. In der Konsequenz räumte IT-Bereichsvorstand Sonnenmoser im Mai 2017 seinen Posten. Ein Lehrstück, das für andere Großkonzerne quasi als „Leitfaden taugt, wie man es nicht machen sollte“, urteilt das Handelsblatt. Der Schaden belaufe sich auf 500 Millionen Euro. Hinzu komme – und das sei weitaus verheerender – dass man nun wieder bei null anfangen müsse. Zwar könne das Unternehmen einige Erkenntnisse aus dem Projekt mitnehmen, so werden Unternehmensinsider zitiert, allerdings müsste man erstmal wieder auf das alte, selbstgestrickte Warenwirtschaftssystem umstellen.

Wie konnte es nur soweit kommen?
Wenn diese Frage so einfach zu beantworten wäre, müsste man sich selbige sicherlich nicht stellen. Wundern darf man sich trotzdem: Denn ein Blick nach links oder rechts hätte bereits gezeigt, dass man mit dieser Leidensgeschichte nicht allein dasteht: So musste der Handelskonzern Otto, der ebenfalls seine IT durch ein zentrales SAP-System ersetzten wollte, bereits 2012 nach nur zwei Jahren sein Projekt „Passion for Performance (P4P)“ einstellen.

Als eine Wurzel des Übels erwies sich dabei – und hier gibt es eine große Parallele zum Fall Lidl – die Branche selbst und ihre Eigenheiten: So zeichnet sich der Handel insbesondere durch eine jahrelang gehegte und gepflegte IT-Landschaft aus, die in „Never change a running system“-Manier nur noch mehr Eigenentwicklungen nach sich zieht. In der Folge gibt es wenig bis gar keinen Austausch im Markt, was die Transformation und Adaption neuer Technologien erschwert.

Weitere Wurzeln sind, wie im Falle Lidl, schnell ausfindig gemacht: starre Strukturen, mangelndes Expertenwissen, schlechte Kommunikation zwischen Fach- und IT-Abteilungen, komplizierte Systeme und eine gewisse Verschlossenheit neuen Ansätzen gegenüber. So steuere Lidl laut Handelsblatt die Warenwirtschaft nach Verkaufspreisen und wollte partout nicht davon abweichen. Die Software „SAP for Retail“ jedoch nutze standardmäßig Einkaufspreise zur Bewertung der Warenbestände. Das führte im Projekt zu aufwendigen und kostenintensiven Anpassungen. „Summieren sich solche Modifikationen, wird die Software immer komplexer und fehleranfälliger, die Performance sinkt, und die Kosten steigen ins Unbeherrschbare“, so das Handelsblatt.

Wille zum holistischen Wandel
Augenöffnend in dem Zusammenhang ist, dass eine Vielzahl der Probleme gar nicht mal etwas mit der Technik zu tun hat, sondern vielmehr in der Organisation und Prozessanpassung verhaftet sind. So gibt es insbesondere in der Logistik übergreifende Lieferketten, in die externe Lieferanten eingebunden sein können. Hier das Thema Change Management zu ignorieren, also die Begleitung aller Abteilungen während der Umstellung, grenzt da schon an Harakiri.  

„Digitalisierung. Einfach. Machen.“ lautet derzeit der Werbeslogan eines großen deutschen Telekommunikationsunternehmens. Die Geschehnisse rund um Lidl und Otto zeigen: Leichter gesagt als getan. Und sie zeigen auch: Das bloße Anpacken der Transformation eines Unternehmens kann nicht von Erfolg gekrönt sein, wenn der Wille zum Wandel nicht alle Bereiche des Unternehmens einschließt. Zugegeben ist das schon weitaus mehr als nur das Verlassen der eigenen Komfortzone. Im Grunde ist es ein Schritt ins Ungewisse und verlangt viel Mut, Aufgeschlossenheit und Vertrauen in alle beteiligten Parteien. Und das funktioniert, wie manche (leider) allzu schmerzhaft lernen mussten, ganz oder gar nicht.

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