Gastkommentar zur Chatkontrolle

Heftige Kritik an EU-Richtlinie

25. August 2025, 10:42 Uhr | Jörg Schröper
Benjamin Schilz ist CEO von Wire und warnt eindrücklich vor den Plänen: „Chatkontrolle widerspricht nicht nur den europäischen Datenschutzgesetzen, sondern es wird auch praktisch nicht funktionieren. Im besten Fall bleibt das Gesetz wirkungslos, aber im schlimmsten Fall verschärft es viele Probleme.“
© Wire

Die EU diskutiert seit Jahren über Chat-Kontrolle. Jetzt hat die Bundesregierung ihre Haltung geändert: Statt Nein sagt sie nur noch „unentschlossen“. Damit könnte die Option wahrscheinlicher werden, dass die EU den riskanten Vorschlag beschließt.

Die Fakten: Chatkontrolle soll Missbrauchsdarstellungen in digitalen Nachrichten erkennen, sogenanntes CSAM (Child Sexual Abuse Material). Die EU-Richtlinie 2011/93/EU schreibt bereits vor, dass Mitgliedstaaten Folgendes bestrafen müssen:

  • Herstellung, Verbreitung, Weitergabe und Besitz von CSAM,
  • vorsätzlichen Zugriff auf CSAM-Websites und
  • Grooming, also die gezielte Kontaktaufnahme von Erwachsenen zu Minderjährigen mit Missbrauchsabsicht im Internet.

 
Außerdem müssen Anbieter in der EU gehostete CSAM-Seiten löschen und bei Fällen im Ausland mit Partnern zusammenarbeiten.

„Dabei stellt niemand in Frage, dass diese Verbrechen aktiv bekämpft werden müssen. Aber Chatkontrolle ist dafür aus unterschiedlichen Gründen ungeeignet“, so Schilz. 

Die Technik mache den Plan nach seiner Einschätzung unbrauchbar: Verschiedene Fachgremien der EU und in Deutschland haben Chatkontrolle bereits geprüft. Ihr Urteil: Es ist technisch nicht machbar. Der Wissenschaftliche Dienst des Europäischen Parlaments (EPRS) stellte in einer Analyse gravierende technische Lücken fest. Bekannte Inhalte lassen sich meist zuverlässig erkennen. Schwieriger wird es aber bei neuem Material, das noch nicht in Datenbanken erfasst ist, und bei Grooming-Versuchen. Hier liefern die Systeme zu viele Fehler, so der Experte.
 
„Hinzu kommt ein unlösbares Problem“, so Schilz. „Die Überwachung von Ende-zu-Ende-verschlüsselter Kommunikation ist technisch nicht mit dem geplanten Erkennungsauftrag vereinbar. Diese Schwäche wird im Vorschlag der EU-Kommission kaum berücksichtigt. Zudem besteht laut EPRS die Gefahr, dass einvernehmliche Kommunikation zwischen Jugendlichen fälschlich als Missbrauch eingestuft wird.“
 
Folgen für Polizei und Justiz

Die fehlerhafte Technik führe so unmittelbar zu massenhaften Fehlalarmen. Strafverfolgungsbehörden müssten jeden einzelnen Fall prüfen. Das würde Ermittler binden, statt sie zu entlasten – und im schlimmsten Fall zu falschen Verdächtigungen und Verfahren gegen Unschuldige führen. 

„Auch der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages kam in einer Stellungnahme gegenüber dem Digitalausschuss zu einem ähnlichen Urteil. Neben der Sorge vor flächendeckender Internetüberwachung warnten alle neun befragten Experten, dass die Strafverfolgung mit falschen Meldungen überlastet würde“, so Schilz.

Das offensichtlichste Problem: Kriminelle umgehen die Chatkontrolle

„Überwachung funktioniert nur, wenn die Betroffenen nichts davon wissen. Chatkontrolle ist das Gegenteil: Es wäre ein öffentlich bekanntes Gesetz. Anbieter müssen ihre Nutzer wahrscheinlich regelmäßig darüber informieren, dass sie auf Verstöße gegen das Gesetz zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung (CSAM) überwacht werden“, erklärt der Experte.
 
Die Folgen seien leicht absehbar: Kriminelle weichen auf alternative Dienste aus – etwa verschlüsselte Messenger, TOR-Services, VPNs, Darknet-Angebote oder Plattformen, die nicht reguliert werden. Damit wären gerade die Personen, die die Chatkontrolle eigentlich ins Visier nehmen soll, für die Behörden nicht mehr auffindbar. „Das Konzept Chatkontrolle dürfte zum Scheitern verurteilt sein. Aber das ist nur das Best-Case-Szenario“, so Schilz.

Mehr als nur Scheitern – welche Risiken Chatkontrolle nach sich zieht

Das wahrscheinlichste Ergebnis: Chatkontrolle bleibe wirkungslos. Doch dabei werde es dann nicht bleiben. Eine bereits eingeführte Massenüberwachung lasse sich selten zurückdrehen. Wenn die erhofften Erfolge ausblieben, würden die Befürworter nicht aufgeben. Wahrscheinlicher sei, dass sie noch mehr Kontrolle fordern.

„Das beginnt mit Angriffen auf die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung. Behörden könnten Hintertüren verlangen, die zwangsläufig unsicher sind – wie der Salt-Typhoon-Hack gezeigt hat, bei dem Angreifer gezielt Schwachstellen in solchen Zugangsmöglichkeiten ausnutzten. Noch gravierender wäre ein weiterer Ausbau der Überwachung: zunehmende Zensur, staatliche Kontrolle und ein schleichender Abbau grundlegender Freiheitsrechte. Beispiele wie die Great Firewall in China zeigen, wohin dieser Weg führen kann. Was heute noch in weiter Ferne erscheint, könnte schneller Realität werden, als man denkt“, warnt Schilz.

„Wir können also gar nicht vorsichtig genug sein, wenn es um den Schutz unserer Freiheitsrechte geht. Chatkontrolle löst keine Probleme. Es schafft neue“, so die eindringliche Mahnung des Wire-CEOs.

Benjamin Schilz gründete Acorus Networks, ein Unternehmen für Cybersicherheit und Cloud-Management mit Sitz in Frankreich, das später mit Volterra fusionierte. Heute ist er CEO des Kommunikations-Plattform-Anbieters Wire.  

 

 

 

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