funkschau Kommentar

Ein Elefant namens Ozetge

3. Mai 2022, 9:00 Uhr | Sabine Narloch
© tiero - 123RF

Im Jahr 2022 tickt die Uhr für die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes. Angekündigter Fehlerfolg, frischer Wind – oder beides?

OZG – diese drei Buchstaben schweben 2022 wie ein unübersehbarer Elefant über den deutschen Behörden; es ist die Abkürzung für das Onlinezugangsgesetz. Dieses verpflichtet Bund, Länder und Kommunen, ihre wichtigsten Verwaltungsdienstleistungen bis Ende 2022 auch digital verfügbar zu machen. So sollen sich beispielsweise Kindergeld, Reisepass oder Zweitwohnungssteuer digital beantragen beziehungsweise regeln lassen. 575 Leistungsbündel sind im Rahmen des OZG definiert. Doch so wie es aussieht, wird das Timing wohl nicht zu halten sein – zumindest nicht für jede einzelne Position dieses Vorhabens. Der Digitalverband Bitkom hatte Ende Oktober 2021 aufgezählt, dass 314 der Verwaltungsdienstleistungen aktiv bearbeitet werden, davon 115 in der Planungs- und 199 in der Umsetzungsphase. 73 Einzelleistungen waren damals für BürgerInnen bundesweit verfügbar. Und bei einer repräsentativen Umfrage des Verbandes gaben damals 64 Prozent der befragten Deutschen die Prognose ab, dass die fristgerechte digitale Umsetzung aller Leistungen nicht gelingen werde. Auch Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder schätzte in den damaligen Verlautbarungen, dass „das Umsetzungsdatum Ende 2022 wackelt“.

Die Gründe dafür sind so komplex wie undurchsichtig. Wirklich überraschend ist diese Entwicklung aber nicht. Da mag auf der einen Seite „der Staat“ sein, der sich der Bürgerschaft mitunter als eher umständlich und wenig wandlungsfähig präsentiert. Zudem sprechen wir von einem Land mit 80 Millionen Einwohnern, Estland, das als digitales Musterbeispiel gilt, hat rund 1,3 Millionen Einwohner. Besondere Anforderungen an die Institutionen des öffentlichen Sektors erlauben es zudem nicht so einfach, mal eben den nächstbesten Cloud-Service einzuführen. Und da sind möglicherweise auch BürgerInnen, die dann doch nicht ganz so gläsern sein wollen. So gaben zwar 76 Prozent der vom Bitkom befragten Deutschen an, den elektronischen Personalausweis beim Online-Amt nutzen zu wollen. Laut dem eGovernment Monitor 2021 der Initiative D21 und der TU München haben aber lediglich 35 Prozent der deutschen Befragten mit gültigem Personalausweis die Online-Ausweisfunktion (eID) freigeschaltet – genutzt haben diese Funktion demnach nur neun Prozent. Es sollen hier nun keine Entschuldigungen gefunden werden, warum Deutschland nicht schneller in puncto Digitalisierung im öffentlichen Sektor unterwegs ist. Zumal das OZG bereits am 18. August 2017 in Kraft getreten war. Es ist aber anzuerkennen, dass Schritte eingeleitet und Fortschritte gemacht wurden oder sich abzeichnen. Vieles hätte schneller gehen müssen, das ist klar. Doch auch so manches Unternehmen in der Privatwirtschaft, das sich gegenüber der eigenen Kundschaft als agiles Schnellboot verkauft hat, erwies sich in den vergangenen Jahren eher als behäbiger Tanker. Wenn es beispielsweise darum ging, seinen MitarbeiterInnen Homeoffice oder flexible Arbeitszeiten zu erlauben oder Prozesse zu digitalisieren – umgesetzt wurde vieles letztlich erst pandemiebedingt.

Ein neuer Geist des Fortschritts

Und dann ist da ja noch die Tatsache, dass es Ende 2021 einen Regierungswechsel gab. Nancy Faeser löste dabei Horst Seehofer an der Spitze des Bundesministeriums des Innern und für Heimat ab. Im Dezember 2021 waren sie sowie der Staatssekretär und Bundes-CIO Markus Richter beim „Zukunftskongress-digital 2021“ zugeschaltet. Dort äußerten sie sich auch zum Stand der OZG-Umsetzung. Faeser unterstrich dabei, dass man nun erst einmal eine ehrliche Bestandsaufnahme machen müsse, „wo wir gerade tatsächlich stehen bei der Digitalisierung von Staat und Verwaltung“. Gleichzeitig kündigte sie an, „mit einem etwas anderen Geist des Fortschritts“ die weitere Digitalisierung voranbringen zu wollen. So solle die Verwaltung nicht nur digitaler, sondern auch agiler werden. Dass man bei der Verwaltungs-Digitalisierung im Allgemeinen und bei den OZG-Leistungen im Speziellen nicht da stehe, wo man stehen wolle, bestätigte auch Markus Richter. Das liege jedoch nicht nur an der Technik, sondern auch „an großen Change-Prozessen, die anstehen. Man muss Liebgewonnenes loslassen – die Excel-Liste, mit der man vielleicht in der Vergangenheit gearbeitet hat –, man muss sich auch trauen, elektronische Signaturen zuzulassen“, ging Richter ins Detail.

Es liegt sicherlich noch ein gutes Stück Arbeit vor allen Beteiligten. Doch dieser neue Geist ist eben nicht zu unterschätzen, wenn es um den Switch zu einer digitalen Arbeitsweise geht. Dass die deutsche Bürokratie hier ein dickeres Brett ist, kann man sich auch als Außenstehender vorstellen. Es bleibt zu wünschen, dass dieser frische Wind alle Winkel des öffentlichen Sektors erfüllt – und den großen Elefanten Stück für Stück ad acta pustet.

Anbieter zum Thema

zu Matchmaker+

Lesen Sie mehr zum Thema


Jetzt kostenfreie Newsletter bestellen!

Weitere Artikel zu connect professional

Weitere Artikel zu Digitale Transformation

Matchmaker+