Paula Brandt: Ich beobachte bei Unternehmen, die im schwierigen 2020 erfolgreich waren, etwas anderes. Sie haben es trotz oder gerade wegen Homeoffice geschafft, den Zusammenhalt der Mitarbeiter sogar noch enger als vor dem Ausbruch der Pandemie zu gestalten. Das Motto: Krise schweißt zusammen. Da sind Chefs und Führungskräfte nochmal transparenter in der Offenlegung von Zahlen geworden als vorher. Manche haben ihren Mitarbeitern sogar Echtzeit-Einblick in die Lage des Unternehmens oder einer Sparte gewährt. Dadurch ist der Beitrag, den jeder und jede Einzelne leisten kann, noch deutlicher geworden. Das geht soweit, dass Mitarbeiter in Prozesse einbezogen werden, in die sie vorher nicht involviert waren. Beispielsweise bei der Mitarbeiterauswahl.
Einer meiner Kunden ist vergangenes Jahr von 20 auf über 60 Mitarbeiter gewachsen, alle wurden virtuell eingestellt, die jeweiligen Teile vom Team waren immer komplett in die Auswahl mit eingebunden. Hinzu kommt: Es wurden Beteiligungen und Prämien in Aussicht gestellt, die dann auch im Dezember eingelöst wurden – steuerfrei für die Mitarbeiter.
Aus Betroffenen Beteiligte zu machen, gestaltendes Miteinander vorzulebenen, davon raten vorbildliche Patriarchen dringend ab. Jüngere Führungskräfte lernen dann unreflektiert am Beispiel.
Brandt: Die Gutsherrenart im 21. Jahrhundert hält sich hartnäckig. Sie ist tatsächlich noch stärker da, als ich gedacht hatte. Mit meinem neuen Buch, an dem ich aktuell arbeite, will ich dies ein Stück weit ändern. Denn ich habe im letzten Jahr einige krasse Beispiele gesehen, die mich nach wie vor schockieren …
Wenn eine Führungskraft im Homeoffice einer Mitarbeiterin mit kleinem Kind Homeoffice verweigert?
Brandt: Traurige Realität. Übrigens gibt es durchaus immer noch einige jüngere Unternehmer, sogar im Tech-Bereich, die so ticken und ihren Mitarbeitern anordnen, nicht vom Homeoffice aus zu arbeiten, selbst wenn diese Angst vor Covid-Ansteckung haben. Es ist überhaupt nicht die Mehrheit, aber ich fand überraschend, dass es sie selbst in fortschrittlichen Tech-Companies immer noch gibt.
Und dann gibt es Verantwortliche, die längst darüber nachdenken, was sie für die neue Zeit brauchen. Beispiel von einem größeren DMS-Hersteller: Eine alleinerziehende Mutter hat sich schon im ersten Shutdown weinend bei ihrem Vorgesetzten gemeldet und gesagt, dass sie die Arbeit neben dem Home-Schooling nicht schaffen kann. Antwort vom Vorgesetzten: »Mach dir keine Sorgen. Das Team fängt das für dich auf, was du im Moment nicht leisten kannst. Egal wie lange es dauert«. Wie motiviert wird die Mannschaft künftig für eine solche Firma arbeiten? Die Firmen legen gerade den Grundstein dafür, wer in Zukunft erfolgreich sein wird.
Und bekommen automatisch Zulauf in einem Markt, wo gute Fachkräfte rar sind?
Brandt: Die Mitarbeiter heute stimmen mit den Füßen ab. Sie gehen erst gar nicht zu einem wenig flexiblen Arbeitgeber oder sind auch sehr schnell wieder weg, wenn sie verstehen, dass er so tickt. Sie gehen zu denen, die ihnen vertrauen.
Und die möglicherweise mehr bieten als nur Arbeit?
Brandt: Gerade letzte Woche habe ich mit einer High-Flyer Kandidatin gesprochen, die mir gesagt hat: »Ich habe doch nicht viel Geld für meinen Master in Sustainability in Schottland bezahlt, um zu irgendeiner Firma zu gehen, die es nicht ernst meint«. Sie brennt für einen Arbeitgeber, der ihr eine freie Hand lässt, ihr Arbeitsfeld ganz neu zu gestalten. Ohne Vertrauen vom Unternehmer geht das nicht. Und ohne Visionen auch nicht.
Patriarchen werden sich mit Helmut Schmidt bestätigt sehen, der Visionären zu einem Arztbesuch riet.
Brandt: Da zitiere ich den Schriftsteller Antoine de Saint-Exupéry: »Wenn du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.« Gerade die Vorreiter von heute sind Meister darin und der Grund, warum Bewerber bei solchen Unternehmungen dabei sein wollen und Schlange stehen. Sie fühlen, dass es dieser Unternehmer ernst meint mit seiner Vision und dass er auf ihren Beitrag dafür setzt. Es geht um aktive Teilhabe an neuen Geschäftsmodellen, an Innovation, Fortschritt und Erfolg. Das hat nichts mit Sozialromantik zu tun, sondern mit dem, was ganz sicher in fünf bis zehn Jahren überall die Norm sein wird.