Die internationale Norm ISO/IEC 42001 schafft einen Rahmen für den verantwortungsvollen Einsatz von KI. Unternehmen profitieren von klaren Prozessen, Risikomanagement und mehr Vertrauen – besonders in regulierten Branchen wie Gesundheit, Finanzen oder Sicherheit.
Der Artikel beantwortet unter anderem folgende Fragen:
Künstliche Intelligenz (KI) ist eine der revolutionärsten Technologien unserer Zeit. Ob in der Medizin, der Finanzbranche, im Handel oder der Industrie – KI-Systeme verändern Geschäftsprozesse, Entscheidungsfindungen und Kundenerlebnisse grundlegend. Doch mit dem enormen Einfluss von KI wächst auch die Verantwortung, diese Technologien ethisch, transparent und sicher einzusetzen. Genau hier setzt die internationale Norm ISO/IEC 42001 an. Sie definiert einen klaren Rahmen für das Management von KI-Systemen, der Unternehmen dabei hilft, die Chancen der KI optimal zu nutzen und gleichzeitig Risiken effektiv zu steuern.
Der Einsatz von KI bringt vielfältige Herausforderungen mit sich – von Datenschutz über Transparenz bis hin zur Verantwortung bei Fehlentscheidungen. Die ISO/IEC 42001 stellt sicher, dass Unternehmen diese Herausforderungen systematisch adressieren und in ihre Organisationsstrukturen integrieren. Sie schafft ein gemeinsames Verständnis und Best Practices für den gesamten Lebenszyklus von KI-Anwendungen: von der Entwicklung über den Betrieb bis hin zur kontinuierlichen Verbesserung.
Dies ist besonders dort wichtig, wo KI-gestützte Systeme immer häufiger kritische Entscheidungen treffen, die direkte Auswirkungen auf Menschen haben – beispielsweise bei der Kreditvergabe, der Diagnose von Krankheiten oder der Überwachung von Verhalten. Die Norm sorgt dafür, dass solche Systeme nicht nur funktional, sondern auch ethisch vertretbar, nachvollziehbar und vertrauenswürdig sind.
Der Standard richtet sich offiziell an jede Organisation, die KI in irgendeiner Form nutzt, einsetzt oder anbietet – unabhängig von der jeweiligen Größe oder Art. Damit ist potenziell jedes Unternehmen angesprochen. Aus praktikabler Sicht sollte jedoch nicht jedes Unternehmen, das KI einsetzt, sofort eine ISO/IEC 42001-Zertifizierung anstreben. Es gilt, Aufwand und Nutzen abzuwägen.
Im Fokus stehen vor allem Unternehmen, die KI-Produkte oder -Dienstleistungen entwickeln, anbieten oder einsetzen, die erhebliche Risiken bergen oder in sensiblen Kontexten eingesetzt werden. Dazu gehören beispielsweise Firmen aus dem Gesundheitswesen, der Finanzbranche, dem öffentlichen Sektor oder dem Bereich der Sicherheits- und Überwachungstechnologien.
Besonders relevant ist die Norm für Unternehmen, die KI mit hohem Risiko im Sinne des EU AI Act verwenden. Ein typisches Beispiel ist eine KI, die das Verhalten von Menschen bewertet, etwa für Einstellungsprozesse oder Kreditwürdigkeitsprüfungen. Selbiges gilt für KI im Gesundheitswesen oder juristischen Bewertungen. In solchen Fällen hilft die Zertifizierung nicht nur, die gesetzlichen Anforderungen zu erfüllen, sondern auch das Vertrauen von Kunden, Partnern und Aufsichtsbehörden zu stärken.
Für Unternehmen mit rein experimenteller KI-Integration, minimalem KI-Einsatz oder solche, die ausschließlich KI-Dienstleister nutzen, ist die ISO/IEC 42001-Zertifizierung aktuell eher irrelevant. Zum Beispiel, wenn bekannte Anwendungen wie ChatGPT zum Erstellen von Marketingmaterial, Texten ohne datenschutzrelevante Informationen oder Übersetzungen eingesetzt werden.
In Deutschland bieten mehrere akkreditierte Stellen die ISO/IEC 42001-Zertifizierung an, darunter etablierte TÜV-Organisationen, die über fundierte Expertise im Bereich internationaler Normen verfügen. Diese Organisationen begleiten Unternehmen durch den gesamten formellen Zertifizierungsprozess bis hin zum abschließenden Audit.
Ziel ist es, sicherzustellen, dass KI-Systeme nicht nur technisch einwandfrei funktionieren, sondern auch den ethischen und regulatorischen Anforderungen entsprechen. Unternehmen profitieren von einer unabhängigen Prüfung, die ihre Bemühungen um verantwortungsvollen KI-Einsatz sichtbar macht und nachweisbar dokumentiert.
Für eine Zertifizierung nach ISO/IEC 42001 werden die nach dem ISO/IEC-Schema bekannten Bereiche abgearbeitet:
Besonders wichtig bei der ISO/IEC 42001 ist die Risikoanalyse: Unternehmen müssen aufzeigen, wie sie mögliche Fehlentscheidungen der KI verhindern oder abmildern. Ebenso ist die Dokumentation der Trainingsdaten, Algorithmen und Testverfahren notwendig, um Transparenz und Nachvollziehbarkeit zu gewährleisten.
Die ISO/IEC 42001 ist zwar noch relativ neu, es haben aber bereits mehrere internationale IT-Dienstleister die Zertifizierung erhalten. Sie zeigen damit ihr Engagement für den verantwortungsvollen Einsatz von KI und positionieren sich als vertrauenswürdige Partner im Markt. In Deutschland arbeiten hingegen noch wenige Unternehmen an der Zertifizierung oder haben diese bereits erfolgreich abgeschlossen.
Eine ISO/IEC 42001-Zertifizierung bringt viele Vorteile mit sich. Sie hilft Unternehmen, die vielfältigen Risiken rund um KI zu managen – von fehlerhaften Ergebnissen über rechtliche Haftungen bis hin zu Imageschäden. Durch die strukturierte Einführung und Dokumentation von KI-Managementprozessen können Unternehmen Probleme frühzeitig erkennen und proaktiv vermeiden.
Darüber hinaus unterstützt die Zertifizierung beim Nachweis der Einhaltung von Gesetzen wie dem EU AI Act und bereitet auf zukünftige regulatorische Anforderungen vor. Obwohl die ISO/IEC 42001 derzeit noch keine zwingende Voraussetzung in öffentlichen oder privaten Ausschreibungen ist, wird sie in Zukunft voraussichtlich eine immer wichtigere Rolle bei Beschaffungsentscheidungen spielen – so wie es beispielsweise bei der ISO 9001, 14001 und 27001 der Fall ist. Die Zertifizierungsnachweise nach diesen Normen werden immer häufiger verlangt.
Unternehmen sollten sich deshalb frühzeitig mit der ISO/IEC 42001 auseinandersetzen und prüfen, ob und wie eine Zertifizierung ihre KI-Strategie sinnvoll ergänzt. Entscheidend ist dabei das jeweilige Geschäftsfeld und die Zukunftsplanung des Unternehmens bezüglich KI.
Für Unternehmen, welche bereits andere ISO/IEC-Normen umgesetzt haben, ist der initiale Aufwand voraussichtlich geringer, da die nach den meisten ISO-Normen geforderten Strukturen bereits vorhanden sind.
Die ISO/IEC 42001 kann vielseitig über die verschiedensten Branchen eingesetzt werden. Ein großer Finanzdienstleister kann sie einsetzen, um seine KI-gestützten Kreditbewertungsmodelle zu überprüfen. Dabei würden potenzielle Verzerrungen in den Bewertungen erkannt und Maßnahmen zur besseren Fairness implementiert werden. Das Unternehmen könnte so regulatorische Vorgaben erfüllen und gleichzeitig das Vertrauen der Kunden stärken.
Ein Hersteller im Gesundheitssektor kann die Norm einsetzen, um die Validität seiner KI-gestützten Diagnosesysteme zu gewährleisten. Durch den normgerechten Aufbau eines Managementsystems könnte die Zuverlässigkeit der Diagnosen messbarer werden und der Nachweis der Qualität gegenüber Aufsichtsbehörden erleichtern.
Die ISO/IEC 42001 ist ein potenziell wegweisender Standard für die verantwortungsvolle Steuerung von KI-Systemen und ihre Bedeutung wird in den kommenden Jahren wahrscheinlich weiter zunehmen. Die regulatorische Landschaft rund um KI wird strenger und immer mehr Unternehmen erkennen die Notwendigkeit, KI nicht nur technisch, sondern auch ethisch verantwortungsvoll zu steuern. Die Zertifizierung wird sich zu einem entscheidenden Kriterium in Ausschreibungen und Partnerschaften entwickeln. Gerade in Branchen mit hohem Risiko und starker Regulierung wird sie zunehmend zum Qualitätsmerkmal und Wettbewerbsvorteil.
Ausnahmen bilden Unternehmen, welche auch in Zukunft sicher sagen können, keine wesentliche KI-Nutzung aufzuweisen. Andere Unternehmen, die klare Verantwortlichkeiten, transparente Prozesse und kontinuierliche Kontrollmechanismen etablieren, profitieren jedoch langfristig von mehr Stabilität und weniger Risiken.
Henri Raim ist Senior Consultant bei Advens DACH.