Was war zuerst – die Henne oder das Ei? Bei der Digitalisierung der Industrie stellt sich eine ähnliche Frage, wenn es um neue digitale Geschäftsmodelle geht – braucht es dabei zunächst eine geschäftliche Vision oder doch zuerst die technologischen Innovationen?
Spricht man über Digitalisierung, steht oft die technologische Perspektive im Vordergrund: Wie kann eine Konnektivität zwischen Feldebene und Cloud hergestellt werden, welche Aspekte sind bei der Virtualisierung zu betrachten, was für ein Sicherheitskonzept wird benötigt – all diese Themengebiete sind wichtig, doch muss bei der Digitalisierung zunächst eine andere Frage im Vordergrund stehen: Wie können Unternehmen durch digitale Konzepte einen strategischen Wettbewerbsvorteil erlangen?
Für die Entwicklung eines digitalen Geschäftsmodells stehen drei mögliche Ansatzpunkte zur Verfügung. So kann zunächst das eigentliche Produkt digitalisiert werden. Zwar sind Industrieprodukte selten so einfach digital zu substituieren wie die Vinyl-Langspielplatte durch CDs und MP3-Downloads, aber ein digitaler Kundennutzen kann auch durch geeignete Dienstleistungen entstehen, die dem Kunden zum Beispiel die Überwachung spezifischer Anlagen abnehmen (Remote Maintenance). Daran können dann auch durch den Hersteller Leistungs- und Verfügbarkeitszusagen geknüpft werden. Vorteil für den Kunden: Er kauft nicht eine Maschine mit einem Leistungsversprechen, sondern er bezahlt für die tatsächliche Performance und Qualität.
Eine zweite Option besteht in der Digitalisierung der eigenen Leistungserbringung, das heißt der Einführung digitaler Technologien zur Verbesserung der eigenen Prozesse und Methoden. Neben einer Verringerung von Durchlaufzeiten sowie einer Steigerung der erzielbaren Qualität ist aus strategischer Perspektive vor allem die Fähigkeit zur Beherrschung komplexer Produktangebote bei kundenindividueller Massenproduktion gemeint. Hersteller versetzen sich dadurch in die Lage, die immer anspruchsvolleren Kundenbedürfnisse zielgerichteter zu erfüllen als bei einer herkömmlichen Organisation von Entwicklung, Produktion und Logistik.
Die dritte Option wird durch die Einführung neuer Bezahlmodelle abgedeckt, die über den reinen Maschinen- oder Anlagenverkauf hinausgehen. Zunächst können damit die notwendigen Investitionskosten (Capital Expenditures) zu Gunsten von nutzungsorientierten Kosten (Operational Expenditures) gewandelt werden. Dies erleichtert es dem Kunden, neue Konzepte auszuprobieren, weil der Hersteller sich stärker – auch finanziell – zu den erzielbaren Ergebnissen der Investition festlegen lässt. Auch lassen sich die Zahlungen an tatsächlichen Verfügbarkeiten orientieren. Durch eine kontinuierliche Remote-Überwachung der Maschinen und Anlagen kann der Hersteller rechtzeitig dafür sorgen, dass sein Leistungsversprechen eingehalten wird; sein eigenes Risiko ist damit durch den Einsatz geeigneter Technologien beherrschbar.