Arbeiten in und nach Pandemiezeiten

Vom Höhlenmenschen zur KI

27. April 2021, 7:00 Uhr | Dr. Wilhelm Greiner

Fortsetzung des Artikels von Teil 1

Remote Work nach der Pandemie

Ein großer Teil der deutschen Beschäftigten wünscht sich, die Option flexiblen Arbeitens möge auch im Postcoronarium erhalten bleiben: Laut einer Citrix-Umfrage – der Remote-Work-Spezialist ließ OnePoll 3.750 Bürobeschäftigte in Deutschland, Frankreich, den Niederlanden, der Schweiz und UK befragen, darunter 1.000 hierzulande – bevorzugt knapp die Hälfte der deutschen Befragten (48 Prozent) nach der Pandemie ein hybrides Modell, hätte also gern die Wahl zwischen Büro und mobilem Arbeiten. Nur 15 Prozent wollen tagtäglich ins Büro zurück. 50 Prozent der Deutschen stimmten der Aussage zu, Unternehmen, die kein flexibles Arbeiten anbieten, seien für die Beschäftigten unattraktiv. 46 Prozent gaben sogar an, sie würden eine neue Stelle nur antreten, wenn das Unternehmen Home-Office oder flexible Optionen bietet. Jeder zweite (51 Prozent) wünschte sich ein gesetzlich verankertes Recht auf Home-Office und Remote-Arbeit.

Die gute Nachricht für Arbeitgeber: Bei der Citrix-Umfrage erklärten mehr als drei Viertel (77 Prozent) der deutschen Befragten, zu Hause mindestens ebenso lange zu arbeiten wie im Büro, 34 Prozent sogar länger. Wie im Büro, so stellt sich allerdings auch in der häuslichen Höhle die Frage, ob Arbeitsdauer gleichzusetzen ist mit Produktivität. Bedenklich: 40 Prozent der Befragten gaben zu Protokoll, ihre psychische Gesundheit habe sich in den letzten zwölf Monaten verschlechtert. Vor diesem Hintergrund halten fast neun von zehn Beschäftigten (88 Prozent) eine Unternehmenskultur für wichtig, die das psychische und/oder physische Wohlbefinden fördert.

Citrix’ DACH-Chef Oliver Ebel riet Unternehmenslenkerinnen und -lenkern anlässlich der Umfrage: „2021 sollten sie den Blick von der rein operativen Seite des Geschäfts lösen und mehr Zeit und Ressourcen darauf verwenden, ihre Werte in einer Welt nach der Pandemie zu definieren – mit einer hybrid arbeitenden Belegschaft, die von ihrem Arbeitgeber unterstützt und eingebunden werden möchte.“

Zwar sei der deutsche Mittelstand in puncto Digitalisierung längst nicht so ein Nachzügler wie häufig dargestellt, so Katharina Jessa, die bei Cisco Deutschland den KMU-Vertrieb leitet, gegenüber LANline, doch bei der Förderung neuer Arbeitsweisen sieht auch sie noch Luft nach oben: „Kein Unternehmen kann sich mehr davor wegdrehen, das Konzept der Arbeitswelt neu zu überdenken,“ so Jessa. Die Unternehmen müssten sich fragen: „Was passiert mit der gesamten kulturellen Herangehensweise? Wie arbeitet man als Team zusammen? Wie gestaltet man die Mitarbeiterführung, die Mitarbeiterentwicklung? Wie motiviert man die Menschen, den persönlichen Kontakt zu halten, wenn sie nicht die Kaffeeküche haben?“

Jessa sieht hier drei Baustellen. Erstens gelte es, die Sicherheitsfragen zu klären: „Was braucht man zur IT-Absicherung? Wer darf im Home-Office drucken, wer nicht? Wie stellt man sicher, dass die Daten des Unternehmens und der Endkunden geschützt sind?“

Zur Remote-Work-Sicherheit sagt Peter Machat, DACH-Chef bei Ivanti: „Bis 2025 werden Zero-Trust-Zugänge und -Architekturen die Norm sein.“ Denn ein Unternehmen müsse heute davon ausgehen, dass sich Angreifer bereits im Netzwerk befinden. Sicherheit lasse sich deshalb nur gemäß dem Zero-Trust-Motto „Vertraue nie, verifiziere immer“ gewährleisten. Ergänzend, so Machat, sollten Unternehmen Datenzugriffe nur jenen Apps erlauben, denen sie vertrauen und die sie verwalten können – und selbst hier sollte man DLP-Richtlinien (Data Loss Prevention) einrichten.

Zur IT-Security gesellen sich laut Katharina Jessa weitere Sicherheitsaspekte, etwa Regelungen für Arbeitsunfälle im Home-Office. Ist eine rundum sichere Basis geschaffen, gehe es zweitens um eine Hybrid-Work-Strategie: „Um nicht in eine Art Zweiklassengesellschaft abzurutschen, brauchen Unternehmen ein klares Konzept zum Thema hybrides Arbeiten“, so Jessa. „Denn der Arbeitsplatz ist zukünftig da, wo man sich befindet, und nicht da, wo man hingeht.“ Das Unternehmen müsse auch im Home-Office das geeignete Arbeitsumfeld schaffen, damit die Beschäftigten sich auf ihre Arbeit konzentrieren können.

Der dritte Kernpunkt ist für die Cisco-Managerin die Unternehmenskultur. Denn, so Jessa, weder Gesellschaft noch Unternehmen förderten es, beispielsweise zu sagen: „Meine Kinder sind zu Hause, ich kann heute Vormittag nicht arbeiten.“ Ihre Forderung: „Das Management muss es unterstützen, dass Offenheit gelebt werden darf, dass Verletzlichkeiten gezeigt werden können, dass man sich aufeinander verlassen kann.“ Hier sei es wichtig, Unterschiede zu akzeptieren: „Nicht jeder ist digital affin, nicht jeder fühlt sich wohl, per Video zu sprechen.“

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Ivantis DACH-Chef Pater Machat prophezeit: „Bis 2025 werden Zero-Trust-Zugänge und -Architekturen die Norm sein.“
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Eine Hybrid-Work-Kultur beginnt laut Chris Dercks, DACH-Chef bei F5, schon beim Onboarding: „Die größten Hindernisse beim Digital Onboarding sind das gegenseitige Kennenlernen, die Integration in das Team und die Sicherstellung der Teamdynamik“, sagt Dercks. „Dies erfordert deutlich mehr und früheres Nachfragen, erfahrene Mentoren, digitale Einarbeitungspläne, individuelle Lösungen für die Mitarbeitenden sowie Teaming-Events zur Identifikation mit dem Unternehmen.“ Gefragt sei hier mehr Proaktivität seitens des Managements wie auch der Beschäftigten.

Zum Wir-Gefühl verteilter Teams merkt Christian Koch, Digital-Workplace-Experte bei Campana & Schott, an: „Mit den richtigen Voraussetzungen des digitalen Arbeitsplatzes lassen sich Firmen-Events, Expertengespräche oder Kaffeepausen erfolgreich virtualisieren – und fördern so die Interaktion sowie das Zugehörigkeitsgefühl.“ Hier sei das Führungsteam gefordert, diese Kultur vorzuleben und zu fördern.

Wie das in der Praxis aussehen kann, erläuterte Cisco-Managerin Jessa an einem Beispiel: Als die „Black Lives Matter“-Bewegung letztes Jahr in den USA ein brisantes Thema war, sei die Cisco-Führung mit der Belegschaft im Gespräch geblieben, bis alle Fragen dazu beantwortet waren. Eine solche Diskussionskultur dürfte künftig an Bedeutung gewinnen – selbst und gerade wenn die Beschäftigten großflächig verstreut sind.

Der lange Weg aus der Höhle

Manch ein pandemiemüder Höhlenbewohner kann es kaum erwarten, den endlosen Schattenspielen auf seinem Display zu entkommen und hinaus ins Sonnenlicht zu treten. Der Weg vom verschanzten zum flexiblen Arbeiten, wie es „Future of Work“-Propheten propagieren, kann steinig sein. Er erfordert nicht nur digitale Tools, KI-Assistenten und Cloud-Services, sondern auch eine Wende in der Unternehmenskultur: weg vom Sippenältesten, der am Lagerfeuer seine Horde um sich schart, hin zum Online-Miteinander, das auf Vertrauen, Offenheit und standortübergreifender Kollegialität beruht. So wie unser innerer Höhlenmensch gestrickt ist, liegt vor uns wohl eine Aufgabe, die den BER-Bau und die Impfkampagne als Fingerübungen erscheinen lässt.


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