So chancenreich sich der europäische Digital-Traum auf dem Papier liest, so schwer hatte er es aber von Anfang an. So sprach beispielsweise Microsofts ehemalige Deutschland-Chefin Sabine Bendiek Gaia-X direkt zum Start jegliche Erfolgsaussichten ab (äußerte aber bereits kurze Zeit später doch Interesse). Andere Kritiker bemängelten hingegen vor allem die zähe, bürokratisch geprägte Struktur des Vorhabens und wiesen auf den technischen Vorsprung der Hyperscaler hin. „Während die Cloud-Hyperscaler sich fröhlich mit den anderen Technologie-Riesen der Private Cloud- und Rechenzentrumswelt sowie der Cloud Native Community verbünden, um näher an die Use Cases der Unternehmen zu rücken, beschäftigt sich Gaia-X förmlich mit sich selbst und hat selbst in den eigenen Reihen Kritiker“, sagt Maximilian Hille, Head of Consulting beim Beratungsunternehmen Cloudflight. Zwar bekräftigt er auch, dass es generell kein Argument gegen eine Public Cloud aus der EU gibt. Aber: „Während in Europa über alles diskutiert wird und neue Papiere entstehen, wird andernorts einfach mal gemacht – mit Erfolg.“ So sei Gaia-X das „Vorzeigebeispiel einer ‚anti-agilen‘ Vorgehensweise“.
Hille gibt darüber hinaus zu bedenken, dass selbst Gaia-X-Mitglieder das Projekt teils offen kritisieren. Ein Beispiel: Scaleway. Ende 2021 hatte der französische Cloud-Anbieter und Gaia-X-Gründungsmitglied die Reißleine gezogen und seine Mitgliedschaft nicht mehr verlängert. „Die Ziele des Projekts sind zwar zunächst lobenswert, werden aber abgelenkt und ausgebremst durch ein paradoxes Phänomen der Polarisierung, das den Status quo, nämlich ungleiche Wettbewerbsbedingungen, noch verstärkt“, prangerte CEO Yann Lechelle an. Vor allem kritisierte er den Einfluss außereuropäischer Unternehmen auf die gemeinsame Strategie. „Die Aufnahme aller dominieren den außereuropäischen Cloud-Dienst-Anbieter ohne jegliche Einschränkung hatte erhebliche Auswirkungen, die wahrscheinlich nicht im Voraus bedacht wurden“, untermauerte Lechelle Ende 2021 die Ausstiegsentscheidung. Laut dem CEO hätten diese „marktbeherrschenden Unternehmen“ die anderen Mitwirkenden mit Leitlinien, Anforderungsvorschlägen und Kommentaren überhäuft, die das europäische Kollektiv einzeln oder gemeinsam unmöglich bewältigen konnte. Es entstand eine „strukturelle Verzerrung“. „Auf diese Weise konnten Normen geschaffen werden, die die bereits dominierenden Akteure begünstigen und nicht die Bedürfnisse, Erwartungen und Herausforderungen der verschiedenen lokalen Technologieanbieter in ganz Europa widerspiegeln.“ Die Interessen der Big Player würden geschützt, während innovative, aber gegenläufige Ansätze eher unterdrückt werden, so der Scaleway-CEO.