Natürlich bewegten sich die Distributionsschwergewichte nicht immer ganz freiwillig in Richtung Value Added Distribution, die Marktveränderungen zwangen sie dazu. Das begann schon mit dem Siegeszug des Online-Handels in den 2000er Jahren und dem Aufstieg der Internethandelsriesen. Der Erfolg der Etailer beschränkt sich ja nicht auf den Consumerhandel, im Vertrieb von Commodity-IT verdrängen Amazon und Co die Distributoren zunehmend auch als Lieferant für Handelskunden. Im für die Volumenspezialisten einst so wichtigen Retail- und Etail-Segment positionieren sich die Distributoren heute vor allem Fulfillment-Dienstleister. Denn während der traditionelle Zwischenhandel in diesem Segment aufgrund der anspruchsvollen Forderungen der Kunden, beispielsweise bezüglich der Zahlungsziele oder Rücknahmevereinbarungen, wenig lukrativ erscheint, können sich die Grossisten auch hier mit einer Vielzahl von Services, die über die Lieferleistung hinausgehen, noch aussichtsreich positionieren, wie Oliver Kaiser, Product Marketing Director Broadline bei Tech Data erklärt: »Wir arbeiten hier an einer Vielzahl von passenden Services für den Retail, vom Rackjobbing und Replenishment bis hin zur Konzeption von Digital Signage-Lösungen.«
Mit dem Aufstieg der Internetriesen ging auch ein zunehmender Margenverfall bei Hardware-Devices einher, der die Distributionsriesen, die bis heute vom Hardware-Absatz zu einem guten Teil abhängig sind. Das hat natürlich auch technologische Gründe, denn die Revolution der Digitalisierung wies den Hardwareprodukten nur noch eine Nebenrolle zu, so wie auch der traditionelle Software-Handel durch den Cloud-Ansatz schnell einbrach. Die Distributoren, Broadliner wie auch VADs, wurden von der Schnelligkeit, mit der diese Entwicklung einsetzte, überrascht und der erhöhte Veränderungsdruck führte zu einer Beschleunig der Konsolidierung in der internationalen Distributionsszene. Fast alle großen Distributoren kauften kräftig zu und/oder wurden verkauft. Die spektakulären Verkäufe von Ingram Micro an die chinesische HNA-Gruppe und des VADs Avnet TS an Tech Data rüttelten die Szene kräftig durch. Und mit dem geplanten Verkauf des VADs Westcon durch die südafrikanische Datatec-Gruppe könnte es weitere Marktwirren geben, nämlich dann, wenn tatsächlich der starke US-amerikanische Konkurrent Synnex über den Kauf auch noch in die europäische Distributionsszene drängt.
Dabei sind die Distributoren ja immer noch damit beschäftigt, den Schock, den der Siegeszug der neuen Trends der Digitalisierung, allen voran Cloud Computing, ausgelöst hat, aufzuarbeiten. Schließlich steht nichts weniger als die Umwälzung aller gewohnten Geschäftsmodelle des Zwischenhandels an. Entsprechend haben die Distributionsriesen bei ihren Zukäufen auch häufig auf Wettbewerberübernahmen verzichtet und stattdessen Kompetenzen zugekauft, die sie noch nicht besaßen, die aber für die Zukunft dringend benötigten: Cloud-Technologie und Services-Kapazitäten. »Warum soll ich etwas übernehmen, was ich selbst schon kann?«, fragte Also-Chef Gustavo Möller-Hergt rhetorisch auf seiner Bilanzkonferenz. Nein, die Also-Gruppe übernahm keinen Distributionswettbewerber, sondern den kleinen finnischen Cloud-Plattform-Anbieter Nervogrid, auf dessen Technologie der Distributor frühzeitig seinen Cloud Marketplace entwickelte, mit dem sich Also heute als führender Cloud Distribution-Anbieter in Europa sieht. Auch Ingram Micro holte sich mit der Odin Service Automation-Plattform Cloud-Kompetenzen ins Haus und gleich mehrere Firmen im Bereich Lifecycle Services. Und dass Tech Data seine Position als führender VAD mit der Übernahme des größten Wettbewerbers Avnet TS, vor allem wegen dessen Services-Kapazitäten, untermauert, versteht sich von selbst. Festzuhalten bleibt: Während sich zu Beginn der digitalen Revolution noch die bange Frage stellte, ob die Großhandels-Dinosaurier künftig überhaupt noch gebraucht würden, haben sie ihre Überlebensfähigkeit inzwischen bewiesen.