Warum jetzt der richtige Zeitpunkt ist, Gebäude radikal neu zu denken – und welche Rolle KI, 5G und Cloud dabei spielen. Honeywell-Europachef Przemek Szuder über Chancen, Hemmnisse und den Weg zur digitalen Vorreiterrolle.
connect professional: Wenn wir heute von „smarten Gebäuden“ und Industrien sprechen: Was ist eigentlich bereits Realität, und was noch Wunschdenken?
Przemek Szuder: Smarte Gebäude sind längst keine Zukunftsvision mehr – sie sind bereits heute Teil der Art und Weise, wie wir Räume verwalten und erleben. Cloud-basierte Gebäudemanagementsysteme wie der „Remote Building Manager” (RBM) von Honeywell ermöglichen es, Gebäude ortsunabhängig zu überwachen und zu steuern. Ergänzt werden sie durch Technologien wie BACnet-Steuerungen (Building Automation and Control Network) und digitale Zwillinge, um Effizienz und Sicherheit zu erhöhen. Obwohl KI-gestützte Systeme bereits heute vorausschauende Wartung übernehmen und Echtzeit-Empfehlungen erstellen, ist menschliche Expertise in den meisten betrieblichen Abläufen weiterhin unerlässlich. Dabei geht es vor allem darum, komplexe Situationen zu bewerten und fundierte Entscheidungen zu treffen.
Der nächste Schritt führt von der Automatisierung, bei der Technologien auf vorab programmierte Anweisungen reagieren, zu Autonomie – und das sowohl in Gebäuden als auch in industriellen Umgebungen. Autonome Systeme erfassen ihre Umgebung, analysieren sie und handeln eigenständig. Sie treffen Entscheidungen und geben Empfehlungen, die sich flexibel an neue Bedingungen, veränderte Umgebungen oder unerwartete Herausforderungen anpassen. Die technologischen Grundlagen dafür sind schon jetzt vorhanden. Für viele Unternehmen ist der Weg zur vollständigen Autonomie aber ein schrittweiser, iterativer Prozess.
connect professional: Welche technologischen Trends bestimmen aktuell die Entwicklung in der Gebäudeautomation und welche davon sind aus Ihrer Sicht überbewertet?
Szuder: Künstliche Intelligenz ist derzeit eines der wichtigsten Technologiethemen – und das aus gutem Grund. KI kann großee Mengen historischer Betriebsdaten analysieren und daraus nahezu in Echtzeit präzise Entscheidungen ableiten. Ihr Potenzial und ihre Fähigkeiten sind enorm, doch es ist wichtig zu betonen, dass sie nur einen Teil des größeren technologischen Wandels ausmachen.
Drei zentrale Technologietrends bilden die Grundlage für Autonomie – wir sprechen hier von der „technologischen Trifecta“. Neben enormen Fortschritten in der KI-Rechenleistung auf Chip-Ebene zählen dazu der Ausbau des Cloud-Computing sowie die 5G-Implementierung für eine schnelle und latenzarme Kommunikation. Durch das Zusammenspiel dieser Technologien sind Unternehmen in der Lage, das volle Potenzial ihrer Betriebsdaten zu nutzen – und ihre Prozesse intelligenter, effizienter und anpassungsfähiger gestalten.
connect professional: Wie schätzen Sie den digitalen Reifegrad gewerblicher Gebäude in Deutschland ein – eher Vorreiter oder Nachzügler?
Szuder: Vor Kurzem fand unser European Growth Symposium in Deutschland statt – ein Treffen, bei dem unsere Technologieexpert:innen gemeinsam an der zukünftigen Produktstrategie arbeiten. Der Veranstaltungsort war bewusst gewählt: Deutschlands ausgeprägte Tradition und seine führende Rolle in den Bereichen KI, Cloud und 5G machen es zum idealen Standort für technologische Innovationen.
Ein konkretes Beispiel dafür ist unser neues „Connected Buildings“ Center of Excellence (CoE) in Ratingen. Als zentrale Plattform für vernetzte Gebäudetechnologien spielt das CoE eine Schlüsselrolle in unserem Geschäftsbereich Building Automation in Deutschland. Unser Ziel ist es, Ratingen zu einem Innovationszentrum für Europa zu entwickeln und Lösungen anzubieten, die den Gebäudebetrieb nachhaltig verbessern.
Wir sind überzeugt: Deutschland hat das Potenzial, in diesem Bereich eine Vorreiterrolle einzunehmen.
connect professional: Was hemmt aus Ihrer Sicht aktuell die Investitionsbereitschaft in moderne Gebäudeautomation: technologische Unsicherheit, Fachkräftemangel oder Kosten?
Szuder: Im vergangenen Jahr haben wir weltweit 1.600 Technologieentscheider aus verschiedenen Branchen befragt, die sich mit dem Einsatz von KI beschäftigen oder diesen bereits vorantreiben. Zwei Drittel gaben an, dass mehr als ein Viertel ihrer Anlagen noch nicht ausreichend auf KI vorbereitet ist. Fast die Hälfte kämpft regelmäßig mit fehlenden Ressourcen, um entsprechende Projekte umzusetzen. Das zeigt: Der Weg zur Autonomie ist ein schrittweiser Prozess – und erfordert die richtigen Technologiepartnerschaften. Trotz dieser Herausforderungen herrscht große Zuversicht. 94 Prozent der Befragten berichten von einer klaren Unterstützung durch ihre Unternehmensführung und über 90 Prozent entdeckten während der Implementierung neue, zuvor nicht bekannte Anwendungsfälle.
Die Chancen, die KI-gestützte Automatisierung für Betreiber von Gebäuden und Industrieanlagen bietet, sind eindeutig. Entscheidend ist, dass die Umsetzung strategisch und vorausschauend erfolgt. Aber angesichts des rasanten technologischen Fortschritts ist jetzt der richtige Zeitpunkt, diesen Weg einzuschlagen.
connect professional: Wo sehen Sie aktuell die vielversprechendsten Anwendungsfälle, etwa bei Energieverbrauchsoptimierung, prädiktiver Wartung oder Raumnutzung?
Szuder: Besonders großes Potenzial bietet KI im automatisierten Gebäudebetrieb – insbesondere bei der vorausschauenden Wartung oder der Optimierung des Energieverbrauchs. Überall dort, wo große Datenmengen in konkrete Handlungsempfehlungen übersetzt werden können, entsteht ein echter Mehrwert.
Heizungs-, Lüftungs- und Klimaanlagen (HVAC) lassen sich heute mithilfe von Echtzeitdaten und Verbrauchsmustern dynamisch steuern. Das erhöht nicht nur den Komfort für die Nutzer:innen, sondern senkt auch den Energieverbrauch deutlich. KI unterstützt diese Prozesse, indem sie Ineffizienzen frühzeitig erkennt, Wartungsbedarf prognostiziert und so die Lebensdauer kritischer Gebäudesysteme verlängert.
connect professional: Und wie verändert sich durch diese Systeme die Rolle des Menschen im Gebäudemanagement? Wird aus dem Facility Manager ein Datenmanager?
Szuder: Ja, definitiv. Die Rolle des Facility Managers verändert sich vom reaktiven Techniker hin zum datengetriebenen Entscheider. Moderne Systeme melden nicht nur Störungen, sondern liefern auch konkrete Handlungsempfehlungen, die schnellere und fundiertere Entscheidungen ermöglichen.
Das bedeutet: Der Mensch steht weiterhin im Zentrum, wird aber durch digitale Helfer unterstützt. Besonders spannend ist, dass auch weniger erfahrene Mitarbeitende durch KI-gestützte Assistenzsysteme ein neues Kompetenzniveau erreichen können. Das steigert ihre Reaktionsgeschwindigkeit und verbessert die Gesamtleistung des Teams.
connect professional: Die EU verschärft ihre Vorgaben für Energieeffizienz und Nachhaltigkeit. Wird die Gebäudeautomation dadurch zum Muss?
Szuder: Ja, regulatorische Vorgaben wie die Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden (EPBD) und die CSRD rücken die Energieeffizienz von Gebäuden zunehmend in den Fokus. Viele Unternehmen prüfen deshalb, wie sie ihren Energieverbrauch besser überwachen und steuern können. Die Gebäudeautomation bietet hier einen wirkungsvollen Ansatz, um diese Anforderungen zu erfüllen. Unsere Connect-Gebäudemanagementsysteme passen zum Beispiel den Energieverbrauch dynamisch an die tatsächliche Gebäudebelegung an. Gleichzeitig lassen sich so Einsparpotenziale in Echtzeit über das gesamte Gebäudeportfolio hinweg berechnen. So unterstützen sie die Optimierung des Energieeinsatzes, die Emissionsanalyse, die CO₂-Bilanzierung und die Erfüllung von Berichtspflichten.
connect professional: Was kann die Branche tun, um junge Talente für technische Berufe im Bereich Gebäudetechnik und Digitalisierung zu gewinnen?
Szuder: Unser europäisches Ausbildungsprogramm ist ein zentraler Bestandteil der Honeywell-Strategie, um Nachwuchstalente für Schlüsselbranchen wie die gewerbliche Immobilienwirtschaft zu gewinnen. Im letzten Jahr haben wir Ausbildungsplätze in neun Ländern geschaffen, darunter Deutschland, Großbritannien, Frankreich und Spanien. Strukturierte, praxisnahe Ausbildungsgänge und gezielte Schulungen ermöglichen jungen Talenten einen direkten Einstieg in die Berufswelt – und stärken gleichzeitig unsere langfristige Talentpipeline.
An unserem neuen Standort für vernetzte Gebäudetechnologien in Ratingen haben wir moderne Schulungsräume eingerichtet. Dort werden deutsche Techniker und Installateure gezielt auf Honeywell-Systeme vorbereitet. Genau diese Kombination aus praktischer Ausbildung und fortschrittlichem Training ist entscheidend, um eine neue Generation von Fachkräften zu befähigen – mit dem Ziel, durch vernetzte, intelligente Technologien die Produktivität zu steigern und nachhaltiges Wachstum zu ermöglichen.