Ob ein Produkt eine Erweiterung wirklich unterstützt, ist nie ganz sicher, da es sich bei den RFCs um bloße Beschreibungen und nicht um konkrete Anforderungen handelt. Deshalb verlangt das European Telecommunications Standards Institute (ETSI) heute Reports über ein Standard-Set von Tests. RFCs müssen diese Testvorgaben erfüllen und sind damit als vorläufiger Standard abgesichert. Damit ist ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu einem einheitlichen SIP-Standard erreicht.
Doch ETSI ist es bisher noch nicht gelungen, seine Vorgaben als verbindlich zu verabschieden, sodass aktuell jeder Bereich – SIP-Anbieter, Microsoft, Carrier und soziale Netzwerke – den SIP-Standard individuell interpretiert und deshalb sowohl an als auch mit eigenen Standards arbeitet. Dieser sehr heterogene Status quo ist einerseits problematisch, birgt jedoch andererseits auch Chancen.
Das Unternehmen Microsoft beispielsweise ist längst nicht mehr nur Softwarehersteller, sondern hat sich auch im Bereich SIP verdient gemacht und seine eigene Sphäre geschaffen. Microsoft verfügt neben jahrzehntelanger Erfahrung in der Hightech-Entwicklung auch über die nötige Marktmacht, um beim Thema SIP einen Sonderweg einzuschlagen. Doch warum wartet Microsoft nicht einen einheitlichen SIP-Standard ab und entwickelt stattdessen eigene RFCs? Die Antwort ist nachvollziehbar: Da sich Microsoft erst deutlich später als andere Anbieter mit dem Thema SIP beschäftigt hat, konnte es die Schwächen bestehender RFCs erkennen und zum Teil beheben. Entstanden sind funktionale und vor allem sichere Lösungen, wie etwa der Microsoft-Lync-Server 2010.
Dabei erfindet Microsoft SIP nicht völlig neu, sondern nimmt an bestehenden RFCs einfach die nötigen Verbesserungen vor. Ein Beispiel: Rufübergaben über Lync sind gegen so genannte Man-in-the-middle-Attacken abgesichert: Alle Teilnehmer erhalten ein Zeit- und Session-basiertes Security-Token. Der Server überwacht die komplette Übernahme und verlangt von jedem Teilnehmer, sein Security-Token vorzuweisen. Ob eine Weiterleitung erfolgreich war, erfahren die Teilnehmer automatisch. Ist der gewünschte Gesprächspartner nicht erreichbar, kann das aktuelle Gespräch nahtlos fortgesetzt werden. Zur Sicherheit verfällt das Token sofort nach der Aktion. Somit sind auch Wiederholungsattacken ausgeschlossen.
Durch solche und ähnliche innovative Erweiterungen verschafft sich Microsoft einen Wettbewerbsvorteil – zum Leidwesen der anderen SIP-Vertreter, die mit der Innovationsqualität und -schnelligkeit von Microsoft nicht mithalten können. Die Folge: Microsoft-RFCs und SIP-Produkt sind nicht miteinander kompatibel. Darum haben die übrigen SIP-Bereiche im Grunde nur eine Chance: sie müssen ihre Produkte für die Microsoft-Standards öffnen.