Mit ähnlich viel Innovationsfreude und -schnelligkeit wie Microsoft erobert derzeit eine weitere Gruppe das Session-Initiation-Protocol. Die Rede ist von den sozialen Medien. Es ist davon auszugehen, dass sie aufgrund der Konsequenz, mit der sie ihre Ziele auch in anderen Bereichen verfolgen, als einzige überhaupt dazu in der Lage sein werden, Microsoft in naher Zukunft ernsthaft Konkurrenz zu machen. Sie sind schon heute mit genügend Macht und mit den finanziellen Mitteln ausgestattet, um ihre eigenen Lösungen durchzusetzen. Ähnlich wie Microsoft warten sie nicht auf die langsameren Carrier und SIP-Anbieter, sondern entwickeln eigene RFCs.
Facebook und auch Google+ etwa verfügen bereits über Telefonie-Funktionen. Aufgrund der Mitteilungsfreude ihrer Nutzer gewinnen die Social-Media-Plattformen auf diese Weise nicht nur einen tiefen Einblick in das „digitale Sozialleben“ ihrer Nutzer, sondern noch viel mehr als das: Wenn sie persönliche Angaben der User zu Freunden, Location und Vorlieben mit deren Surfverhalten kombinieren, sind so auch Rückschlüsse auf das Telefonie-Verhalten der Nutzer möglich – im Extremfall bis hin zu hundertprozentiger Transparenz.
Ein Beispiel: Bei Anrufen aus einem so-zialen Netzwerk heraus kann der Anrufer automatisch an den besten Sales-Mitarbeiter eines Unternehmens weitergeleitet werden, etwa weil er zuvor gepostet hat, dass er ein bestimmtes Produkt dieses Anbieters kaufen möchte. Man spricht dann vom „Interest-based-call-routing“. Die gesammelten Informationen über den Nutzer haben somit wesentlichen Einfluss darauf, mit welchem Ansprechpartner er verbunden wird.
Ob, wann und wie oft Nutzer interessenabhängig weitergeleitet werden, kann niemand kontrollieren – vom Datenschutz ganz zu schweigen. Die Vorstellung eines gläsernen Anrufers mag viele in Alarmbereitschaft versetzen, doch die Transparenz hat auch praktische Vorteile: Es gibt bereits internationale Call-Center, welche die positiven Aspekte des Interest-based-call-routing erkannt haben und nutzen, um ihren Kundenservice zu verbessern.
Anhand der Daten aus den Social-Media-Plattformen kann der Anrufer vollautomatisch an den korrekten Ansprechpartner für sein Anliegen weitergeleitet werden – in Deutschland ist dies allerdings aus datenschutzrechtlichen Gründen verboten. Ruft dieselbe Person ein zweites oder drittes Mal an, ist es so auch möglich, den Anrufer an den bereits bekannten und mit dem Problem vertrauten Call-Center-Agent durchzustellen. Wiederholtes Verbinden und langes Verharren in der Warteschleife gehören somit der Vergangenheit an.