Kommentar von Cloudflare

Netzsperren: Hohe Risiken, geringe Wirkung?

25. August 2025, 8:20 Uhr | Autor: Sebastian Hufnagel / Redaktion: Diana Künstler
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Netzsperren sollen illegale Inhalte blockieren, verursachen jedoch massive Kollateralschäden. Der neue Analysys-Mason-Report mit Cloudflare zeigt, warum Sperren unbeteiligte Nutzer treffen, Wirtschaft gefährden und kaum Wirkung entfalten – und welche Alternativen es gibt.

Der Kommentar geht unter anderem auf folgende Fragen ein:

  • Was sind Netzsperren?
  • Welche Probleme verursachen Netzsperren?
  • Welche Beispiele gibt es in Europa?
  • Warum gelten IP-Sperren als besonders riskant?
  • Sind Netzsperren wirksam gegen Rechtsverletzer?
  • Welche Risiken birgt Deep Packet Inspection (DPI)?
  • Was ist die bessere Alternative?
  • Welche Rolle spielen Transparenz und Rechtsschutz?

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Sebastian Hufnagel, Cloudflare
Sebastian Hufnagel ist Senior Public Policy Manager DACH bei Cloudflare.
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Der aktuelle Report von Analysys Mason in Zusammenarbeit mit Cloudflare bringt eine brisante Debatte auf den Punkt: Die Praxis von Netzsperren – also gerichtlich angeordnete Sperren von Internetinhalten durch Netzbetreiber, auf Basis von IP-Adressen, Domain-Namen oder Deep Packet Inspection (DPI) – verursacht unverhältnismäßige wirtschaftliche Kosten und schadet einer großen Anzahl unbeteiligter Verbraucher, ohne dabei die Probleme bei der Wurzel zu packen.

Die jüngsten europäischen Beispiele belegen eindrucksvoll, welch inakzeptable Kollateralschäden das übermäßige Sperren („Over-Blocking“) von Inhalten auf Netzwerkebene zur Folge haben kann: In Spanien wurden durch die Sperrung von IP-Adressen zur Durchsetzung von Urheberrechten der spanischen Fußball-Liga (La Liga) nebenbei auch tausende legitime Websites gesperrt, sodass zahlreiche legale Dienste ausfielen und der Online-Handel empfindlich gestört wurde. In Italien sorgten unverhältnismäßige IP-Sperren, die automatisiert über die nationale „Piracy-Shield“-Plattform angeordnet wurden, ebenfalls zu stundenlangen Ausfällen zehntausender legitimer Websites und Online-Dienste, die Google Drive und Cloudflare-Dienste nutzen. Und in Österreich sorgte die auf Betreiben von Rechteinhabern angeordnete Sperre von 14 illegalen Domains dafür, dass auch tausende legitime Webseiten, die zufällig die gleichen IP-Adressen von Cloudflare nutzten, über zwei Tage hinweg nicht erreichbar waren.

Diese und andere Fälle zeigen, dass Netzsperren regelmäßig über das Ziel hinausschießen: Kollateralschäden treffen nicht diejenigen, die geltendes Recht verletzen, sondern all jene, die auf dieselbe Infrastruktur für legitime Zwecke angewiesen sind. Wenn tausende IP-Adressen willkürlich gesperrt werden, geraten unbeteiligte Services und Geschäftsprozesse ohne Vorwarnung oder Erklärung ins Stocken oder zum Stillstand. Handelsunternehmen erleben Umsatzeinbußen, Angestellte und Kunden stehen vor verschlossenen digitalen Türen.

Hinzu kommt ein weiteres Problem: Technische Sperr-Maßnahmen greifen oft tief in die rechtlich geschützte Privatsphäre ein und untergraben legitime IT-Sicherheitstools. Die eigentlichen Zielpersonen können Sperren meist umgehen, während unerfahrene Nutzer mit den negativen Nebenwirkungen allein gelassen werden.

Darüber hinaus unterscheiden sich die gängigen Sperrtechniken erheblich hinsichtlich ihrer Wirksamkeit und bergen jeweils spezifische Risiken. IP-Sperren gelten dabei als besonders grobes Instrument: Da viele Websites und Dienste dieselben IP-Adressen nutzen, werden bei einer Sperrung häufig auch zahlreiche legale Angebote betroffen – es drohen erhebliche Kollateralschäden, wie in den obigen Beispielen verdeutlicht wurde. Zudem lässt sich das Verfahren leicht umgehen, indem Inhalte rasch auf andere IP-Adressen umziehen. DNS-Sperren wiederum können durch die Nutzung alternativer DNS-Resolver einfach ausgehebelt werden. Durch sie lassen sich nur ganze Domains statt nur gezielt rechtswidrige Inhalte sperren, sodass auch legitime Seiten unzugänglich werden können. Darüber hinaus kann die Ausweitung von DNS-Sperren auf Anbieter globaler DNS-Resolver den weltweiten Zugang zu den betreffenden Domains über diese Resolver unterbinden und damit auch jenseits ihres geografisch begrenzten Geltungsbereichs zu Problemen führen. Deep Packet Inspection (DPI) erlaubt eine feinere Filterung von Datenverkehr, ist aber technisch aufwändig, teuer, aus Datenschutzsicht hochproblematisch und gegenüber verschlüsselten Datenströmen deutlich weniger effektiv.

Manchmal werden auch VPN-Sperren verwendet, um die Umgehung von Sperren für Rechteverletzer zu erschweren.  Dadurch werden aber auch rechtmäßige und wichtige Nutzungen von VPNs zum Schutz der Privatsphäre und der Datensicherheit behindert. Gemeinsam ist allen diesen Techniken, dass sie mehr Nebenwirkungen als nachhaltigen Nutzen verursachen und grundlegende Prinzipien eines offenen, vertrauenswürdigen Internets gefährden.

Was lernen wir daraus?

Netzsperren sind nicht nur ungeeignete Werkzeuge, sondern bergen vor allem auch weitreichende wirtschaftliche und gesellschaftliche Risiken. Die Verhältnismäßigkeit und mögliche Alternativen müssen vor jeder Maßnahme sorgfältig geprüft werden. Die effektivste und schonendste Maßnahme gegen rechtswidrige Online-Inhalte ist deren Entfernung direkt an der Quelle. Auf diese Weise könnten die massiven Kollateralschäden, die durch Netzsperren entstehen, vermieden werden. Um die Wirksamkeit der Maßnahme sicherzustellen, bedarf es allerdings einer verstärkten internationalen Zusammenarbeit, da viele Problemfälle grenzüberschreitend angegangen werden müssen.

Darüber hinaus sollten Transparenz und Rechtsstaatlichkeit im Fokus stehen. Bedeutet: Betroffene Dienstleister und Nutzer müssen über die Gründe für die Sperren oder Einschränkungen von Internetdiensten informiert werden. Zudem müssen ihnen Sicherheitsmechanismen zur Verfügung stehen, die einen effektiven Rechtsschutz ermöglichen. Hierzu zählen Verfahren zur Anfechtung und Korrektur von Sperren sowie gegebenenfalls Entschädigungsansprüche. Solche Mechanismen fördern zudem die Akzeptanz von Maßnahmen. Bereits heute zeigen sich in einigen Ländern Ansätze, wie Netzsperren verantwortungsvoll gestaltet werden können: Australien entwickelt technische Leitlinien zur Vermeidung von „Over-Blocking“, während im Vereinigten Königreich Sperren nur dann angeordnet werden, wenn deren Notwendigkeit, Effektivität und Verhältnismäßigkeit eindeutig nachgewiesen werden konnten. Und auch Deutschland hat in Gerichtsentscheidungen die Möglichkeiten für DNS-Sperren bereits eingeschränkt.

Fakt ist: Ein technischer Ansatz, der unzählige Unbeteiligte trifft, birgt immense Gefahren für die digitale Wirtschaft und die Freiheit der Internetnutzung. Sinnvoller und effektiver ist nur die gezielte Entfernung rechtswidriger Inhalte direkt an der Quelle. Auf diese Weise lassen sich Urheberrechte schützen, ohne dabei Kollateralschäden für Gesellschaft und Wirtschaft in Kauf zu nehmen.


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