Führung im Digitalen Zeitalter bedeutet »zusammen zu führen«. Aus Schnittstellen tragfähige Nahtstellen zu machen. Management-Blabla, finden Sie? Dann lesen Sie, wie Managementberaterin Barbara Liebermeister in die Zukunft von Unternehmen blickt.
Frau Liebermeister, was unterscheidet Führung im digitalen Zeitalter von herkömmlicher Führung?
Barbara Liebermeister: Weil sich unter anderem aufgrund des Siegeszugs der modernen Informations- und Kommunikationstechnologie die Arbeitsstrukturen und -beziehungen in den Betrieben radikal gewandelt haben, haben sich auch die Anforderungen an Führung verändert. Faktisch sind ein radikales Umdenken und eine Neudefinition von Führung nötig.
Sie behaupten, im digitalen Zeitalter müssten Führungskräfte empathische Netzwerker sein. Was heißt das? Müssen sie künftig virtuos mit dem Internet und den sozialen Medien umgehen können?
Auch diese Fähigkeit werden Führungskräfte und Manager verstärkt brauchen, wenn diese Medien für die Information und Kommunikation eine immer wichtigere Bedeutung haben. Es würde jedoch zu kurz greifen, wenn man die veränderten Anforderungen auf die sogenannte Medienkompetenz reduziert. Denn dann würde nur die Oberfläche beziehungsweise Verhaltensebene gestreift.
Inwiefern?
Wie bereits gesagt, haben sich die Arbeitsstrukturen und -beziehungen in den Unternehmen radikal verändert. Heute erbringen deren Kernbereiche ihre Leistung weitgehend in bereichsübergreifender Team- und Projektarbeit – oft in virtuellen Teams. Das heißt, die Performance eines Bereichs hängt auch stark davon ab, wie gut dieser mit den anderen Bereichen kooperiert. Also darf das Denken einer Führungskraft nicht an der Grenze des eigenen Bereichs enden. Sie muss vielmehr versuchen, ihren Bereich mit den anderen Bereichen so zu vernetzen, dass Top-Leistungen erbracht werden. Das setzt voraus, dass die Führungskraft außer ihren eigenen Mitarbeitern auch die Mitarbeiter der anderen Bereiche sowie deren Vorgesetzte für ihre Ziele beziehungsweise die übergeordneten Ziele inspirieren kann. Das gelingt ihr nur, wenn sie bei ihrem Denken und Handeln auch berücksichtigt: Welche Interessen haben die anderen Bereiche und deren Mitarbeiter? Sonst kann sie keine tragfähigen Bündnisse schmieden.
Sollte es in Unternehmen nicht selbstverständlich sein, dass alle Bereiche und Mitarbeiter am selben Strang ziehen?
Sollte es sein, ist es aber nicht. Faktisch bleibt es eine der größten Herausforderungen für Unternehmen: Wie können wir die Zahl der Schnittstellen möglichst reduzieren beziehungsweise aus ihnen sozusagen Nahtstellen machen, so dass kaum Reibungsverluste entstehen? Deshalb überraschte es uns nicht, dass in unser Studie am IFIDZ-Studie fast zwei Drittel der befragten Führungskräfte die Aussage »voll und ganz« bejahten, vernetztes Denken und Handeln sei künftig eine Voraussetzung für erfolgreiche Führung – zudem bejahten 31 Prozent diese Aussage teilweise
Bezieht sie sich nur auf das Vernetzen von Mitarbeitern und Bereichen?
Nein, auch auf das Vernetzen von Unternehmen.
Inwiefern?
Betrachten Sie die Hightech-Unternehmen – unabhängig davon, ob sie im Maschinen- und Anlagenbau oder in der IT-Branche zuhause sind. Wie erbringen diese heute ihre Leistung? Meist im Dialog mit ihren Kunden. Das heißt: Wie gut ihre Leistung ist, hängt auch stark davon ab, wie sie die Beziehung zu ihren Kunden gestalten. Ebenso verhält es sich auf der Lieferanten- und Zuliefererebene. Zum Beispiel dem IT-Sektor. Auch hier agieren die Unternehmen, wenn sie zum Beispiel ein neues Produkt entwickeln möchten, meist im Verbund. Das heißt, sie engagieren zum Beispiel Heerscharen externer Softwareentwickler und vergeben Teilaufträge an hochqualifizierte Spezialisten, von deren Expertise sie faktisch oft abhängig sind, wenn das Endprodukt wirklich Spitze sein soll. Also müssen die Verantwortlichen dazu fähig sein, tragfähige Beziehungsnetze zu knüpfen, die Spitzenleistungen erbringen.
Agieren in diesen Netzwerken die Partner auf Augenhöhe?
Sie sollten es – zumindest weitgehend. Früher waren in der Regel die Zulieferer von ihren Auftraggebern abhängig. Heute ist dies teilweise umgekehrt. Ohne deren Spezialwissen sowie technische und personelle Unterstützung könnten viele große Unternehmen ihre Leistung gar nicht mehr erbringen – oder sie würden sich in kurzer Zeit zu Dinosauriern in ihrem Markt entwickeln und von diesem verschwinden.
Haben Sie hierfür ein Beispiel?
Nehmen Sie die Automobil-Produktion. Hier lässt sich immer schwieriger sagen, wer in diesem Produktionsverbund der stärkere Partner ist: die Autohersteller, die die Fahrzeuge produzieren, oder die Elektronikhersteller, die die Autoelektronik entwickeln? Zuweilen gewinnt man den Eindruck: Die Elektronikhersteller sitzen am längeren Hebel, weil aus ihrem Know-how faktisch die technische Innovation der Fahrzeuge resultiert, die diese wiederum für Kunden attraktiv macht.
Weshalb das Gerücht grassiert, Google beabsichtige, selbst Autos zu bauen.
Wenn dies von den Experten nicht als möglich erachtet würde, würde sich das Gerücht nicht so hartnäckig halten. Daraus folgt für die Manager der Autoindustrie: Sie müssen ihre Organisation mit anderen Unternehmen so vernetzen können, dass ihr Unternehmen auch noch in zehn Jahren marktfähige Autos baut.