Welche Rolle im Oracle-Vertrieb spielen Cloud-Marktplätze, eigene und die der Distributoren? Wir hören, dass die Geschäfte mittlerweile gut laufen.
Kemp: Das ist richtig. Nehmen Sie, um eine weitere Perspektive im Vertrieb anzusprechen, ISVs. Wenn diese ihre Standardsoftwaresysteme OCR-fähig machen, also Oracle Cloud Readiness, dann schaffen sie einen großen Skallierungseffekt über Marktplätze. Das sind für uns begehrte Partner, die über Oracle distribuieren können.
Sie berichten an den Nordeuropa-Chef Frank Obermeier. Haben Sie ihn schon persönlich kennengelernt?
Kemp: Ja, Herr Obermeier war derjenige, der mich im richtigen Augenblick angerufen hat. Er war vor vier Jahren noch Deutschland-Chef. Der direkte Kontakt zu ihm ist viel wert. Das macht das Leben an vielen Stellen leichter, wenn sie einen Chef haben, der die gleichen Erfahrungen gemacht hat, wie ich sie jetzt mache.
Wie viel Handlungsfreiheit hat der Statthalter eines US-Konzerns in Deutschland?
Kemp: Natürlich haben wir ein Corporate Framework und ich halte mich an den gesetzten Rahmen. Ich glaube nach mehr als 100 Tagen Oracle sagen zu können: Was die Menschen vergessen haben in ihrem Bereich ist, sich diese Freiräume wieder zuschaffen, wo lokale Entscheidungen gefällt werden müssen. Wenn ich das mit einem Unternehmer vergleiche, der zu 100 Prozent selbst entscheiden kann, würde ich sagen, in meiner Rolle liegt die Freiheit der eigenen Entscheidung im Verhältnis zum Corporate Framework bei fünfzig Prozent - und das ist richtigviel.
Wir blicken bisweilen angstbesetzt auf andere Länder, die uns bei der Digitalisierung angeblich weit voraus sein sollen. Wo steht Deutschland bei der Digitalisierung?
Kemp: Wir stehen im internationalen Vergleich an zwölfter Stelle, so schlecht sind wir also nicht. Das haben wir im Lockdown bewiesen. Am 15. März ist Deutschland erst einmal nach Hause geschickt worden, zwei Wochen später lief hier mehr oder weniger alles. Wir sind alle ohne Regulierung ins Homeoffice gegangen, was Arbeitszeitgesetz oder Zugangsberechtigung anbelangt. Es hat funktioniert.
Keine bremsenden Regulierungen also, Technologie gar ohne Reflektion über Grenzen von Innovationen?
Kemp: Damit will ich nicht sagen, dass Technologien grundsätzlich unreguliert in Einsatz kommen sollten. Aber schauen Sie sich 5G an: Noch haben wir die Business Cases nicht auf dem Tisch, schon denken wir über Regulierung nach. Wir sollten die Dinge mit dem richtigen Augenmaß tun. Natürlich reden wir auch im Eco-Verband über Digitale Souveränität, über Transparenz, über Dinge, die wir als Mensch ein Stück weit unter Kontrolle haben und behalten sollten.
Dass sich Philosophen über die Folgen der Digitalisierung Gedanken machen und in Ethikkommissionen darüber diskutieren, wie weit Künstliche Intelligenz gehen darf, halten Sie für notwendig?
Kemp: Ja, eine Digitale Ethik halte ich für richtig. Ich bin seit 30 Jahren im Technologieumfeld, gehöre aber zu einer Generation, die wahrscheinlich keinen Roboter im Haushalt einsetzen würde. Wir sollten uns aber darüber Transparenz verschaffen, was geht und was nicht geht.
Solange wir Führung noch nicht ganz an einen Roboter abgeben können: Welchen Führungsstil praktizieren Sie?
Kemp: Ich würde ihn als partizipativ bezeichnen. Ich möchte nicht den Führungsstil repräsentieren, der eine große Distanz zu allen Mitarbeitern bedeutet. Ich habe eine extreme Nähe zu allen Mitarbeitern und nicht nur zur Managementebene. Diese Nähe brauchen die Menschen auch wieder. Wir haben in den letzten Jahren unheimlich viel Distanz aufgebaut, wir müssen wieder mehr verstehen. Mein Thema ist in erster Linie: Was ist Motivation, was treibt an – auch um ein positives Momentum zu halten. Im Übrigen heißt für mich partizipativ auch: ich bin nicht die Entscheiderin, sondern ich bin Teil des Teams und kann die Entscheidungen nur so gut treffen, wie ich informiert werde.
Nicht unbedingt einfach, in Zeiten von sozial distancing näher am Mitarbeiter dran zu sein.
Kemp: Ich habe in den letzten 100-Tagen in vielen Zoom-Sessions erst einmal in viele nicht lächelnde Gesichter geblickt und gesagt: Schenkt mir doch mal ein Lächeln. Daraufhin haben wir in unserem Enterprise Slack einen Channel aufgemacht, wo Mitarbeiter private Bilder gepostet haben, zum Beispiel mit Hund oder Großmutter. Das sind kleine Effekte, die uns aber trotz digitaler Kommunikation wieder ein Stück näher bringen. Meine Leidenschaft ist, mit Menschen zu arbeiten. Für diese Art bekomme ich aktuell viel positives Feedback. Das ist, neben meinen tagesfüllenden Aufgaben, die Extrameile, die man gehen muss. Dazu zählen auch meine Engagements im Diversity-Umfeld, Ladies in Tech, Oracle Women Leadership und bei den Themen Inklusion und Nachhaltigkeit.
Frau Kemp: Wir bitten Sie um eine kurze Ergänzung oder einen knappen Kommentar. Unverhofft kommt oft.
Kemp: Alles Schicksal.
Mit Fehlentscheidungen muss man so umgehen, dass …
Kemp: man ganz, ganz schnell daraus lernt und es wieder in die richtige Richtung biegt.
Mein größter Business-Erfolg war …
Kemp: mein erstes verkauftes Computersystem 1987: Vier IBM PS2-Systeme, 20 MB Festplatte, zum Preis von 100.000 Mark.
Bill Gates soll mal gesagt haben, das Internet werde sich nie durchsetzen. Meine größte Fehleinschätzung war, …
Kemp: dass mein Neffe einmal Künstler wird.
Vielen Dank für das Gespräch, Frau Kemp.
Oracle am Wendepunkt – Zweigleisig in die Cloud. Die ICT CHANNEL-Analyse